KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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EX ORIENTE CRUX
839. Kolumne
In einer Zeit, die moralisch gern überdreht ist, sollten wir achtsamer sein und nicht in dem moralistischen Wettrennen mitmachen. Das Leben ist viel zu sehr angelegt auf das Praktische und Praktikable und Pragmatische - wir können unsere Natur nicht wirklich austricksen und absolute Perfektion erreichen. Kants kategorischer Imperativ ist schön und gut - aber er lässt sich nicht anwenden auf die komplexe Lage in Nahost. Das Zweckbündnis der USA mit Saudi-Arabien ist streng betrachtet falsch, aber es lässt sich als das kleinere Übel betrachten nach dem Maßstab einer praktischen Moral. Noch nie war Außenpolitik rein moralisch, sondern immer interessengeleitet. Bert Brecht hat in seinen Stücken klar dargestellt, dass sich nur der Reiche und Mächtige Moral leisten kann (auf Kosten der anderen).
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Was Israel betrifft, so sehe ich seit langem die Unlösbarkeit des Problems und ich bin skeptisch, ob die Existenz des Staates Israel wirklich dauerhaft sein kann. (In dieser Hinsicht ist das Bündnis der USA mit Saudi-Arabien lebenswichtig für Israel. Was aber, wenn sich die islamischen Staaten der Region wirklich einmal einig sind und wirtschaftlich und waffentechnologisch westlichen Standard erreichen?)
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1969 schrieb ich in einem Brief an Hans Berger, den Mitherausgeber der Zeitschrift NEUES ISRAEL in Tel Aviv:
Ich stehe übrigens auf dem Standpunkt, daß für meine junge Generation die gleiche moralische Mitverantwortung für die Ereignisse im Dritten Reich besteht wie für die ältere Generation. Schon deswegen, um ein Viertes Reich zu verhindern.
Ich möchte noch ein Wort zum arabisch-israelischen Konflikt sagen. Ich habe mit Sicherheit bei der Mehrheit meiner Umwelt den Eindruck gewonnen, daß der 1967 geführte Präventivkrieg gegen die arabischen Länder eine Notwehraktion war. Ich habe tiefe Genugtuung darüber empfunden, daß auch der sowjetische Atomphysiker Sacharow in seinem Memorandum die Haltung der Supermächte in diesem Konflikt als Politik der eigenen Machtposition entlarvte. Ich bin der Meinung, daß eine Lösung des Konfliktes nur darin bestehen kann, einen Friedens- und Sicherheitsvertrag zwischen Israel und allen arabischen Ländern zu erreichen, mit Anerkennung des Staates Israel. Es ist sicherlich dann vertretbar, einige der heute noch aus Sicherheitsgründen besetzten Gebiete wieder abzutreten (Ausnahme: Jerusalem und vielleicht ein Teil des jordanischen Gebietes).
Die Legitimierung, gewisse besetzte Gebiete zu behalten, sehe ich darin, daß die arabischen Länder erstens gering bevölkert sind, zweitens genügend Raum besitzen und drittens die heute besetzten Gebiete völlig verwahrlosen ließen. Durch Kultivierung der Gebiete hat Israel sich eine natürliche Legitimation zum Besitz dieser Gebiete verschafft.
Im zweiten Teil des „Faust“ steht ein Ausspruch, der genau auf die Situation zutrifft:
Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
Verpestet alles schon Errungene.
Den faulen Pfuhl auch abzuziehen,
Das letzte wär’ das Höchsterrungene.
Eröffn’ ich Räume vielen Millionen,
Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.
Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde
Sogleich behaglich auf der neusten Erde,
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
Da rase draußen Flut bis auf den Rand,
Und wie sie nascht gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt die Lücke zu verschließen.
Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht’ ich seh’n,
Auf freiem Grund mit freiem Volke steh’n.
Lessing und Goethe haben gehofft, und andere haben gehofft. Auch ich werde in ihrem Sinne weiterhoffen, daß es zu einem deutsch-israelischen Verhältnis kommen wird, das für beide Teile eine Bereicherung darstellt. Ich halte das eigentlich für die natürlichste Sache der Welt."
[in: Das Neue Israel Nr. 2, August 1969. S. 77f.]
Heute denke ich (notgedrungen) pessimistischer - leider.
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
Der Konflikt ist außerdem schon in Abraham - Sara - Hagar - Ismael und Isaak angelegt und hinreichend erklärt (siehe Genesis bzw. 1. Buch Moses).
Terror und Krieg haben selten zu einer Befriedung geschweigedenn zu einer Konfliktlösung beigetragen. Damit ist auf unabsehbare Zeit, mindestens für mehrere Generationen wieder alles zunichte gemacht worden. Die "Radikalisierung" auf beiden Seiten nimmt dadurch nur wieder zu.
Politische Lösungen sind hier im Übrigen zu sehr an jeweils verschiedene Macht- und Interessenslagen gebunden und selten zielführend. Wie übrigens viele Konflikte und Kriege im postkolonialen Umfeld / Nachraum.
Realistisch: Israel kann militärisch gar nicht auf diese Gebiete verzichten.
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An eine Lösung habe ich nie geglaubt, kann es heute noch weniger als damals.
Antisemitismus/Anti-Israelismus und Antiamerikanismus sind fest etabliert, und das bleibt wohl leider immer so.
(Hinzu kommt: Insbesondere in der Ära Netanyahu ist kaum eine Politik vorangetrieben worden, die Israels Situation verbesserte.)
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