andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 15. Februar 2007, 06:04
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beliebich

Wenn man sich ein wenig in der Welt der Medien umschaut, scheint es zur Zeit eine Revolution in Richtung Emotion zu geben. Überall, ob im Fernsehen, in Zeitschriften oder im Internet (auch bei keinVerlag.de), schwappt eine Welle aus Gefühlen über uns. Hier heißt es, dass Männer sie nicht mehr als Schwäche wahrnehmen, dort heißt es, dass Frauen wieder selbstbewusst zu ihnen stehen.
Schlagworte wie “wahre“, “echte“, “unverfälschte“ und “natürliche“ werden vor die “großen“ Wörter gesetzt, die als Heroen im Kampf Bauch-gegen-Sachlichkeit dienen: Freundschaft, Liebe und Geistesverwandtschaft. Allein die Benutzung der ersten beiden Begriffe ist so umfassend, dass es wohl nur so wimmeln muss von tiefen und engen Kontakten der Menschen.
Oder ist es wie bei jedem Überangebot? Gibt es eine Inflation dieser Ideale?
Es fällt auf, dass die “niederen“ Formen guter Kontakte zu schwinden scheinen. Wo sind die KameradInnen, GenossInnen, Weggefährtinnen, Getreuen, BegleiterInnen und Kumpane (Kumpel, Kumpelinen …)? Was ist aus dem/der Bekannten geworden, aus dem Jugendfreund, der Jugendfreundin, dem/der Vertrauten, dem Intimus, Spezi, Vertrauten?
Kollegen und Kolleginnen gibt es noch, - klar, - Klassenkameraden/-kameradinnen auch. Aber der Begriff Bekannter schreit schon nach dem Vorwort “nur“. - Freunde gibt es hingegen häufig.
Ähnlich ist es bei der Liebe. Verliebtsein gibt es offenbar nicht mehr, Affären und Liebschaften sind auch ohne “nur“ weit abgeschlagen, doch die Liebe ist verbreitet wie nie. So viel Liebe macht richtig neidisch.

Natürlich muss man vorsichtig mit einem Urteil sein. Liebe gilt als das intensivste und bewegendste positive Gefühl schlechthin. Damit ist selbstverständlich das individuelle Vermögen gemeint, die Fähigkeit zu empfinden, zu fühlen, sich zu binden. Das ist kein allgemeingültiges Kriterium, wie so viele Menschen meinen, sondern beschreibt die Bandbreite “von-bis“, die in ihren Extremen von anderen Menschen ganz andere Benennungen erfahren würden. Was für den Einen “Liebe“, ist für den Nächsten “krankhafte Besessenheit“ und für den Dritten “körperliche Anziehung“ oder schlicht “Bekanntschaft“.
Dazu kommt noch, dass manch einer die großen Worte leicht auf der Zunge trägt, ein anderer aber ewig an ihnen herumwürgt, bevor sie den Mund erreichen. – Ein schwieriges Thema, wo doch jeder mit Fug und Recht sagen kann, dass er die richtige Einordnung im Hirn trägt. Es muss die richtige sein, denn es ist die einzige, die wir einigermaßen kennen.

Ach ja: es gibt auch noch die Mehrfachbedeutung ... „Ich liebe Dich“, „ich liebe das Leben“, „ich liebe Pflanzen“, „ich liebe das Autofahren“, „ich liebe Fußball“ …

Schon seltsam, dass sich trotz dieser komplizierten Verständnisprobleme die Zahl der Begriffe, mit denen wir Abstufungen vornehmen können, immer mehr verringert. Mehr noch: zumindest bei der Liebe nimmt auch die Zahl der Genannten ab. Nicht die “erste“ oder “große“ Liebe, nein, nur die “echte“ und “wahre“ Liebe spielt noch eine Rolle (alles andere ist höchstens Tendelei). Alles ist auf Ideal und Ewigkeit getrimmt, denn wirkliche Gefühle ändern sich ja nicht.
Na ja … oft ist es eine Ewigkeit auf Zeit, aber das ist noch nie das Problem der Medien gewesen. Große Worte, gerne auch groß geschrieben, schreien die unvergänglichen Wahrheiten heraus. „Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern“, heißt es. Zeitgemäß scheint das auch für Gefühle zu sein.

Nicht wahr, meine Liebe und mein Lieber?

*knuddel*


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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Ropa (33)
(15.02.07)
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 BrigitteG (15.02.07)
*knuddelzurück*
Sektfrühstück (41)
(15.02.07)
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