KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Im Dickicht der Städte II
349. Kolumne
Eine wahre Geschichte
Isabel genoss das, wenn sie bis zum Äußersten ging. Als sie in einem Bistro spielten, in der Isabel ihre Handtasche auspackte, Ruth und Verena zeigte und den Inhalt in bizarren Erzählungen veranschaulichte, ging sie fast zu weit. Sie holte ihren Spiegel raus, besah sich und dachte laut darüber nach, wie die Männer ihren Lidschatten finden. Jetzt packte Ruth aus. Sie zog ihr Nagelstudio aus der Tasche und fabulierte derart pervers über Hände und Füße, dass die Gespräche an den Nachbartischen verstummten. Dann Verena. Die drei Mädchen gefielen sich. Sie stellten ihre Parfums auf den Tisch, zeigten sich ihre Kreditkarten, Schmuckstücke, Süßigkeiten und Präser, spielten mit ihren Handys herum, gingen einige Adressen durch und erzählten sich groß ihre kleinen Alltagsabenteuer. Die Leute an den anderen Tischen wunderten oder amüsierten sich, aber das war Isabel zu wenig. Sie holte die Handschellen aus der Tasche. „Damit fessle ich ihn!“, sagte sie. „Zeig mal her!“, sagte Ruth, „die sind ja richtig schwer!“ „Fessle mich!“, sagte Isabel. Ruth dachte natürlich, die hat nen Schlüssel. Da war das Schloss schon zu. Als Verena dann mit den Fingern nach dem Kellner schnipste und um Hilfe bat, musste Max, der an einem Nebentisch mit der laufenden Videokamera auf dem Knie die Szene filmte, laut auflachen. Niemand merkte was. Der Kellner rief tatsächlich mit dem Handy einen Freund herbei, der sich mit so einem Schloss auskannte.
[Unsichtbares oder Verstecktes Theater nach Augusto Boal.
Klasse 10C TESTET ZIVILCOURAGE IN BONN, Projekttage 16.-18.7.2003.
Wir waren überrascht, dass bei den inszenierten Streitereien der Jungen oder Mädchen jedes Mal Passanten in der Sternstraße sich beschwichtigend einmischten, teils auch androhten die Polizei zu verständigen. Besonders couragiert zeigte sich ein kräftiger Kleinlastwagenfahrer am Markt, der auf den vorgetäuschten Diebstahl einer Tasche sofort reagierte, als die Bestohlene um Hilfe rief. Er sprang vom Fahrersitz auf die Straße, fing den Dieb und stellte ihn energisch zur Rede.
"Tor!", "Streit", "Taschenspiel", "Hütchenspiel" und "Jagt den Dieb!" so hießen die Inszenierungen in der Bonner Fußgängerzone, die auf Video dokumentiert wurden. Die Klasse präsentierte am Freitag um 9:30 und 11:00 im überfüllten Physiklehrsaal die Aufzeichnungen, die die Akteure kommentierten.
Fazit: Die Inszenierung von Realität, auch ihre filmische Dokumentation, ist viel schwerer und zeitraubender als gedacht. Wichtiger aber war die Erkenntnis, dass Zivilcourage stärker existiert, als wir dachten.]