andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 30. September 2010, 04:06
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altmodische Einzelfälle

In Wellen kommt es immer wieder in Mode sich über US-amerikanische Gesetze zu amüsieren. Dabei ist es inzwischen ziemlich vielen Leuten klar, dass oft historische Gründe hinter dieser Rechtsgestaltung stehen. Meist ist es sogar ein spezielles Ereignis, ein Einzelfall also, der zu einem Gesetz geführt hat. Das wirkt heute zwar unzeitgemäß, willkürlich und ungeplant, aber so wurden früher weltweit Gesetze erlassen. Wenn etwa Frauen in Wyoming einen Mindestabstand von 1,50 Metern zum Tresen einhalten sollen, so geht das auch auf alte Moralvorstellungen zurück, aber wohl auch auf einen Fall, bei dem es zu einem extremen Bruch dieser ungeschriebenen Regel gekommen ist. Und wenn in South Carolina Schusswaffen zum sonntäglichen Gottesdienst mitgebracht werden sollen, so mag es früher wirklich gute Gründe dafür gegeben haben, aber erst eine spezielle Situation führte zur Festschreibung. Vermutlich war es eine außergewöhnliche Situation, in der Waffen unter den Gottesdienstbesuchern zu einem anderen Ausgang geführt hätten.
Moralisch antiquiert wirken Gesetze, die etwa Frauen verbieten Männer zum Rendezvous einzuladen (Dyersburg, Tennessee) oder Eheleuten gebieten Nachthemden bei ihren sexuellen Kontakten zu tragen (Hastings, Nebraska), aber ohne besonderen Anlass wäre das bestimmt nicht in den Gesetzbüchern gelandet. Auch manche Einschränkung bei Männern, die sie zu “erleiden“ haben, werden jeweils einen besonderen Auslöser gehabt haben. Wenn sie etwa nur mit schriftlicher Genehmigung ihrer Ehefrau Alkohol kaufen (Pennsylvania) oder nur in Begleitung einer Frau einen Hut erwerben dürfen (Kentucky), ist es nicht schwer sich eine entsprechend überspitzte Situation vorzustellen. Doch wie ist es zu erklären, dass in Idaho an die Umschwärmte nur Pralinenschachteln über 50 Pfund verschenkt werden dürfen?
Belächelt werden besonders jene Gesetze, die ziemlich deutlich auf einen Einzelfall hindeuten, aber nur schwer zu rekonstruieren sind. Wie mag der Fall ausgesehen haben, der in Brooklyn (New York) dazu führte, dass Esel nicht mehr in Badewannen schlafen dürfen? Was ist wohl passiert, dass in Connersville (Wisconsin) Männern verboten wurde ihr Gewehr abzufeuern, während ihre Partnerinnen einen Orgasmus haben? Und wie muss es wohl ausgeartet sein, dass in Sioux Falls (South Dakota) der Sex auf Hotelfußböden verboten wurde? (Waren nicht nur die Betten in South Dakota unter aller Kanone, sondern auch die Böden so marode, dass ein Pärchen durchgebrochen ist?)
Manch ein Einzelfall führte zu einem Gesetz, das geradezu eine Aufforderung zum Aussterben ist. Etwa ein Gesetz aus Auburn (Washington), das grundsätzlich die Entjungferung unter Strafe stellt (5 Jahre Zuchthaus), denn der Familienstand spielt dabei keine Rolle. (Sollte das einer Frau die Chance geben einen ungeliebten Mann los zu werden?)

Viele Deutsche meinen jetzt, dass die Amerikaner schon ziemlich durchgeknallt sind, weil sie die unsinnigsten Gesetze und Regelungen nicht schon längst in die Tonne gekloppt haben und sich so stark von Einzelfällen leiten lassen. Sobald sich die Umstände geändert haben, sollte sich auch das Regelwerk anpassen. In Deutschland wird das jedenfalls so gemacht … höre ich immer mal wieder.
Gut, in der Landesverfassung von Hessen steht immer noch die Todesstrafe als Möglichkeit (Art. 21), aber da bricht ja das Bundesrecht das Landesrecht. Auch noch einige andere seltsame Gesetze gibt es in Deutschland, aber das sind nur Ausnahmen und fußen nicht auf Einzelfälle. Oder?

Was ist eigentlich mit den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen, nach denen in Deutschland gelebt – oder besser: gewohnt – wird? – Flurputzen zwei Mal die Woche (pro Etage), Fensterputzen alle sechs Wochen, die Pflicht des Gehwegfegens und der Hofreinigung für die Erdgeschosswohnungen (manchmal auch Kellerreinigung), Abschließen der Haustür nach 22 Uhr, kein Besuchsrecht für das andere Geschlecht (oder nur bis 22 Uhr), kein Duschen oder Baden nach Mitternacht, keine Schlüsselabgabe an Nichtmieter, Besucher, die länger als 2 Wochen bleiben wollen, müssen beim Vermieter angemeldet werden, keine Haustierhaltung erlaubt, kein Grillen auf dem Balkon, kein Wäschetrocknen in der Wohnung, feste Lüftungsregeln … es gibt so Manches, was nach dem Motto “Gewohnheitsrecht“ in deutschen Häusern üblich ist und oft sogar im Mietvertrag steht.
Sensationsberichte in Zeitschriften und im Fernsehen tun ihr übriges und schon haben wir ein Konstrukt, das gar nicht so weit entfernt von den lustigen amerikanischen Gesetzen ist. So war es früher vielleicht angemessen, dass Treppenhäuser zwei Mal in der Woche geputzt wurden, wo noch mit Kohle geheizt wurde, die Kohle im Keller lagerte und die Industrie keine Filteranlagen oder Umweltschutzauflagen kannte.
Die Sonderpflichten vieler Erdgeschosswohnungen haben auch historische Gründe, denn früher waren es oft preiswerte Wohnungen, da sie klein waren, über dem unbeheizten Keller lagen und nicht über Balkone oder große Fenster verfügten. Ihr Status war gering, jeder Mieter lief daran vorbei, alle Lieferanten klingelten zuerst dort und durch die Eingangstür und den Straßenlärm waren sie nicht gerade die leisesten Wohnungen. So wurde es üblich, dass die Bewohner (oft Rentner, Versehrte o. ä.) gewisse Hausmeisterpflichten übernahmen: Keller- und Hofreinigung, Pflege der Außenanlagen, Aufsicht über die Einhaltung der Hausordnung u. a.. Im Zuge der modernen Zeiten wurden die Mieten dann angepasst, aber einige Sonderpflichten blieben oft ohne Grund erhalten.
Das Besuchsrecht (besonders das des anderen Geschlechts) kommt natürlich durch alte Moralvorstellungen zu uns, hat sich aber in den Köpfen oft noch gehalten, obwohl die Gerichte das völlig anders sehen. Heute greift das Recht auf eigene Persönlichkeitsentfaltung weitaus stärker. Aber wer geht damit schon vor Gericht?
Beim Duschen und Baden ist die Rechtssprechung auch auf der Seite derjenigen, die gerne sauber sind, bevor sie zur Arbeit gehen. In Zeiten ungewöhnlicher Arbeitszeiten und moderner sanitärer Einrichtungen sind Verbote auch gar nicht mehr zeitgemäß, denn selbst die hellhörigste Wohnung von heute ist keinem Vergleich mit früheren Verhältnissen gewachsen.
Das Abschließen der Haustür stammt auch aus der Vergangenheit. Damals hatten Haustüren auf beiden Seiten Klinken und waren tagsüber nicht abgeschlossen oder standen sogar offen. Jeder konnte hinein, was bei Briefträgern, Boten, Lieferanten und anderen Besuchern auch durchaus gewollt war. Mit dem Aufkommen von starren Türknäufen an der Außenseite, aber spätestens durch die Verbreitung der selbstschließenden Türen, erübrigte sich das Thema eigentlich. Mehr sogar: Feuerwehr und Sicherheitsfachleute warnen seit Jahrzehnten vor der Unsitte, denn in vielen Mietshäusern sind die Haustüren der einzige Fluchtweg. Sollte ein Feuer ausbrechen, nehmen panisch Flüchtende nur selten einen Schlüssel mit, können durch die starke Rauchentwicklung das Schlüsselloch eh nicht finden und blockieren dann bewusstlos die Tür für weitere Flüchtende – und für das Rettungspersonal. Das ist leider kein theoretisches Szenario, sondern in jedem Jahr dutzendfach Realität.
Vermutlich verstößt jeder Türabschließer gegen die Brandschutzbestimmungen und verletzt das Mitbesitzrecht der anderen Mieter. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es irgendwann zu einer Situation kommt, in der so viele Menschen sterben, dass das Thema erstmalig durch die Presse rauscht. Dann ist es bis zu entsprechenden Gesetzen nicht mehr weit und was haben wir dann? Etwa einen Einzelfall, der ein Gesetz initiiert?


 Witzige amerikanische Gesetze
Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (30.09.10)
Schöne Kolumne.

Das fatale an diesen "witzigen" amerikanischen Gesetzestexten ist, dass sie uns seit ein paar Jahren vor allem in den Printmedien immer wieder als humoristische Einfügungen (mutmaßlich: Lückenbüsser) zugemutet werden, aber ihr humoristisches Potential schon lange verbraucht ist.

 BrigitteG (30.09.10)
Zum Thema "Abschließen von Haustüren und die Brandgefahr" - eine sehr berechtigte Kritik, von daher kann man nur allen Besitzern von Mehrfamilienhäusern vorschlagen, sog. "Knaufzylinder" einzubauen. Die dreht man auf der Innenseite der Haustür einfach um (ohne Schlüssel), und dann ist die Haustür abgeschlossen. Wenn es dann brennt, und alle nach unten rennen, dreht man von innen wieder auf und alle können raus.
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