KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Montag, 24. Juni 2013, 14:57
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Parsifal - Übermensch & Erlöser?

360. Kolumne

Die Kölner Oper im Musical Dome: Eine Inszenierung von Carlus Padrissa

Trotz einiger Inszenierungsübertreibungen (z. B. Richard Wagner als Titurels Leiche ... ein gar nicht so abwegiger, gewitzter Einfall) gelang Carlus Padrissa eine vielschichtige Inszenierung als Fortsetzung der Oper unter Einschluss aller Mittel des Musicals ausgezeichnet unterhaltsam und anregend.

Spektakuläre Bühnenbilder und Kostüme – vier große Kuppelsegmente in verschiedenen Aufstellungen, in weißem Dress und Atemmasken das junge medizinische Personal als Großgruppe; technische Aktionen mit schwebenden Figuren im Bühnenraum – inszenierte Skepsis zwischen Himmelfahrt und Begräbnis oder Balance von Heiligkeit und Übermensch; überzeugende abstrakte und filmisch-gegenständliche Computeranimationen von Grals- und Seinsbedeutungen – Spiele von Form und Inhalt, Geist und Körper; grandiose Beleuchtungsideen und Chor-Choreographien inmitten des Publikums ...

Der alte Weltstar Matti Salminen sang prononciert den Gurnemanz – so könnte die Oper, die Wagner ein Bühnenweihfestspiel nannte, auch heißen. Oder ein Requiem im Operngewand, darin Verdi nicht unähnlich. Oder ein existentialistisches Karfreitagsoratorium im Zeichen der Gralslegende.

Silvia Hablowetz als Kundry – ein starker Mezzosopran, der noch einige Luft nach oben hat. Darstellerisch gelang der Spagat Morgana-Novizin. Young Doo Park war ein stimmlich starker Amfortas und Klingsor. Mario Jenztsch überzeugte als lyrischer Tenor.

Dass der Tod heutzutage bewusster und öffentlicher wahrgenommen wird, dafür hat die erfolgreiche Lebensverlängerungsmedizin gesorgt. PARSIFAL ist auch ein Oratorium der Pflegestufe III. Das deutete die Inszenierung mit dem Heer stummer junger Komparsen in Pfleger-Uniform an. Sie teilten am Schluss im Publikum Brot aus. Ein Abendmahl fünf vor zwölf vorm Dauerton des Herzstillstands. Das alles in hollywoodianischer Gigantomanie.

Sehr überzeichnet zum Ende hin. Aber egal. Ich blieb frei in meiner An-Sicht dieser einzigartig faszinierenden Christus-Nachfolge-Oper, die Nietzsche und den freien Christenmenschen versöhnen will. Das klappte, obwohl vielleicht eher Nietzsches Vatermord an Wagner gemeint war. Die Ermordung des Erlösungsdramas scheiterte jedenfalls, daran änderte auch das Taufbad der nackten Kundry nichts, die wie ein Goldfisch im Becken des Grals ihre Kreise drehte.

Man hätte hier und da den Mehrwert der Einfälle reduzieren können – andererseits: Diese Art von postmodernem Eklektizismus war stimmig, löste Freude aus in mir, sinnliche und geistige, sie fand die Synthese von Geist und Körper, von Form und Inhalt, von Vergangenheit und Gegenwart.

Ulrich Bergmann, 12.4.2013



Thomas Mann sagte im Vortrag Richard Wagner und der Ring des Nibelungen 1938 in der Aula der Universität Zürich:

„Der ungeheure; man kann sagen planetarische Erfolg, den die bürgerliche Welt, die internationale Bourgeoisie dieser Kunst dank gewisser sinnlicher, nervöser und intellektueller Reize, die sie bot, bereitete, ist ein tragikomisches Paradox und darf nicht vergessen machen, daß sie einem ganz anderen Publikum zugedacht ist und sozialsittlich weit hinauszielt über alle kapitalistisch-bürgerliche Ordnung in eine von Machtwahn und Geldherrschaft befreite, auf Gerechtigkeit und Liebe gegründete, brüderliche Menschenwelt.“

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