Terwitte, Paulus:

99 Minuten Bibel

Eine Rezension von  JoBo72
veröffentlicht am 05.05.09

Heilige Konzentrate. Bruder Paulus zeigt uns, worauf es ankommt

Kompendien liegen im Trend. Schreibende Ordensleute ebenso. Der Benediktiner Anselm Grün wurde mit seiner Ratgeberliteratur weltberühmt, der Kapuzinerbruder Paulus Terwitte bewegt sich quantitativ auf etwas niedrigerem Niveau, hat aber auch schon eine ganze Reihe an spirituellen Büchern veröffentlicht, darunter jüngst „99 Minuten Christentum“.

Zuvor verfasste er bereits das Buch „99 Minuten Bibel“. Kurz-Bibeln erfreuen sich in Zeiten, in denen Komplexitätsreduzierung zur Überlebensstrategie wird, großer Beliebtheit und ihre Autoren unterbieten sich in punto „notwendiger Aufwand“. Während man bei Stan Campbells „Espresso-Bibel“ in „60 Minuten durch das Alte und Neue Testament“ jagt, muss man für die Version des Bruder Paulus schon die Dauer eines Fußballspiels (inklusive Nachspielzeit) aufbringen, um sich dem Buch der Bücher zu nähern.

Mehr als eine Annäherung kann es nicht sein. Eine oberflächliche noch dazu. Das ist natürlich schade, wenn man weiß, wie wichtig und schön so manche Details sind, wenn man weiß, dass es zu einzelnen Versen der Bibel 500seitige Abhandlungen gibt, wenn man den Klang der Psalmen zu schätzen weiß. Und die tiefe Bedeutung vieler Einzelheiten, die in einem 120-Seiten-Büchlein nicht gewürdigt werden können. Doch wer Kurz-Bibeln voreilig unter den Verdacht der unzulässigen Vereinfachung stellt, sollte sich die Zielgruppe vor Augen stellen, die Bruder Paulus ansprechen möchte: Menschen, die sonst gar nichts von der Bibel erführen, weil sie diese nach vergeblichen Leseversuchen verwirrt und von Umfang und sprachlichem Duktus der Texte frustriert „wieder zur Seite legen“. Diesen interessierten theologischen Laien will Bruder Paulus helfen, sich besser zurechtzufinden. Ihnen will er „Appetit auf mehr machen“, in ihnen will er die Lust wecken, „zur richtigen Bibel zu greifen und genauer nachzulesen“. Das ist ein löbliches Vorhaben!

Bruder Paulus stellt in kurzen Gedanken die Kernaussagen der biblischen Bücher als heilige Konzentrate vor. Entsprechend der Bedeutung des Evangeliums für das Christentum liegt der Schwerpunkt auch hinsichtlich des Umfangs auf dem Neuen Testament, dem er 37 Kapitel widmet; dem Alten Testament widmet er dagegen nur 17.

Im Inhaltverzeichnis sind noch einmal die jeweiligen Essenzen thesenartig aufgeführt. Es ergeben sich regelrechte Merksätze. Diese kann man sowohl in der Katechese als auch in Betrachtungen zu den entsprechenden Bibelstellen fruchtbar werden lassen. Bruder Paulus gelingt damit eine Verdichtung christlicher Religion auf Grundprinzipien, die sprachlich verständlich und inhaltlich einsichtig sind. Sie verdeutlichen den Charakter christlichen Glaubens als Orientierung an Gott zum Wohle der Menschen. Die Sätze sind sehr aussagekräftig und bestechen in ihrer schlichten Eleganz. Wenn Bruder Paulus etwa über die Zehn Gebote sagt: „Das menschliche Leben braucht eine Ordnung. Diese wird nicht vom Menschen erfunden, sondern Menschen finden sie, wenn sie bereit sind, nichts höher zu schätzen als Gott und seine Gebote“, dann hat er damit die christliche Ethik auf den Punkt gebracht. Das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus wird zusammengefasst mit den treffenden Worten: „Mit Jesus bringt Gott einen Menschen in die Welt, durch den er den Menschen ganz nahe kommt und durch den alle Menschen Gott nahe sein können“. Jesu Auferstehung, die Begegnung mit seinen Jüngern und der Beginn des Christentums wird ähnlich prägnant als „Neuanfang“, „persönliche Überzeugung“ und „Gemeinschaft“ beschrieben. In den einzelnen Kapiteln, die sich jeweils über eine Doppelseite entfalten, wird neben dem textlichen Umriss des Themas auch die Bibelstelle genannt, auf die sich die Gedanken beziehen, so dass der Leser ohne weiteres auf das „Original“ zurückgreifen kann.

Man kann den Text in einem Rutsch durchgehen, so anregend ist er geschrieben, man kann aber auch die einzelnen Kapitelchen für sich lesen, etwa in Vorbereitung auf bestimmte Festzeiten im Kirchenjahr. Das schlanke DIN A 6-Format lässt das Buch in jeder Westentasche verschwinden, so dass es auch ein guter Reisebegleiter ist, wenn bei Mitnahme einer Bibel Übergepäck anfiele. Doch ist es, darauf weist ja auch sein Verfasser hin, kein Ersatz für die „echte“ Bibel, sondern nur eine Anregung, ein Appetithappen. Den jedoch hat Bruder Paulus gut angerichtet, denn seine 99-Minuten-Bibel macht wirklich Hunger auf mehr, da es ein orientierendes Grundverständnis verschafft, aus dem heraus sich der Leser wieder getrost an das „Original“ heranwagen kann.
Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.


Zurück zur Liste der  Rezensionen von JoBo72 , zur Autorenseite von  JoBo72, zur Liste aller  Buchbesprechungen
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram