KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Ende einer Ära? Erinnerungen an Bayreuth
743. Kolumne
Was bleibt?
Nein, dies ist hier (noch) kein Abgesang.
Aber es ist doch ein besorgtes Wachrufen der Erinnerungen an das vielleicht bedeutendste deutsche Musikfestival mit dem Hintergedanken und dem fast verzweifelten Wunsch: es soll recht bald weitergehen mit den Bayreuther Festspielen und eine stabile Zukunft heranwachsen, die alle derzeitigen Krisen meistert, nicht nur Corona.
Also: Was wird?
Mir ist klar: Corona ist angesichts der fast 2000 dicht an dicht verankerten Sitzplätze und des tiefen Orchestergrabens die schwerste, weil gefährlichste Hürde. Personal- und Systemfragen lassen sich lösen, denn leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen. Hoffen wir also, dass es technisch machbare Lösungen gibt.
Es darf nicht sein, dass der Prozess der Auseinandersetzungen mit Wagners Opern lange stillsteht, sondern sich fortsetzen kann an einem Ort, an dem seelisch-mentale und gedankliche Entwicklungen ihre Heimat haben – wohlgemerkt: in der weiteren Suche nach neuen Interpretationen der Vergangenheit und der Zukunft. Die Bayreuther Wagner-Festspiele gehören zum Wichtigsten, was deutsche Identitäts-Bewältigung und -klärung betrifft: Inwiefern kann etwa Wagners Ring gedeutet werden als Parabel unserer Zeit und ihren gesellschaftlichen Verhältnissen? Oder als existenzphilosophische Parabel für die Situation, in der jeder Einzelne heute steht?
Als ich vor wenigen Jahren die „Ring“-Rezensionen von Andreas Goertz las, musste ich mehrmals lachen – und es war kein Lachen der Verachtung, sondern der humorvollen Berührung, die von Castorfs Inszenierungsideen evoziert wurde: Der neue Mensch kommt genauso wenig wie Godot. Der Übermensch mutiert sich nicht aus dem alten Adam. Der Ring wird größer, der Weltuntergang immer finaler. Wallstreet und Walhalla bedingen einander ... Ein deutscher Ring mit Berliner ‚Akzent’.
Die große inhaltliche Durchdringung des Rings als Kapitalismuskritik, Menschheitsaufbruch, Zarathustra-2.0, Mythologie-Selbstzertrümmerung ... wäre natürlich endlich auch mal dran, da wären wir wirklich näher bei Wagner. Ja, das würde mir gefallen, so eine Inszenierung, die es mal wieder ganz ernst meint. Genau davor haben alle Regisseure (und Veranstalter) offenbar Angst, sie glauben gar nicht mehr an Inhalte und daher wird jeder Gedanke ironisch gebrochen oder sonstwie verfremdet und die Verfremdung wird noch einmal verfremdet, und in diesen intellektuellen Schachtelungen kann sich jeder herausreden und ist gegen jede Kritik gewappnet, nur nicht gegen den Vorwurf der Beliebigkeit. Aber den kann man wieder umdrehen gegen den Kritiker und für sich reklamieren, den Freiheitsgedanken humorvoll geheiligt zu haben. Sinnlichkeit muss her, Aktualität, Hinterfragung von Bildern und Clichés ... unter dem Schirm der hinterfragenden ironischen Brechung kann jedes Cliché und jedes faule Bild auf die Bühne gestellt werden. Und vor allem: Die großen Ideen demokratisieren, also alles auf ein soziales Niveau runterziehen, dem fast keiner im Bayreuther Festspielhaus oder in irgendeinem Opernhaus der Welt entspricht. Solche Sozialisierungsversuche an Opern rechtfertigen sich für die künstlerische Elite gegenüber der zuhörenden und zusehenden Elite wieder durch die Arroganz, für die man sich berechtigt glaubt. Da ist letztlich ein Auslachen aller sozialen Fragen mit im Spiel.
Da war es schon viel, wenn es Castorf gelang, den Rezipienten zu einer humorvollen Geneigtheit zu bewegen. Mit Wagnerianern, die mit Bierernst am Meister kleben, möchte ich mich nicht gemein machen. Dann lieber Castorf. Der aufgeklärten Wagnerianer findet die Verarschung des Rings auf höchstem Niveau als Abwechslung gut. Variatio est mater masturbationum ...
Es ist nun mal die Tücke jeder Inszenierung eines alten Dudelsacks, dass man sich was einfallen lassen muss gegen den einschläfernden Grünspan der Kulturpfleger. Es ist nun mal unmöglich, eine Kritische Ausgabe des Rings auf die Bühne zu stellen. Es liegt in der Natur des spielenden Menschen, dass er intuitiv und berechnend alles durchprobiert, was denkbar ist. Der Ring wird auch noch comicalisiert werden - wahrscheinlich in verschwisternder Anlehnung an Tolkiens skurrile Epigonalität -, Siegfried als Tarzan in einer Castingshow mit Superman und Goofy, Charlie Brown und Linus, die Rheintöchter als Models und der ganze Ring dann als Dschungelbuch-Apotheose und als RTL-Dschungel-Camp: Holt mich hier raus, ich bin ein Star! Siegfried zum Beispiel. Noch hat man die Libretti nicht angerührt. Aber das kommt noch. Da ist noch viel Luft nach unten: Cracking! Und irgendwann interessiert einen Inszenator auch mal wieder die Luft nach oben, das Ozonloch des Geistes ist noch unerforscht. Die Operninszenierung ist die Fortsetzung des Lebens als Show mit allen Mitteln. Es ist nicht falsch, und es ist auch nicht richtig. Wagner und seine Opern, das sind lauter Schrödinger-Katzen. Es kommt drauf an, wie und wann man sie beobachtet. Wir sind im quantentheoretischen Zeitalter angekommen, da geht es nicht mehr um die zweiwertige Logik.
„Götterdämmerung“ als dekonstruktivistisches Spektakel, Rheingold als Musical - zum Beispiel -, das kommt alles noch, wenn nicht auf dem Hügel, dann eben in Valencia. Also: Bleiben wir gelassen und harren in humorvoll getönter Vorfreude der Dinge, die da kommen. Die Überraschung ist tot. Es lebe die Überraschung! Zurück zum Ring? Nein, wir sind mittendrin, springen raus und rein und bleiben gefesselt im Zwielicht der Dämmerung.
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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
Bilal
Sowas muss man eben mögen. Ich verachte die Edelcomics nicht, mir gefällt auch manches, aber sie ziehen mich halt nicht an.
Horror und Krimi - die absoluten Führer derzeit in Film und Buch - sind nicht meine Sachen, nie gewesen, abgesehen von dem ein oder anderen unterhaltsamen Film oder Buch.
Statt Comic interessiert mich aber die Kunst sehr, auch die Kunst unserer Zeit, ich bin laufend in Ausstellungen und Museen (so Corona mich lässt).
Erstaunlich gute Leute auf der Suche nach neuen, interessanten Inhalten, das Medium der Comic, dem des Theaters und Films gleichsam ins Buch gefolgt, und vom Wiederkäuenden Massenkonsum aufs Irrelevante geführt. Was bleibt, ist nicht nur eine Frage, die sich mir hier stellt.
Meine persönliche Lieblingsantwort.
Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte.
Danke für die interessante Unterhaltung.
Warum sich die Frage immer wieder stellt? Sie stellt sich jedem anders und jeder stellt sich ihr anders. Zumindest in der Kunst, meiner Meinung nach.
Zumindest sollte das so sein, lach. Aber das war schon immer unsere Schwäche, so sein zu wollen, wie andere. Mit wirklich erstaunlichen, Ergebnissen kann man es nicht nennen, weil die ganze Aufgabe fehlt, als Lehrer weisst du da sicher, was ich meine. Diesen Prozess, der zu einem Ergebnis führt, wieder wach zu rufen, darum ging es in diesem Text, zumindest habe ich ihn so verstanden. Es sind nicht die Kostüme, nicht das Bühnenbild, nicht die Choreographie, nicht das Make-up, obwohl alle/s dazu beitragen, dass es klappt.
und bitte entschuldige die vielen Korrekturen, ich wusste was ich sagen wollte, aber, es wollte nicht so aufs Blatt.
Und meine comic-phase ist übrigens auch nicht aktuell, ich fand das nur einen guten Einstieg, weil die einfach in alle Richtungen so viel produziert haben, und es mit Farbeffekten und allem unterlegt, aber letztendlich, eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte.
Und das gilt auch für die Konzertsäle oder Stadien, ob Klassik und E-Musik oder Bob Dylan und Co.
Und für Museen, die alte und neue Kunst zeigen.
Übrigens zeigte das Max-Ernst-Museum in Brühl (zwischen Köln und Bonn) schon zum vierten Mal Meister des Cartoons oder Comics (im weitesten Sinne): Tomi Ungerer, Tim Burton, Ruth Marten, Moebius - die ich alle gesehen habe. Eine gewisse Nähe zu den graphischen Arbeiten Max Ernsts haben sie alle, ich will aber nicht behaupten, dass me ein direkter Vorläufer für sie war.