KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Frostmund - conejo. II. Lyrik (14)
Ich stelle die Lyrikerin conejo vor, eine Studentin aus Niedersachsen, 1985 geboren. Sie schreibt sprachlich leicht in die Tiefe. Ihre Gedichte und lyrischen Prosaminiaturen gehören zum Besten auf KV. Conejo - eine wunderbare, zum Glück nicht zu späte Entdeckung! Ihr Wahlspruch: „Pies... Para qué los quiero si tengo alas pa’ volar” (Frida Kahlo)
Drei Gedichte. Natürlich sind es wieder Liebesgedichte, oder Gedichte zur Klärung der Verhältnisse im Verhältnis - was sonst bei so einer jungen Frau… Aber so gut gemacht, dass es sich lohnt, diese Lyrik zu lesen.
herz,
dem tag schnitt ich mit einer schere
gewöhnlich eines andren zwecks in sein
pfirsichweisses fleisch die scham trug er
im nacken nur wie aufbegehrend
kam ein schwall von morgenrot in mein
gesicht besprenkelt fragte ich wo
bist du nur gewesen
Im ersten Gedicht („herz“) geht es gleich um ein Hauptthema der Liebe: Um das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz. Zu Beginn schneidet das weibliche lyrische Ich das Thema an, um das es ihr geht: Die junge Frau schneidet die zarte Haut der Zeit auf wie einen Pfirsich, um sie wie eine Frucht zu genießen - die Zeit wird im nächsten Bild zum Mann, dessen Scham (Körperseele) die junge Frau nur im Nacken findet, sie kommt nicht richtig an ihn heran, er ist zu, sie sieht ihn nur von hinten, er wendet sich ihr nicht zu. Sie aber wird rot, sie ist heiß von ihm, heiß auf ihn, ein Beginn (morgenrot), aber nur „besprenkelt“, noch nicht ganz vom Feuer erfasst, sie sieht nur den Nacken, hat aber nicht den Begehrten, den sie zuletzt fragt: „wo bist du nur gewesen“ - war er weg, war er gar nicht richtig da? War alles nur ein Traum? Ein kurzes, aufflackerndes Begehren? So vermute ich. Schön wird dieser Traum oder Wunsch im Realen mit dem (gedachten oder gesagten) Vorwurf pointiert: Du bist nicht da. Ich kann dich nicht erreichen.
du sagst lochfrass
Gedanke
Bums. Bums bums bums. So hoert es sich immer an, wenn ich
durch dein Herz falle und zwischen deinen Fuessen lande. Du sagst
das laege am Lochfrass in dir. Du sagst auch Seele, deine Seele
sei ganz zerfranst. Ich stelle mir dann immer deine Schmerzen vor wie
einen Fleischwolf und glaube dir jedes einzelne Wort aus dem
Mund mit meinen Haenden. Ich weiss ueberhaupt gar nicht, wie ich
mich anfuehle, wenn ich nicht nach dir fasse. Doch nach nichts
griff ich lieber. Wenn sich deine Hand kurz vergisst und mir das Haar
streicht im Vorbeifuehlen, dann. Weiss ich wieder, wohin mit mir.
Ich hab mich schon ganz wund an dir geklettert, doch kaum werd ich
deiner Knoechel muede, nie, deiner Brust. So hab ich dich wenigstens
-|unter meinen Fingernaegeln|- ganz fuer mich allein.
Auch dieses Gedicht ist eine kleine Elegie: Gleich zu Beginn wird das Bedauern klar: Er will nicht ihr Herz, sondern nur ihren Körper. Sie fällt bei ihm durch. „Bums. Bums bums bums.“ Das ist Herzschlag und Liebesakt. Auch „Lochfrass“ ist so ein ambivalentes Wort: Er bleibt im Hochgefühl des sexuellen Reizes leer, auch danach. Sie glaubt ihm jedes Wort aus dem Mund mit ihren Händen, sie muss klauben und glauben, sie verlangt Erklärung und muss raten, rätseln, deuten - er gibt sich nicht preis. Und so weiß sie nicht, wie sie bei ihm ankommt, wie er sie findet, auch die Berührung verrät ihr nichts. „Doch nach nichts griff ich lieber.“ Das zeigt ihre Hoffnungslosigkeit. Sie freut sich über das geringste Entgegenkommen, aber sie weiß: Wenn er sie streichelt, bedeutet es nichts - jedenfalls nicht für sie. Wunderbar ist das Bild: „Ich hab mich schon ganz wund an dir geklettert…“ Sie hat sich wund geliebt an ihm, sie verletzt sich in dieser Liebe, im verzweifelten Verstehenwollen, in der Suche nach ihm, seinem Herz, seiner Seele. Der Schluss ist wieder Resignation. Sie bleibt in ihrer Liebe zu ihm mit sich selbst allein.
absehbar
wie algen klebt dein haar gruen an der stirn
oliv durchwebt - die farbe deines blicks
du sprichst mir asche.
dein frostmund kuesst mir still
die risse meines brechenden genicks
(ich wuensch mich schlafend unter deine lider
ganz nah am blau dort flechte ich mein nest
ich halt auch still.
ganz still halt ich den atem
in meinen weissen katzenhaenden fest)
du dichtest nebel um die fuesse meiner liebe
schreibst ferse an die knie meiner welt
ich merke wie
das ”wir” in deiner stimme
aus deinen wolken auf den ruecken faellt
es ist wie qualvoll langsames erwachen
halb | da. mein herz schlaeft heute aus
kuess einmal nur noch
meine (gelben) augen
dann stuerz ich mich aus deinem blau heraus.
Wir verstehen nun auch das dritte Gedicht ganz leicht: „du sprichst mir asche“ … „dein frostmund“: Er gibt ihr keine Liebe, nach der sie sich sehnt, er will oder kann keine Gegenliebe geben. Und daran geht sie zugrunde, er bricht ihr das Genick, und er weiß es, er küsst ja sogar ihre tödliche Wunde.
In der zweiten Strophe wieder ihre Sehnsucht - sie muss trotzdem lieben. Sie setzt das aber schon in Klammern, so klein ist ihre Hoffnung.
Dritte Strophe: Diese Liebe kann nicht laufen, sie wird stolpern, die Beine dieser Liebe sind blind. Er bleibt in seinen Wolken, in seiner Welt, und das Wir fällt auf den Rücken wie ein Käfer, der nicht laufen kann.
Am Ende steht ihr Erkenntnisschmerz, sie ist erschöpft, wird krank (gelbe Augen) und resigniert, will ihn verlassen, weil sie muss.
Schwer zu sagen, welches der drei Gedichte das schönste ist. Mir gefallen alle drei. Ich wünsche mir, dass sie den Weg in eine überregionale Lyrik-Anthologie finden.
Ulrich Bergmann
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
(11.01.08)
(11.01.08)
(13.01.08)