KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Dienstag, 03. November 2009, 10:27
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Laszive Irrungen - mondenkind. Dressedinblack. II. Lyrik (8)

mondenkind, *1974, nennt sich „Walnussschalen-Piratin“ und „Gedanken-Hippie“. Mehr weiß ich nicht von ihr. Egal. Hier sind zwei kraftvolle Gedichte.

„Verschweigen“ scheint kein Beziehungsgedicht zu sein, die Verse gehen nach innen, der Blick „herbstet“ (in der ersten Strophe), wirkt matt und müde, will schlafen, bleibt aber wach, geradezu nervös, wie das Flügelflattern einer Motte, mehr im Verborgenen, Dunkeln, und wenn ich die zweite Strophe betrachte, geht es um sinnliche Mühelosigkeit, der Körper ist wach, erregbar, vielleicht aber auch nur eins mit der Natur, die ganze Dingwelt ist erotisierend – bis das große Aber kommt: „mein Spiegelbild regnet / tropft / seitenverkehrt / hinter die Stirn“: Selbstreflexion – das Ich verschluckt sich, ist betäubt, schließlich sogar verwundet oder erregt (was dasselbe sein kann): „und rot rinnt mir / ein weiterer Abend / über das Kinn“: Eine rote Zeit der Liebe oder das Blut der Wunde, das von innen nach außen fließt. Es bleibt unbewusst: „der November / schweigt“. Das Schlussbild mit den Disteln, die auf den Schultern wachsen, scheint die Wunde zu bestätigen, Abwehr einer neuen Verletzung.


Verschweigen

Mein Blick herbstet
lasziv
im mottigen
Liderschlag

während
Finger so mühelos
über nackte
Kastanienhäute
streifen

mein Spiegelbild regnet
tropft
seitenverkehrt
hinter die Stirn

und rot rinnt mir
ein weiterer Abend
über das Kinn

der November
schweigt

bald bald werden
auf meinen Schultern
Disteln blühn

Im nächsten Gedicht läuft das Ich, das ich mir als Eisblock vorstellen kann, weil es zuletzt schmilzt, vor der Sonne weg, weg vor den Angriffen brandiger Zungen, zu heftiger Liebe. Aber es hält der Verführung durch „das lodernde Wort“ nicht stand: „ich renne … ich fliehe / stolpernd … dann schmelze ich“. Das Ich ergibt sich und verliert sich sogar: „ein letztes Mal / nenne ich mich / beim Namen“. Im Unterschied zum „Verschweigen“ wird in diesem Gedicht die Wunde als Liebe angenommen, der Verlust des Ichs wird zum Gewinn im Wir.


Brennend

Sonnenstrahlen
stürzen in Strömen
über mein lichterlohes
Haar

ich renne
fliehe vor
leckend lachenden
brandigen Zungen

zu laut flüstern sie
das lodernde Wort
in meine Stirn

tanzen johlend
auf den Synapsen
meines Wahnsinns

ich fliehe
stolpernd

schlage
tiefe Bannkreise
in meine flammenden
Schritte

doch längst schon
längst sinkt mein
sandiger Blick

und salziges Nass
staubt mir
von den Wangen

ein letztes Mal
nenne ich mich
beim Namen

dann schmelze ich


* * *


Dressedinblack, *1984, aus Salzburg, sieht sich „verloren“ und beschreibt sich geheimnisvoll als „Mätresse und Muse“. Auch sie widmet sich dem Thema der Liebe: „österreichischem volkssport fröhnend. einmal mehr macht es mich kopf verlierend. was ist schöner als dieses gewirr?“ Ich weiß nicht, was soll das bedeuten…

„Minuit“ ist Mitternacht: Stunde der Reflexion, Ich-Zeit. Den ersten Teil des Diptychons nennt sie „Erreur“ – Irrtum; den zweiten Teil „Résumé, inéluctable“ – kurzer Abriss, unvermeidlich. Der erste Irrtum besteht darin, sagt das Ich, sich mit falschem Glück („Honigblüten“) zu überfressen; die Gier nach Liebe führt zu ungewollter „Übelkeit“. Der zweite Irrtum ist es, dem Kind in sich selbst zu sehr nachzugeben, dem Spieltrieb, dem Trieb, allerdings ist dies in unserer biologischen Konstitution nun mal so angelegt: „(Selbstläufer)“. Der dritte Irrtum ist der schlimmste: Das Ich schlachtet seinen Verstand. Es heilt („Ich trockne“) die nässende Wunde – aber das Herz, die Liebeswunde, blutet weiter.
Das „Résumé, inéluctable“ kehrt den Verwundungsprozess um. Das blutende Herz spielt (liebt) weiter: „Ich stelle die Uhr zurück…“ Der Liebesautomatismus (Selbstläufer) ist jetzt ein Verdrängungsprozess: „(vergessen, empfinden, vergessen)“. Zuletzt lockt wieder der „Honig. Klebrig. Süß -“ Die Liebesfalle.



Minuit


(I) Erreur

Jetzt voller Honigblüten
Dann voll von flauem Gefühl im Bauch
(verdorbenes Ein) Verständnis, un-
gegeben, Übelkeit

Das Kind in mir sehnt sich nach dir
(Selbstläufer)

Ich ziehe dem Verstand die Haut ab
Ich trockne sämtliche Nässe am Leib
Herz (ausgeklammert(


(II) Résumé, inéluctable

Es ist schon seit Anbeginn zwei Minuten
zu spät
Am Ende bleibt zu viel (Z.)
Ich stelle die Uhr zurück und spiele weiter

(vergessen, empfinden, vergessen)

Tötet doch das Kind!
Es spricht (nicht) mehr.
Ich komme nach

Honig. Klebrig. Süß -



Das Diptychon „Irrlicht. Wir“ thematisiert nun auch die Verlorenheit des Einzelnen in der Leere des Seins. Das Wir im Titel meint diesmal kein Paar in Liebe, sondern die Gleichheit aller Individuen – wir alle sind gemeint.
I. Es gibt zwar keine Grenze für unser Denken, aber wir finden auch keinen Halt: „Wir sind wie Räume ohne Wände.“ Außer uns ist die Leere, ihr einen Sinn zu geben, ist sinnlos: Irrlicht. Es gibt keinen Sinn, kein Fundament, auf dem wir stehen, die Welt, unser Sein ist bodenlos. Die Sinnlosigkeit hat keinen höheren Sinn: „Der Schnee liegt tot.“ Wenn das lyrische Ich nach dem Grund seines Gegenübers fragt, so ist dies eine Scheinfrage – es gibt keinen Grund, es gibt also auch keine Liebe: „lass mich. / Sieh.“ Sieh ein, dass es, letztlich, sinnlos ist.
II. Ich bin verloren, der Faden der Ariadne sichert nicht meinen Weg. Im erkennenden Lachen will sich das Ich retten – aber auch dies gelingt nicht: „Die Stimme bricht mir. / Nicht nur, aber auch.“ Der letzte Vers legitimiert ein wenig die Hoffnung – Irrlicht.


Irrlicht. Wir.

I

Wir sind wie Räume ohne Wände.
Ich stoße mir den Kopf
an der lauten Leere, dem Bodenlosen.
Der Schnee liegt tot.

Wir sind wie Fässer ohne Boden.
Zeig mir deinen Grund und lass mich.
Sieh.



II

Wie nichts anderes irre ich
Theseus gleich nach dem Faden:
dieser fliegt mit den Schwingen
der Unmöglichkeiten davon.

Dorthin, wo alles begann.
Sag mir doch, wo ist das gewesen?

Ein letzter, bescheidener Wunsch:
Das Sehnen möchte fallen und
zerschellen:
mit dem Klang meines Lachens.

Die Stimme bricht mir.
Nicht nur, aber auch.


Ulrich Bergmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Theseusel (09.03.07)
Auch heute wieder gern gelesen. Bei Mondenkind ist mir in der letzten Zeit noch ihr spielerischer Umgang und die Umsetzung mit den Formen aufgefallen z.B. bei Terzinen und Sonetten. Deine letzten Sätze zu den beiden besprochenen Gedichten treffen meines Erachtens den Kern mit einer Präzision, die nicht irrt!

Dressedinblack nehme ich als Empfehlung mit, da ich sie bis jetzt noch nicht gelesen habe.

 Theseusel (09.03.07)
Wie nichts anderes irre ich
Theseus gleich nach dem Faden:
dieser fliegt mit den Schwingen
der Unmöglichkeiten davon.

Ist doch immer wunderschön Bergmann. Da lese ich mir die Gedichte durch und müßte jetzt Werbung für ein Gedicht von Theseusel machen. Aber das gehört sich nicht ... danke:)
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