KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Mittwoch, 12. März 2008, 23:47
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Woytyla

Wir gehen durch die Stadt auf den Hügeln. Vor uns steigt der riesige Palazzo auf, die Sonne strahlt gegen die gelbrote Steinfasse. Neben mir Jutta Bayley, meine Begleiterin. Hinter mir die Schüler. Wir betreten den Palazzo, im Treppenhaus ist es dunkel, aber in der oberen Etage, im großen, von halbhohen Wänden, die nicht zur hohen Decke reichen, und gläsernen Binnenfenstern unterteilten Raum vor dem halbkreisrunden Riesenfenster der Loggia scheinen die gebündelten Strahlen der Sonne in den Raum. Ich gehe über den steinernen Boden durch den Raum. Im halben Gegenlicht sehe ich die weiße Wand wie einen Schatten. Ich schaue zu Boden. Vor mir kauert ein alter Mann in weißen Gewändern. Der Hingesunkene hebt die Hand und bittet mich stumm, ihn aufzuheben. Ich bücke mich, da hebt er die Arme, er lächelt, ich greife ihm unter die Arme und ziehe ihn nah an mich heran und hebe ihn hoch, bis er steht. Er lächelt wieder, sagt aber auch jetzt nichts. Er wendet sich langsam ab und geht in die helle Tiefe des Raums, bald steht er hinter einer großen Glaswand, jetzt sehe ich ihn im Gespräch mit seinem Privatsekretär. Die Schüler laufen an mir vorbei, durchqueren den Raum und gehen hinaus auf die Loggia. Ich gehe zu dem alten Mann, den ich eben umarmte. Hinter mir schwirren die Schüler wieder aus dem Raum. Wo ist Jutta? Ich stehe im Glaswandraum. Hinter mir der Privatsekretär. Vor mir auf einem großen Schreibtisch liegt der alte Mann auf dem Rücken, sein Mund schnappt nach Luft, auf und zu, auf und zu, die Arme greifen wirr durch die Luft. Woytyla sieht durch mich hindurch. Sein Gesicht hat eine glatte Haut, Augen und Mund schreien mich stumm an. Ein sterbender Fisch. Das ist mein Vater, denke ich. Mein Vater war auch ein Christus, als er in Sibirien in der langen Gefangenschaft war…
Ich verlasse den Palazzo und schaue zurück, starre hinauf zur Loggia - hinter dem riesigen Fenster stirbt Woytyla, mein Vater. Ich laufe die sommerstaubige Straße hinab, durch die die Sonne weht, und schaue immer wieder zurück und zwischen den anderen Palästen hinauf zur Loggia des Todes. Dort sterbe ich. Die Straße macht einen scharfen Knick. Meine Zeit ist eine Serpentine. Auf einmal stehe ich unter einem blühenden Hügel. Da sitzen meine Schüler mit Frau Bayley im Gras - wie Frühlingsblumen im schimmernden Gegenlicht. Und über ihren Köpfen, oben am Hang, Woytylas Loggia. Ich lebe!, sage ich mir. Und dann frage ich die Schüler: Wo gehen wir hin? Sie wissen es nicht. Ich aber weiß es nun.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

orsoy (56)
(11.03.08)
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