andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 08. April 2009, 23:45
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blutig

“Die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse“ lautete mal der Eingangssatz einer Fernsehwerbung, die dann übergangslos zu einer blauen Ersatzflüssigkeit überging und damit weitere Missverständnisse in Kauf nahm. Dabei ist das ein sehr kluger Satz, soweit ihm Raum für weitere Interpretationen gegeben wird.
Letztens erst bekam ich das innerhalb eines Frauengespräches mit, bei dem es sich eher um das Thema “die Frauenrolle in der Geschichte“ ging. Plötzlich waren die Bibelstellen auf dem Tisch, in denen menstruierende Frauen als unrein bezeichnet werden, und sie wurden als Beleg für die Unterdrückung der Frau gedeutet.
Selbstverständlich kam auch gleich wieder dieser Vergleich zu den “primitiveren“ Kulturen hoch, in denen die Frau als magisch und besonders geachtet galt, weil sie Kinder bekommen kann und aus unerklärlichen Gründen periodisch blutet. – Ein sehr beliebtes Argument übrigens, das seltsamerweise bei vielen Menschen hängen bleibt, sobald sie es einmal gehört haben.
Leider spricht die Geschichte eine andere Sprache, denn die erwähnten Kulturen sind entweder lange ausgestorben oder dümpeln am Rande des Weltgeschehens herum. Die geschichtlich bedeutenden Kulturen brannten sich hingegen mit Feuer, Schwert und Männergewalt in die historischen Abhandlungen … und ließen die “unreinen“ Frauen zu Hause am Herd zurück.

Sicherlich ist auch das eine Vereinfachung, klar. Hier werden die Erwähnungen im heiligen Buch eines kleinen Volkes hochgerechnet auf Zusammenhänge, die zu diesen Zeiten nichts mit dieser Religion zu tun hatten. Und betrachtet wird aufgrund heutiger Möglichkeiten mit der Menstruation umzugehen, die ein Hineindenken in die damalige Zeit schier unmöglich machen. Dabei stehen besagte Stellen der Bibel nicht zufällig inmitten von Hygienevorschriften, die es so oder anders auch an in anderen Kulturen gegeben haben wird. Wie sah denn die Welt ohne Binden mit Flügeln und Tampons mit blauen Fädchen aus, über die so leichtfertig der Stab der Diskriminierung gebrochen wird?
Holzmöbel, Leinen- oder Wollkleidung, Lehmfußböden und gewickelte Unterwäsche (wenn überhaupt). Keine Gummizüge zum Festhalten, dafür Wollvliese, Schwämme und andere aufsaugende Materialien, das irgendwie befestigt werden mussten, nicht besonders dicht waren und schlecht gereinigt werden konnten. Keine sehr prickelnde Vorstellung überall Spuren hinterlassen zu können. Und sonderlich magisch und geachtet wird sich niemand fühlen, wenn es zu unpassender Zeit warm die Beine herunter in die Sonntags-Sandalen läuft …
Vermutlich würde es schon helfen, wenn richtig gelesen würde. Es heißt nämlich im alten Testament, dass die Frau für sieben Tage unrein ist, wenn sie den “Blutfluss“ hat. Bei außerplanmäßigen Blutungen so lange, wie es halt dauert. Außerdem noch nach Geburten und …

Ja, das “Und“ wird gerne überlesen (was in diesem Fall eigentlich schwierig sein sollte, da die Regeln ziemlich umfassend sind). Dieses “Und“ bezieht sich nämlich gar nicht mehr auf die Frau, sondern handelt die übrigen Unreinheiten, mit denen sich Mann und Frau besudeln können: bestimmte Tierarten, Tote, Aas, Kranke, Untreue usw..
Hier werden also Hygienevorschriften, die zum Überleben von Gemeinschaften lebensnotwendig waren mit Vorstellungen gemischt, die auf dem ersten Blick keinen großen Sinn machen. Aber vielleicht waren auch sie zu gewissen Zeiten wichtig für das Überleben, garantierten, dass sich Krankheiten oder Parasiten nicht ausbreiteten, oder verhinderten Lebensmittelvergiftungen in einer Zeit ohne Drei-Sterne-Kühlfächer.
Wie sich daraus strikte Vorschriften entwickelten, die durch die Entwicklungen überholt wurden, kann in vielen Fällen nicht mehr genau gesagt werden. Und dafür, dass eine sinnvolle Regel später für völlig andere Sachen missbraucht und umgedeutet wird, kann die Regel herzlich wenig.
So zeigt sich auch hier wieder, dass es auf den Sichtwinkel ankommt, mit dem etwas betrachtet wird. Plumpes Nachplappern oder gefärbtes Interpretieren führt immer zu einer Wertung, die direkt auf die eigene Perspektive zeigt. Nicht erst bei diesem Thema sind vorher die Meinungen da, für die dann Argumente zusammengesucht werden. Denn nicht nur die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse.



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wupperzeit (58)
(09.04.09)
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 Dieter_Rotmund (12.04.09)
Achnöö, Wuppertal, ...äh Wupperzeit, daß Menstruation noch ein Tabuthema sein soll, das kann ich nun wirklich nicht nachvollziehen. Sicherlich, es steht keine Dame vom Mittagstisch auf, nimmt ihr Handtäschen und verschwindet mit den Worten auf die Toilette, daß sie gerade menstruiere, aber sonst? Scherzhaft kann man im Freundeskreis schon mal auf die ein oder andere zickige Antwort fragen, ab man / frau gerade "seine Tage habe", wie es in dieser eigentlich doch sehr schönen Umschreibung heißt. Und dann gibt es noch so Kolumnentexte wie diesen hier, die auch nicht den Anspruch erheben, ein Tabuthema ansprechen zu wollen, oder, Andreasg?

Ich glaube auch nicht, daß es "letzte" Tabuthemen gibt, sondern immer wieder neue.
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