Dienstags bei Inge

Ansichten übers Leben und Sterben und den Rest dazwischen


Eine archivierte Kolumne von  IngeWrobel

Dienstag, 22. Dezember 2009, 00:12
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Erwartungen

Dieses Jahr hatte ich keine besonderen Erwartungen bezüglich meines Geburtstages: ich malte mir nicht aus, wie A & B plötzlich unangekündigt mit einem Blumenstrauß vor meiner Tür stünden; ich dachte nicht darüber nach, wie ich wohl auf einen Anruf von C reagierte, der mich gleichermaßen erfreuen und verwirren würde; ich hatte nicht vorsorglich Kuchen gekauft, um für den Überraschungsbesuch von D, E und oder F gerüstet zu sein. Ich erwartete niemanden, hatte niemanden eingeladen, und konzentrierte mich darauf, mit mir alleine zu feiern.
Meine Nicht-Erwartungen erfüllten sich nicht: Mein liebster Kaffeegast brachte den Lieblingskuchen mit; das Telefon klingelte häufig aber recht gut verteilt über den ganzen Tag; der elektronische Postminister schickte viele bunte und wortreiche Grüße direkt auf meinen Schreibtisch.

Wäre ich mit bestimmten Erwartungen in diesen Tag gegangen, könnte ich nicht mit so viel Zufriedenheit auf ihn zurückblicken – irgendwie hätte ich die eine Reaktion von jemand anderem erwartet, und diese bestimmten Worte hätte doch ein anderer benutzen sollen als der, der sie so formulierte. Mangels vorangegangener Erwartungen wurde es ein Tag voller angenehmer Überraschungen.

Erwartungen sind sowieso hinterhältig. Sie haben die Enttäuschung im Schlepptau wie einen siamesischen Zwilling.
In jungen Jahren erwartete ich manche Dinge vom Leben wie etwas, das mir rechtmäßig zusteht. Später, als mich schon so manche Enttäuschung gebeutelt hatte, klammerte ich mich an die Hoffnung. Zu hoffen musste doch erlaubt sein – das war doch nicht vermessen, oder?
Vor einigen Jahren formulierte ich den Spruch: „Hoffe immer das Beste, aber rechne immer mit dem Schlimmsten.“, den ich auch als Signatur benutzte.
Inzwischen bin ich noch einen Erkenntnisschritt weiter, denn das Problem liegt im Detail:

Unsere Erwartungen, Hoffnung und Wünsche haben so konkrete Abmessungen und Bilder, dass die Enttäuschung vorprogrammiert ist. Wir haben uns einen Menschen, eine Situation, einen Ablauf zu genau vorgestellt, ausgemalt, erhofft. Wenn die Realität dann anders aussieht, sind wir ent-täuscht. Selbst, wenn das Ergebnis eigentlich positiv ist, die Entwicklung im Grunde zufriedenstellend oder sogar besser verläuft, können wir uns nicht uneingeschränkt freuen, weil es eben nicht unseren Erwartungen entspricht, die zu konkrete Formen angenommen hatten.

Als kluger – und freilich weitgehend desillusionierter – Mensch geht man das Leben folglich anders an: Man erwartet vom Schicksal möglichst wenig und von den Mitmenschen noch weniger Gutes. Man bleibt offen für Überraschungen. Man wird genügsam, und entdeckt das tägliche kleine Glück und stellt fest, dass alles, was geschieht, nur „relativ“ ist.

Erwartungen sind eine ausgestreckte offene Hand. Irgendetwas wird hineingelegt. Wenn wir unsere Vorstellungen davon, was das sein könnte, vergessen können, wird es nie zu einer Enttäuschung kommen, sondern immer eine positive Überraschung sein.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

andromeda (50)
(22.12.09)
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