KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Montag, 10. Oktober 2011, 09:24
(bisher 2.613x aufgerufen)

Kurze Rede zum langen Abschnitt oder Von Büchern und Menschen

275. Kolumne

Rede zur Verabschiedung von Peter S. in den Ruhestand.

Lieber Peter,
ich weiß, ich sage dir hier nichts Neues. Aber was tun? So ist es nun einmal, gerade unter denen, die sich kennen und etwas verstehen.
Andererseits, was wir wissen können, sagen wir immer wieder nur in anderen Worten, das liegt im Wesen aller Sprachen, der naturwissenschaftlichen wie der künstlerisch-literarischen, die du so sehr liebst, dass wir uns darüber immer wieder streiten.

Gerade das macht dich aus: Dass du ein Philologe bist par excellence. Nicht nur von altem Schrot und Korn, das auch, und es wäre gut, wenn noch viele das philologische Handwerk beherrschten. Aber nicht nur das, sondern das Wichtigste: Die Literatur wirklich zu lieben wie ein Liebhaber, der in den Kunstwerken das Leben nicht nur erkennt, sondern umarmt.
Ganz klar, wer so liebt, der kann auch leidenschaftlich ablehnen, muss gerade wegen der kühlen Argumente sich entscheiden.
Im Grunde bist du ein Mensch, der viele Dinge und Ideen, Menschen und Bücher sehr wohlwollend sieht, guten Mutes sozusagen. Aber du kannst auch scharf werden, wenn es um Wertungen geht.

Vor sechs Jahren zum Beispiel, als wir in Jerusalem waren, griff ich Schillers kantische Nähe an, weil sie mir didaktisch oft zu aufdringlich erschien. Da zog ich aber den Kürzeren, als Schaarschmidt Schiller verteidigte! Er haute mir die Argumente mit Originalzitaten um die Ohren, alle die scharfen Worte Schillers und des Doktorvaters Emil Staiger. Mit Peter Schaarschmidt diskutieren heißt eben manchmal mit Goethe oder Thomas Mann selber zu reden.

Der kann so zäh sein, dieser gute Mensch von Wachendorf! Gödels Band ist nichts gegen die Schlaufenstrategie Schaarschmidtschen Argumentierens. Beweis:
Als ein Jerusalemer Taxifahrer für den Weg von der Knesset zur Altstadt einen Wucherpreis kassieren wollte, stellte Peter dem Halsabschneider in fließendem Englisch die (kantische) Frage: Mal ehrlich, was würden Sie bezahlen, wenn Sie Passagier gewesen wären?, und zog Frage um Frage die sokratische Schlinge zu. Es war ein rhetorischer Marathon, aber am Ende zahlten wir den Preis, den der Taxifahrer sich selbst gezahlt haben würde. Natürlich kann man sich fragen, ob der Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zum Erfolg steht. Aber darum ging es nicht. Peter Schaarschmidt hat diesen Alltagsdiskurs nicht als Ökonom geführt, sondern als - Philologe! Oder Lebensliebhaber, was dasselbe ist oder sein sollte.

Auf dem Rückflug von London vor drei Jahren gab sich Peter Schaarschmidt als zeitökonomischer Radikaler.
Wir stritten wieder einmal um die Frage, welche Lyriker in der deutschen Literatur die besten sind. Wir hatten ähnliche Ergebnisse, aber Gottfried Benn kam in seiner Liste nicht vor. Peter: Nein! - Ich: Wie bitte? - Nein! - Du kannst doch nicht Benn... - Doch! - Peter, du kannst doch nicht den Dichter des gezeichneten Ichs... - Kann ich! Benn ist ein Schwätzer! - Peter, Benn, das war... ist ein ganzes Lebensgefühl, das er in mir angezündet hat! - Hah! - Peter, wenn du Benn nicht verstehst, hast du überhaupt keine Ahnung von Lyrik! - Ich verstehe ihn schon, aber er ist eben ein Schwätzer, genau wie du!
Das gefällt ihm eben nicht: Wenn das Spielerische oder der Ton eines Gedichts sich absolut setzen, oder wenn die Substanz in Beliebigkeit sich aufzulösen droht...

Ganz frei und alle eigenen Regeln oder Prämissen des Urteilens übersteigend, oder gar überstaigernd, ist mir Peter Schaarschmidt immer in der Kunst vorgekommen, ob in der National Gallery, im Musé Picasso oder in der Betrachtung der Avantgarde von heute. In einem Gespräch über den berühmten Akt von Courbet, den wir sehr kontrovers deuteten - er sah die Frau als Stillleben, ich nahm den Titel „Die Geburt der Welt“ als Beschreibung männlichen Bewusstseins -, öffneten wir im Musé d’Orsay einer immer größer werdenden Menge von Zuhörern, die sich um uns schaarten, die Augen.

Und im Zug von Jerusalem nach Tel Aviv öffnete Peter Schaarschmidt mir die Augen für eine seiner Lebensmaximen, die mich sehr stark beeindruckte. Das geschah natürlich wieder während eines kontroversen Gesprächs, diesmal über Lebensstile.
Sein Leben, sagte er, sei ein Versuch, aus der Freiheit des eigenen Geistes Lebenssphären zu gestalten, in denen er seine Freiheit und die Freiheit der anderen in Toleranz verantwortet. Das ist Kant! Das ist Schiller, ins Heute gesetzt.
Chapeau, Peter! Du versuchst wirklich deine Maxime zu leben. Das kann ich, wenn ich dich als ein Lebenskunstwerk betrachte, in den Bildern deines Lebens sehen.

Nun will ich dir noch ein Gedicht verraten:

Sphärische Längen

Du hältst dich, wenn du fällst, in deinen Sphären,
erschaffst die Welt im Sturz noch aus dem Nichts,
du gehst, wenn sich die Tage still verzehren,
über enge Grenzen des Lichts:

Du hast nur dich und dein Verklären,
ein weites Leben im Ungefähren
deines Weltgerichts.

Dieses Gedicht ist von - Gottfried Benn! Es enthält deine Idee eines selbstregierten Lebens. Ich schenke es dir! Und dieses Wort: Du wirst mir hier sehr fehlen. Du wirst deinen Freunden im Kollegium sehr fehlen. Dein Amt ist ersetzbar. Du nicht.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram