KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Montag, 01. Juli 2024, 22:08
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Über Religion - inspiriert durch Thomas Manns Joseph-Roman

847. Kolumne


... am vergangenen Wochenende haben wir uns beide mit Religion befasst, der eine so, der andere so. Du mit humider Neigung, ich in arider Bescheidenheit. Für die zwei großen Aspekte unseres Lebens, Wie sollen und können wir leben und wozu? Und: Was kommt danach?, finde ich in Thomas Manns JOSEPH-Roman Antworten, die ich mir schon sehr lange gebe, jedenfalls für den ersten Aspekt. Für den zweiten gibt es keine Antwort außer dem Glauben. Und so habe auch ich Religion, wie wohl jeder Mensch. Glauben ist wohl die beste Übersetzung des Wortes Religion. Nur dass ich nicht an die Vorgaben der Religionen glaube, und das ist in der Tat meinGlaube. Ich brauche keinen Trost durch eine projizierte Gottes-Vorstellung. religio - Rückbindung, sagst du; so sagten es auch meine Religionslehrer. Rückbindung an was? Der Römer in der Antike verstand unter religio Gewissenhaftigkeit und meinte - so Cicero - das Wiederlesen (relegere) der Tempelvorschriften. Und da haben wir den Salat: die Kirche. Nun gut, neuere Theologie will es besser meinen, weniger Kirche, mehr Glaube (schon Luther wollte das). Aber so ganz ohne Kirche will es wohl bis heute nicht recht gelingen ... Schleiermachers Definition ("Religion ist das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott") klingt schön, aber sie birgt diese weder beweisbare noch unbeweisbare Gottes-Annahme. Kant meint (sic!), die Annahme sei sinnvoll. Das leuchtet mir sogar ein, und doch halte ich für mich selber nichts davon - und sage: Jeder nach seiner façon. Mein Gewissen hat einen ruhigen Puls bei der Annahme, dass mich Charon - völlig umsonst! - übersetzt, und zwar endgültig. Aufserstehung gibt es nur im Leben, nicht aber danach. Die Theologie rang (ringt?) um die Deutung neutestamentlicher Verheißungen - und schwebt immer noch in der Starre der Parusie ... Man gibt den Kinderglauben nicht auf, er eignet sich zu gut für Kirche und moralische Herrschaft - oder für die Selbstüberredung zu einer Auferstehung in eine transpersonale Einheit mit Gott nach dem Tode als Trost für die Endlichkeit des Lebens. Wem diese Selbstüberredung gelingt und guttut, der kann sich glücklich schätzen, und ich gönne es ihm, weil ich ja mir selbst nichts versage.  
Dies sei dir als Kollateral-Gewinn meiner Thomas-Mann-Lektüre mitgeteilt.


(aus einem Brief an P. S.)

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