KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Der Schreibtisch meines Großvaters
332. Kolumne
So einen Schreibtisch wollte ich später auch haben. Die vielen Schubladen mit Dokumenten, Briefen, Notizen, Bildern und Fotos. Der Schreibtisch war wie ein Gehäuse! Da wohne ich abends, wenn ich schreibe, dachte er. Auf dem Sims über der Schreibplatte, die man ausziehen konnte, stand Roberts Bronzepferd. Unter dem Sims befanden sich Fächer und kleine Schubkästen für Briefmarken, Adressenbüchlein, Fotos, Bleistifte, Kalender. Auf der Schreibplatte stand ein silbernes Zigarettenkästchen zur Aufbewahrung der Visitenkarten. Es oxydierte ständig, aber wenn man es mit Zahnpasta einrieb und blank polierte, spiegelte sich in den Seitenflächen die hellbraune Holzmaserung. In der Mitte stand eine Holzschale, die ich im Werkunterricht geschnitzt hatte. Darin lagen die Montblanc-Füllfederhalter, der dünne blaue und der dicke schwarze. In einem Fach darüber stand Teja, eine Zinnfigur aus der Zeit der studentischen Verbindung, ein Symbol für die tägliche Pflicht. Daneben der Alte Fritz mit Dreispitz und Gehstock, eine Bronzefigur, und Napoleon, eine Büste aus Blei zum Ausdrücken der Zigaretten. Nichts war ihm lieber, als Briefe zu schreiben und Artikel für die Zeitungen, Bücher zu lesen oder Tagebucheintragungen zu machen. Auf einem Aktenschrank neben dem Schreibtisch stand eine alte Pendelbriefwaage und eine kleine Mozart-Büste aus Alabaster.
„Manchmal blinzelt mir Amadé zu“, sagte mein Großvater, wenn er mit mir am Schreibtisch saß, „im Lichtkegel der Lampe bin ich in einer anderen Welt.“ Ich betrachtete rings um mich die Bücherregale, die bis unter die Decke reichten.
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
Wer so ein Kunstwerk erbt mit der Aufforderung, durch Schreiben Tradition zu erhalten und Neues zu entdecken, darf sich glücklich schätzen.
LG
Ekki
(08.03.13)