Gegenschlag
Verstand vs. Irrsinn
Eine archivierte Kolumne von Melodia
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Nur der Verlierer meckert über die Spielregeln
Endlich ist der Spuk vorbei! Ich rede von der „Rundballgeschupse-EM“, wie ich sie gerne nenne und weiß, dass ich damit weitestgehend alleine dastehe. Nicht, dass ich die einzige Person wäre, die dem Spektakel nicht sonderlich viel abgewinnen kann, aber eine von doch recht wenigen, wenn man allein den Einschaltquoten glauben kann.
Aber versteht mich nicht falsch; ich habe nichts gegen Fußball an sich, denn ich bin sehr sportinteressiert. Nein, was mich stört ist dieses kitschig-peinliche, dezent rassistisch angehauchte Karnevaleske abseits der Sportstätten. Es ist nur ein Sport! Und doch könnte man meinen, Menschenleben wären vom Ausgang eines Spiels abhängig. Tausende Menschen ziehen durch die Straßen, grölen und skandieren Parolen. Alle in derselben „Uniform“ und mit dämlichen Hüten auf den in Alkohol eingelegten Kopf. Fastnacht trifft auf Reichsparteitag.
Ich höre schon die ersten entsetzten Stimmen, dass der Vergleich unangebracht und beleidigend wäre. Aber allem Anschein nach geht es doch um eine Art von Zusammengehörigkeitsgefühl gepaart mit einem Gegner, den es zu besiegen gilt. Nur der Spaß darf nicht zu kurz geraten. Dafür braucht man nicht mal ein Länderspiel, wenn ich da nur an die Straßenbahnen nach Ligaspielen denke. Warum besteht bei vielen im Kopf die unüberbrückbare Gleichung: Fußball = Saufen? Das erkläre mir mal bitte jemand! Aber durch diese unglückliche Vermischung vernimmt man dann lallende Rufe wie „die scheiß Käääsköppe sind raus“ und „Drecks Itaker“; bekommt den Stinkefinger gezeigt, weil man etwas dagegen sagt, oder weil man offensichtlich nicht „deutsch“ ist. Auch sieht man z.B. italienische Jugendliche, die eine Deutschlandfahne auf den Boden werfen. Und sowas nennt sich nun vereintes Europa.
Ich bin Halbdeutscher und Halbitaliener, aber das schien 2006 nicht weiter wichtig zu sein. Ich persönlich wurde beschuldigt dafür verantwortlich zu sein, dass die Bundesauswahl verloren hatte und wurde auf das übelste beschimpft. Außerdem musste ich ein halbes Jahr den Anblick von korpulenten Fußballexperten ertragen, die T-Shirts trugen mit der Aufschrift „Lieber Dritter als Petze“. Damals hatten italienische Medien einen deutschen Spieler bei der FIFA angeschwärzt, der sich beim Spiel zuvor zu einer Handgreiflichkeit verleiten ließ. Und unweigerlich kamen mir mehrere Gedanken. Erstens, hätte die deutsche Presse andersherum nicht dasselbe getan, zweitens, wenn jemand unsportliches Verhalten an den Tag legt, gehört er bestraft, drittens, warum sind es meist Menschen, die seit Jahren ihre Füße nicht gesehen und sich auch mindestens genau so lange nicht mehr sportlich betätigt haben, stets die größten Fachleute?
Nun befürchtete ich, noch ein Mal durch diesen nationalistischen Alptraum gehen zu müssen und mir so intelligenten Drohungen anhören zu müssen, dass man nie wieder in die Pizzeria geht. Doch mittlerweile lebe ich weitaus urbaner als noch 2006 und musste positiv überrascht feststellen, dass es nicht annähernd so schlimm war. Auch hierfür scheint sich eine Formel heraus zu kristallisieren: Je provinzieller das Umfeld, desto primitiver und rassistischer die ersprochenen Fußballrufe. Mir ist klar, dass die große Mehrheit diese Anfeindungen nicht ernst meint, aber sind sie dann nicht noch unnötiger? Warum mutieren selbst friedlichste Menschen zu Verbalakrobaten mit rassistischen Tendenzen? Das sind dann die ersten, die eine Woche drauf auf der Anti-Kriegs-Demo ganz vorne mit marschieren. Sehr belustigend fand ich das Bild eines deutschen Fans bei der EM, der ein schwarz-rot-goldenes Transparent in den Händen hielt, auf dem groß „Tschüss Spaghetti – Es lebe das Schnitzel“ stand. Vielleicht sollte jemand dem jungen Mann erklären, dass das Schnitzel aus Österreich kommt. Obwohl auch auf den „hohes C“ – Flaschen der rheinhessischen Firma „Eckes“ stand (steht?): „100% Früchte aus der Heimat“ und weiter unten „aus Deutschland und Österreich“. Die Großdeutsche Lösung scheint noch in so manchen Köpfen zu existieren.
Mir wurde auch schon mehrfach an den Kopf geworfen, ich sei unpatriotisch und man könne doch stolz auf sein Land sein. Nun, wie bereits erwähnt habe ich zwei Heimaten, von daher wäre es mir ohnehin unmöglich. Stolz? Man kann nur auf Dinge stolz sein, die man selbst geleistet hat. Von daher ist die Aussage „wir haben gewonnen“ doppelt falsch, denn Fans dürfen meines Wissens nach eher selten mitspielen. Patriotisch? Ich weiß nicht mehr genau, wer die Aussage „Patriot ist diese unsägliche Mischung aus Patria und Idiot“ gemacht hat, aber recht hat der Mensch. Zumindest lässt sich so das Verhalten von den (Neo)nazis erklären.
Ich verstehe durchaus, dass für einen Fan Emotionen wortwörtlich mit im Spiel sind, aber alles hat seine Grenzen. Ein gestandener, 40jähriger Maurer, der alleine daheim vor seinem Fernseher weint?! So etwas gibt es nur beim Fußball! Genau wie Hooligans! Das ist für mich auch eines dieser Phänomene. Bekloppte, die sich offensichtlich nur Prügeln wollen, nehmen einen Sport als Vorwand. Anstatt das sie einfach selbst Sport treiben und sich damit vermutlich viele Aggressionen vom Leibe schwitzen würden. Und warum Fußball? Ich fände Tischtennisholligans eine willkommene Abwechslung.
Und dann mischt sich noch immer die Politik ein bzw. wird mit hineingezogen. Die sollen einfach Fußball spielen! Aber nein, die Medien kennen kein anderes Thema mehr. Ich finde es vollkommen in Ordnung, dass in der Tagesschau die Ergebnisse durchgegeben werden, aber warum muss dann noch eine fünfminütige Zusammenfassung folgen, während z.B. ein Beitrag zur Wiederinbetriebnahme von AKWs in Japan, wenn überhaupt, mit nur einem Satz und Bild gewürdigt wird? Wo ist da bitte das Verhältnis? Mal abgesehen davon, dass es genug Sportsendung gibt, die ein Spiel durchanalysieren. Wem auch immer damit geholfen ist.
Fußball sollte Sport sein und bleiben, aber weil bankrotte Länder wie Griechenland und Italien momentan nichts zu lachen haben, wird das Spiel auf dem Rasen zum Kampf gegen Mama Merkel und den Rettungsschirm hochstilisiert. Als ob sich dadurch was ändern würde. Da könnte ich nicht mal sagen wer bescheuerter ist: Die Journalisten, die ihre letzten zwei Gehirnzellen bemühen, um ein sportliches Ereignis reißerisch in einen politischen Kontext zu quetschen, oder die oben genannten stolzen Patrioten, die jede Ballberührung ihrer Nation frenetisch feiern, nur um nach dem Turnier wieder alles zu verfluchen, angefangen beim miesen Arbeitsplatz und den hohen Steuern?!
Leider fällt es mittlerweile auch mir schwer, Fußball und Politik zu trennen, aber eher aus pragmatischeren Gründen. Warum fliegen Staatschefs eigentlich zu Fußballspielen? Ich kann mich nicht daran erinnern Mama Merkel jemals bei einem Basketballspiel gesehen zu haben. Selbst der US-Präsident ist nie bei einem Super Bowl und das will was heißen! Aber PR ist PR. Abgesehen davon würde mich interessieren, ob die ihre Flüge alle selber zahlen? Ich habe da meine Zweifel. Und dann so geniale Aktionen, wie nicht zu den Spielen in die Ukraine fliegen, weil die Frau Tymoschenko in Haft sitzt. Aber dass der weißrussische Diktator Lukaschenka zum Finalspiel eingeladen wurde, schien niemanden zu stören, oder? Das Spiel Polen gegen Russland wurde als brisantes Duell betitelt; das Spiel der Deutschen in Danzig warf einen braunen Schatten voraus. Warum? Weil es vor über 60 Jahren zu unschönen Ereignissen kam? Was hat das alles mit Fußball zu tun und was bereits mit Volksverdummung?
Während es auf dem Rasen meist fair und sportlich zuging, war im Umfeld eher das Gegenteil der Fall. Allen voran einige Fans und die UEFA selbst. Da wird eine EM an Polen und Ukraine vergeben, die wer weiß wie viele Milliarden ausgeben mussten, um den Bedürfnissen des europäischen Verbandes zu entsprechen, während es Menschen in den Ländern schlecht ergeht und die politische Lage teils angespannt ist. Und dann noch acht Stadien in zwei Länder für 16 Mannschaften aufrüsten. Ich werfe mal kess die Vermutung in den Raum, dass es auch mit weniger Spielorte realisierbar gewesen wäre. Selbst das hochmoderne Deutschland gab 2006 knapp 1,4 Mrd. Euro nur für die Stadien aus. Aber die UEFA hat ja stets so integere Sponsoren wie Adidas (u.a. Kinderarbeit), Coca-Cola (u.a. Todesschwadronen, Kinderarbeit) und McDonald’s (u.a. Kinderarbeit) an ihrer Seite.
Da wundert es mich überhaupt nicht, dass der kroatische Verband auf Grund rassistischer Sprechchöre seiner Anhänger nur 80.000 Euro zahlen muss, während ein dänischer Spieler alleine zu 100.000 Euro Strafe und einem Spiel Sperre verdonnert wurde, weil er, beabsichtigt oder nicht, eine unerlaubte Werbung eines Wettbüros präsentierte. Das Geldmonopol liegt nun mal bei der UEFA und der olympische Gedanke muss wohl warten, bis die namensgebenden Festspiele in ein paar Wochen beginnen.
Am Ende bleibt mir nur der Eindruck, dass wenn Menschen so viel Engagement, Enthusiasmus und Zeit in wichtigere Dinge stecken würden, auch weniger zu jammern hätten und man wirklich etwas verändern könnte, wovon man persönlich auch profitiert.
Vollkommen egal, ob man schön gespielt hat oder überlegen war. Danach kräht in spätestens zwei Jahren niemand mehr. Das Endergebnis ist wichtig. Das zählt sowohl für den Sport als auch für die Politik.
Der Vorteil beim Sport ist natürlich, dass es die Nationen alle zwei Jahre bei einem Turnier wieder versuchen können, am Ende als Sieger da zu stehen. Wir müssen bei der Politik immer vier Jahre ausharren.
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
ich musste gerade googeln wer commisario cattani ist, aber nein, warum sollte ich das machen? ist mir ja wie gesagt egal, die beste mannschaft gewinnt halt und damit basta! außerdem würde ich mich auf das selbe niveau herablassen...
lg
Über das soziologisch-psychologische Phänomen des Fußballs gibt es eine empfehlenswerte aktuelle Bucherscheinung, die ich
hier[/ecturl] besprochen habe...