Eje Winter:
blattgold ein übern andern tag
lettres poétiques 1995 - 2002. mit 10 lichtbildern von steffen kluge
Eine Rezension von Bergmann
Ich habe das Buch bis 3 Uhr in der Nacht zu Ende gelesen – mit großer Spannung auf die Abfolge der Gedanken und Briefe und Freude an den poetischen Formulierungen – vor allem im Anfangsmotto und in der Schlussformel.
Der Titel „blattgold ein übern andern tag“ nennt die Kostbarkeit der Briefe und der Korrespondenzen.
Die Struktur überzeugt in allen Teilen. Die Gliederung in drei Kapitel – Briefe an p., l. und andere – bringt Ausführlichkeit und Exemplarisches ins Gleichgewicht.
Die behutsame Redaktion lässt den Brief-Dokumenten ihre Authentizität. Die Auswahl der Briefe und ihre Themen (mit der Literatur und dem Tod im Mittelpunkt) überzeugt mich. Der Umfang (124 Seiten) ist wohl bemessen, und doch: ich hätte gern noch mehr Briefe gelesen.
Der Verzicht auf den Brief-Dialog ist gut begründet. Die Anonymisierung der Namen und Orte wurde vollkommen konsequent durchgeführt, um nicht abzulenken vom Wesentlichen des Ichs, seinen Gedanken und Gefühlen.
Dieses Buch ist im Moment mein Lieblingsbuch.
Wenn ich dann wieder die anderen Bücher eje winters in die Hand nehme – „liebesland“, „kunstwörter“ und „hybride texte“–, wird mich deren Poesie, die dialektisch mit dem Briefbuch korrespondiert, noch zu anderen Erkenntnissen treiben.
Die Komposition von „blattgold“ ist so reif, so verführerisch schön! Und ich meine mit der Schönheit des Worts immer auch die Wahrheit. Schmerzliche Lebensumstände sind nicht ausgeklammert und stehen in einem interessanten Spannungsverhältnis zur metaphorisch beschriebenen Natur von Welt und Umwelt.
lieber p.
hab ganz vielen dank für deinmein gedicht
die renovierungsarbeiten sind so umfangreich
daß die wohnung frühestens nach weihnachten wieder
gesäubert werden und vielleicht an umzug gedacht
werden kann
m. und ich schreinern zwar nicht
versorgen aber rund um die uhr ein zuweilen drei bis
vierköpfiges arbeitsteam mit essen und trinken
also mutter einer garküche zu sein ist auch nicht ganz
einfach wie ich nun erfahren darf
du wirst zum schriftsteller und ich kann den prozeß
mitverfolgen
so lange kennen wir uns jetzt schon
das finde ich sehr schön
ob ein schriftsteller wie ein fallensteller ist die wörter
jagend und fangend und ausstellend in der kleinen
arena des dorfzirkus
die sonne soll dir helfen ab sofort die dunklen stunden
aufzuhellen
bis bald
mit ganz vielen herzlichen wünschen
dich verschüttend
deine e.
Die Zuwendung zum Adressaten der Briefe ist immer sehr herzlich, besonders in den liebevollen Briefen an l, die den Mittelteil (Hauptteil und Achse) des Bandes bilden.
Lettres poètiques – poetische Miniaturen: Ja! Und zwar gilt das sowohl als Ganzes für die Briefe als auch für die einzelnen Aspekte innerhalb der Briefe. Oft sind die Bildgedanken wie Perlen aneinandergereiht. Motive kehren in anderen Briefen wieder, manches wiederholt sich absichtlich – wie der Himmel, der sich von uns Menschen entfernt, wenn wir ihn plündern.
Wohltuend einfach werden auch schwierigere gedankliche Zusammenhänge dargelegt. Das manchmal leicht ironische Glossar („erwähnte namen“) am Schluss des Buchs liest sich wie eine Liste der Themen und ist in jedem Fall hilfreich. Dass aaa ein gläserner Engel ist (eigentlich heißen nur die Batterien, die den Engel zum Leuchten bringen, AAA), war mir unbekannt. Samuel Joseph Agnon, Mark Rosenthal und Asher Reich kannte ich auch nicht. Schon gar nicht „egon“ als Bezeichnung für einen PC. George W. Bush wird lediglich als „Politiker“ charakterisiert... Wunderbar das Wort Zimzum: „nach gershom scholem der raum, der entsteht wenn gott sich zusammenzieht, um platz für die schöpfung zu machen“...
Die 10 Lichtbilder von Steffen Kluge phosphoreszieren auf Doppelseiten zwischen den Briefen.
Alles in allem ein großartiges, ein spannendes Buch!
Ja, Wort und Leben, signum und signatum sind hier mit Blattgold überzogen und leuchten!
25.12.2010
Der Titel „blattgold ein übern andern tag“ nennt die Kostbarkeit der Briefe und der Korrespondenzen.
Die Struktur überzeugt in allen Teilen. Die Gliederung in drei Kapitel – Briefe an p., l. und andere – bringt Ausführlichkeit und Exemplarisches ins Gleichgewicht.
Die behutsame Redaktion lässt den Brief-Dokumenten ihre Authentizität. Die Auswahl der Briefe und ihre Themen (mit der Literatur und dem Tod im Mittelpunkt) überzeugt mich. Der Umfang (124 Seiten) ist wohl bemessen, und doch: ich hätte gern noch mehr Briefe gelesen.
Der Verzicht auf den Brief-Dialog ist gut begründet. Die Anonymisierung der Namen und Orte wurde vollkommen konsequent durchgeführt, um nicht abzulenken vom Wesentlichen des Ichs, seinen Gedanken und Gefühlen.
Dieses Buch ist im Moment mein Lieblingsbuch.
Wenn ich dann wieder die anderen Bücher eje winters in die Hand nehme – „liebesland“, „kunstwörter“ und „hybride texte“–, wird mich deren Poesie, die dialektisch mit dem Briefbuch korrespondiert, noch zu anderen Erkenntnissen treiben.
Die Komposition von „blattgold“ ist so reif, so verführerisch schön! Und ich meine mit der Schönheit des Worts immer auch die Wahrheit. Schmerzliche Lebensumstände sind nicht ausgeklammert und stehen in einem interessanten Spannungsverhältnis zur metaphorisch beschriebenen Natur von Welt und Umwelt.
lieber p.
hab ganz vielen dank für deinmein gedicht
die renovierungsarbeiten sind so umfangreich
daß die wohnung frühestens nach weihnachten wieder
gesäubert werden und vielleicht an umzug gedacht
werden kann
m. und ich schreinern zwar nicht
versorgen aber rund um die uhr ein zuweilen drei bis
vierköpfiges arbeitsteam mit essen und trinken
also mutter einer garküche zu sein ist auch nicht ganz
einfach wie ich nun erfahren darf
du wirst zum schriftsteller und ich kann den prozeß
mitverfolgen
so lange kennen wir uns jetzt schon
das finde ich sehr schön
ob ein schriftsteller wie ein fallensteller ist die wörter
jagend und fangend und ausstellend in der kleinen
arena des dorfzirkus
die sonne soll dir helfen ab sofort die dunklen stunden
aufzuhellen
bis bald
mit ganz vielen herzlichen wünschen
dich verschüttend
deine e.
Die Zuwendung zum Adressaten der Briefe ist immer sehr herzlich, besonders in den liebevollen Briefen an l, die den Mittelteil (Hauptteil und Achse) des Bandes bilden.
Lettres poètiques – poetische Miniaturen: Ja! Und zwar gilt das sowohl als Ganzes für die Briefe als auch für die einzelnen Aspekte innerhalb der Briefe. Oft sind die Bildgedanken wie Perlen aneinandergereiht. Motive kehren in anderen Briefen wieder, manches wiederholt sich absichtlich – wie der Himmel, der sich von uns Menschen entfernt, wenn wir ihn plündern.
Wohltuend einfach werden auch schwierigere gedankliche Zusammenhänge dargelegt. Das manchmal leicht ironische Glossar („erwähnte namen“) am Schluss des Buchs liest sich wie eine Liste der Themen und ist in jedem Fall hilfreich. Dass aaa ein gläserner Engel ist (eigentlich heißen nur die Batterien, die den Engel zum Leuchten bringen, AAA), war mir unbekannt. Samuel Joseph Agnon, Mark Rosenthal und Asher Reich kannte ich auch nicht. Schon gar nicht „egon“ als Bezeichnung für einen PC. George W. Bush wird lediglich als „Politiker“ charakterisiert... Wunderbar das Wort Zimzum: „nach gershom scholem der raum, der entsteht wenn gott sich zusammenzieht, um platz für die schöpfung zu machen“...
Die 10 Lichtbilder von Steffen Kluge phosphoreszieren auf Doppelseiten zwischen den Briefen.
Alles in allem ein großartiges, ein spannendes Buch!
Ja, Wort und Leben, signum und signatum sind hier mit Blattgold überzogen und leuchten!
25.12.2010
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