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Gedanke zum Thema Sex/ Sexualität

von  AndreasG

Eigentlich will ich nur nach einer Schreibmaschine schauen (hey Kids, das ist so eine Art Drucker mit Tastatur, aber ohne Bildschirm), für meine Schwiegermutter, da Weihnachten näher rückt. Mit Computern hat sie es ja nicht; sogar bei elektrischen Schreibmaschinen winkt sie ab. – Aber wo gibt es so etwas noch? Wo orientiert man sich da?
Mir fällt der Versandhauskatalog ein, der bei uns ein nutzloses Dasein fristet. Ist sogar von diesem Jahr, Frühjahr 2005, wie ich feststellen durfte. Das ist für meine Verhältnisse geradezu top-aktuell.
Heidi Klum zeigt auf dem Titelbild ihre Zähne. Das fängt ja gut an...
Über 1000 Seiten, puh. – Also doch lieber das Stichwortverzeichnis zu Rate ziehen. – Hmmm... P, Q, R, S ... Sch …, Schmutzfangmatte. Ende der Seite, umblättern. – Shirts, - zu tief, also nach oben mit den Augen: Shirts, Sexartikel, Sessel ... öhm ... Sexartikel? – Ach da steht ja Schreibmaschine.
Seite 1026 (da hätte ich ja lange blättern können): eine Schreibmaschine. EINE.
Typenrad, Korrekturspeicher, 99,95 € ... Sie haben es nicht einmal mehr nötig dabei zu schreiben, ob das Ding mechanisch oder elektrisch ist. Aber da ich mir einen mechanischen Korrekturspeicher selbst mit viel Fantasie nicht vorstellen kann, wird es eine Elektrische sein. Vermutlich gibt es Mechanische nur noch im Spezialhandel und der junge Verkäufer-Schnösel im Kaufhaus würde mich anstarren, als wäre ich gerade mit dem Mittelalter-Express eingefahren. (Wie damals, als ich in einem Sportgeschäft nach Turnschuhen fragte und den Fehler machte zu sagen: „... zum Laufen und Fahradfahren.“ – So etwas gibt es nicht mehr! Selbst zum Bus- oder Straßenbahnhinterherlaufen gibt es unterschiedliche Outdoor-Lauf-Schuhe.)
Das mit der Scheibmaschine kann ich also erst’mal in die Tonne kloppen. Aber da war doch noch ’was ... – Natürlich wird es nichts Wildes sein, ist ja immerhin ein familientauglicher Katalog. Doch als ordentlicher Kolumnist bin ich geradezu dazu verpflichtet nachzuschauen.
So suche ich nach Seite 602 und lande beim ersten Aufschlagen auf Seite 612: Sandkasten für 49,95 €, Kinderbagger, -kipper, -motorräder und Rutschen. Meine Erwartung schrumpft und schrumpft. Ist halt ein Familienkatalog.
Ein zweiter grober Seitenwurf: Seite 598 – schon nahe dran. Hier gibt es Fahrräder und Kinderfahrräder. Na toll. Sehr vielversprechnd ... Also zwei Seiten weiter ... HUPPS!
Mein zweiter Gedanke: „Wenn jetzt ein Kind nach Kandidaten für die Weihnachtswunschliste schaut und blättert ...“
Mein dritter Gedanke: „Was ist das denn?“

Ach je. Wenn ich jetzt mit meinem Patenkind bei den Fahrrädern ...
„Du Andi, was ist das?“
„Ähm ... sieht aus wie ein Kauknochen für Hunde.“
„Warum steht da: von  He bammen emp fohlen?“
„Vielleicht sollen ungeborene Babys damit spielen.“
„Aber ...“ Kurzes Nachdenken, dann Grinsen, dann Lachen. „Das geht doch gar nicht.“
‚Wenn Du wüsstest’, geht es mir durch den Sinn und heimlich lese ich: ‚Für gezieltes Beckenbodentraining und mehr Spaß beim Sex. Durchmesser 4 cm, Gesamtlänge 10,5 cm.’ – Aha, diese “Smart-Balls“ in Weihnachtskugeloptik (Violett und Burgunderrot), die im Verkaufsregal für Hundespielzeug gar nicht auffallen würden, sind nichts weiter als zwei festverbundene Liebeskugeln mit einer Schlaufe an einem Ende.
„Und das da?“
Zum Glück ist mein Patenkind schon weg davon und zeigt auf ...
Häh? - “ergonomisch geformt“ steht da. Könnte glatt die Fernbedienung für eine Carrera-Bahn sein – oder eine Designer-Funkmaus – oder aus dem neuesten Star-Trek-Film ...
Der Name “Laya Spot“ hilft mir jetzt auch nicht weiter. Was steht im Text? Aufliegevibrator? Leise, intensiv und wasserfest? – Da lag ich mit der Fernbedienung ja gar nicht so falsch.
„Kuck mal Andi, ein Geschenk. Kriege ich das?“
Sein Finger zeigt auf ein klassisches Paket in goldenem Geschenkpapier gewickelt und mit blauer Schleife. Ich schlucke. “Vibrator für IHN“ steht da und “natürlich gestaltete Vagina, stufenlose Vibrationen ...“ – Oha!
„Frag’ doch mal Deine Mutter, ob sie es Dir schenkt.“ – Deren Gesicht würde ich wirklich gerne sehen.

Der Phantasie-Dialog in meinem Kopf platzt auseinander, als mein Blick auf die Vakuumpumpe fällt. Gleich darüber werden Reizringe angeboten, mindestens 10 Vibratoren (auch in quietschgelb oder als blauer Delfin), Gummipuppen, eine DVD mit Fesselspielen, eine Analkette und ...

Bin ich jetzt eigentlich sehr prüde, wenn mir das peinlich ist?

Und noch etwas:
Mein vierter Gedanke: wir denken so intensiv und engagiert über P18 nach und ich habe schon Hemmungen, den beschreibenden Text eines Artikels aus einem stinknormalen OTTO-Katalog abzuschreiben. Nur Text. Ohne die dazu gehörenden Fotos ...


Anmerkung von AndreasG:

Da ich keine Ahnung habe, wie ich es anders machen könnte, habe ich einfach die Kolumne als Teil 1 genommen. Ich entschuldige mich bei den drei oder vier LeserInnen, die sie schon gelesen haben.

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Kommentare zu diesem Text

don.mombasa (27)
(26.12.05)
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 AndreasG meinte dazu am 30.12.05:
Oh Donni-Baby,
zwölf Millionen? - Oh je. Kein Wunder, dass die Papiertaschentuchindustrie boomt ...
Aber den 68ern gebe ich keine Schuld. Sie waren in ihrem Rollenbild sicherlich nicht vorbildlich und manchmal reichlich ... ähm ... plakativ. Doch ohne sie wären wir genauso weit, denke ich, aber dabei noch wesentlich spießiger und verklemmter. Hätte es denn eine Diskussion gegeben? Hätte Alice Schwarzer so viel bewegen können (noch zu wenig, zugegeben)?
Das eigentliche Problem sehe ich darin, dass "Beziehungen" heutzutage gerne mit Sex, funktionierenden Sex, gleichgesetzt werden. Da rutscht die Frau schon mal gerne in die Rolle des Häschens, um ihren Männe zufrieden zu stellen und der Männe glotzt lieber auf seine Porno-Scheinrealität. - So etwas macht innerlich sehr einsam, auch wenn es äußerlich vielleicht "abgehen" mag.
Irgendwie wird einfach Alles zum Handelsgut, zur Ware, zum Konkurrenzkampf. Kein Wunder, denn mit Fernsehbildern oder Zeitungswichsvorlagen kann sich kein Mensch unterhalten. Dagegen an zu stinken gelingt also nur über das Sichpräsentieren.

Schade. Wo doch diese zwischenmenschliche Begegnung so schön ist und sich Taschentücher auch zum Naseschnäutzen eignen ...

(Be-) Sinnliche Grüße, Andreas

 EWIGESxxEIS (30.01.06)
Hallo Andreas,
ich habe damals nicht mal mitbekommen ,daß auf einmal diese Artikel so ausführlich im Katalog vertreten waren.Erst als mein Sohn mal den Katalog zerrupfte und die Schnipsel zerstreut herum lagen,ich find es auch weniger toll,es ging jahrelang ohne und ich finde es überflüssig in einem Familienkatalog.
Auch wenn viele sagen das es sowieso jeden tag im TV auf allen Plakaten etc.etc. zu sehen ist.Mir gehts grundsätzlich darum, wenn man aus diesem Grund dann auch die Artikel in einen Katalog aufnimmt,gibt es bald gar keine Grenzen und Schranken mehr.
Finde ich gut deinen Text.
Gruß Heike

 AndreasG antwortete darauf am 31.01.06:
Hallo Heike.
Niemand soll mir (oder Dir) unterstellen, dass es eine Ablehnung von Sex und Lust sei. Dagegen habe ich wirklich nichts, aber doch nicht wahllos. Und genau darum geht es hier: es wird den Menschen eingeimpft. Nicht nur den Jungen, sondern einfach Allen. Abstumpfung, Reduzierung auf den Körper und Funktionieren: so einfach wird die körperlich Liebe dargestellt. "Mach' die Beine breit, Mädel, und schon klappt es" und "besorg' es ihr, Junge, und sie ist dein" - kein Wunder, dass Beziehungen heutzutage nicht mehr (?) halten.
Wo bleibt der Bezug vom Körper zum Gefühl?
Schon Kinder werden mit entsprechenden Bildern vollgemüllt. Können sie einem Einfluss entkommen? Welches Rollenverständnis, welches Bild von "Mann" und "Frau" baut sich da auf? - Frauen müssen sich zurechtmachen und Männer müssen funktionieren? Na toll. Da winkt doch das reinste Gruselkabinett; Unglück, Unzufriedenheit und Selbstverstümmelung inklusive.
Gerne würde ich es sehen, wenn erwachsene Menschen sich mit Vorsicht an dieses Thema heranarbeiten würden, aber es überschüttet ja schon Kinder im Vorschulalter. Und ändern kann ich es leider nicht. *seufz*
Liebe Grüße, Andreas
merlinpetrus (33)
(02.11.06)
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 AndreasG schrieb daraufhin am 02.11.06:
Hallo Merlinpetrus.
Leider ist es weit verbreitet, dass die Leute nicht das lesen, was da steht, sondern was sie herauslesen wollen. Das muss gar nicht Maquis de Sade sein, dafür eignen sich viele Bücher (die Memoiren von Casanova, die Bibel, der Koran, das Grundgesetz ...). Ob sich daraus aber eine Schuldfrage ableiten lässt, bezweifel ich. Schuld hat mit Einsichtfähigkeit und Vorsatz zu tun, - nicht nur mit Eigennutz und Ignoranz. Leider kann das Nachdenken nicht eingefordert werden.
Liebe Grüße,
Andreas

 fritz (26.11.08)
ein sehr eindrücklicher text. es scheint fast, als könnte das problem nicht besser beschrieben werden als mit hilfe des otto-kataloges. und so ist es auch:
sex nimmt so viele plätze des öffentlichen lebens ein, dass sogar in einem ursprünglich als modekatalog gedachten und konzipierten (man finde sich damit ab, dass man in ihm auch spielzeug und möbel finen kann) katalog nun auch eine extra-rubrik zum thema sex besteht. dass es dabei aber eher um sexERSATZ geht, scheint keinen wirklich zu interessieren. der ursprüngliche sex braucht keinen vibrator, braucht keine fesselspiele, etc. er hat eben wert darin, "nur" das zu sein, was er ist.
das moderne sex-verständnis jedoch zeigt zweierlei: auf der einen seite erfolgt eine enorme aufmerksamkeit auf das thema sex, in dem die medien damit geld verdienen, in denen alles irgendetwas mit sex zu tun haben scheint. man "muss" sich als junger mensch quasi mit dem thema auseinandersetzen, da es überall auftaucht in den verschiedensten, perversesten formen. gmx schmeißt seine seite voll mit pseudo-soziologischen studien über themen wie "wie zufrieden ist ER im bett" und "wie kann SIE ihren höhepunkt erreichen?". sex wird zur pflicht, das alter des 1. males nimmt nicht nur auf grund der frühreife (vor allem) der mädchen zu, sondern auch weil es immer früher ein thema wird. sex wird zum etikett: ein junge muss mit vielen mädchen geschlafen haben, ein mädchen muss viele jungen gehabt haben. und damit der sex spannend bleibt (weil er an sich zu oft nicht mehr als besonders wahrgenommen wird -> man kann ihn ja immer und mit jedem haben), nimmt man dann eben die fesseln oder man schaut sich vor dem eigenen akt noch ein video des fremdaktes an.
diese aufmerksamkeit entwertet den eigentlichen sex. er wird öffentlicht, nicht mehr privat. er wird normal, nicht mehr besonders. er wird zum zwang, nicht mehr zurm ausdruck von freiheit.
sex macht überall geld (wie alles andere auch, was zur fehlentwicklung des menschen führt) mit und durch den menschen.

die leute masturbieren. aber sie müssen gewissermaßen auch masturbieren.

auch auf die gefahr hin, am thema des textes ein wenig vorbeigedriftet zu sein und sehr weit ausgeholt zu haben, wollte ich dies hierzu erwähnen.

ihr wunderbarer text zeigt genau das problem, und zwar an der quelle! und es ist nicht pervers, sich darüber zu wundern, sich davor zu ekeln. einige mögen argumentieren, dies sei eben die form dieses dinges (des sex) im 21. jahrhundert. damit lässt sich für jene leicht leben.
für mich nicht!

liebe grüße, fritz
Elvarryn (36)
(22.01.09)
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 Dieter Wal (11.07.10)
Deine Persiflage halte ich für rundum gelungen.

Eine pornographische Autorin KVs meinte gestern, es gäbe bei Wikipedia auch ganz unzensiert mittlerweile... .

Ein OTTO-Katalogs-Text bei Gegenständen für Sex würde im Internet mit dem P18-Button gut ausgestattet sein. Dafür gäbe es weniger Seitenaufrufe und schwupps ist der Jugendschutz wie weggeblasen.

War zweifellos auch bei KV ein erwogener Gedanke, bevor der P18-Button eingeführt wurde.

Dieser Button soll den Admins Arbeit abnehmen. Das leistet er höchstwahrscheinlich, wenn er von Autoren freiwillig gesetzt wird.

Gibt es eigentlich eine Funktion, mit der man sehen kann, wer und wo diesen Button setzte?
(Kommentar korrigiert am 11.07.2010)
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