Haupt, Herwig:
Wieder Lust auf ein Bier
Kurzprosa für nachher
Eine Rezension von Bergmann
Dominosteine
So viel Welterleben in den Alltagen des geschichtlichen Stroms unserer Zeit habe ich schon lange nicht mehr in solcher Dichte und Schönheit des Erzählens gelesen!
In den 48 Erzählungen und Prosastücken auf 152 Seiten versammelt der 1938 in Schlesien geborene und nach dem Krieg vertriebene Erzähler die Erinnerungen an Kindheit, alltägliche Sorgen, gegenseitige Verletzungen, körperliche Behinderungen, Schmerzen, Flucht, Hunger und Kälte, Kriegsnot, Sehnsucht und alle die vielen kleinen Dinge des Lebens, die immer und überall gelten: Liebe und Nähe, Freundschaft und Hilfe und vieles mehr. Herwig Haupt schreibt, meist als Ich-Erzähler, Geschichten aus der Geschichte, die sicherlich auch seine Geschichte war, aber das Erzählte ist hier ins Allgemeine gehoben, keine direkte Klage, sondern spannende Berichte und Handlungen, Substrate erfahrener Lebenswirklichkeit, existentielle Situationen, wie sie letztlich jeder erleben kann.
Viele Geschichten betreffen auch unsere Zeit. Darin wird der Erzählton noch humorvoller, gütiger, und die Erlebnisse enthalten skurrilere Einzelheiten, die der wache Erzähler in gütiger Ironie darstellt, oft auch mit deutlicher Lust an der Sprache, die einiges aussagt über die Eigenart und die Seele der Menschen, etwa bayerische und österreichische Leute.
Im Mittelpunkt des Buchs stehen für mich die acht Geschichten aus der Kriegszeit, deren erste heißt „Warum überlebte ich?“ (S. 90). Natürlich wird nicht gesagt, warum der Ich-Erzähler überlebt hat, sondern nur, dass und wie er überlebt hat. Sanfte Ironie und Humor fehlen auch in diesen schweren Geschichten nicht, die von der Härte der Kriegsfolgen handeln, ohne zu urteilen. Die bedeutendste Geschichte ist „Schneewehen“, mit 16 Seiten zugleich die längste im ganzen Buch; sie erzählt aus der Sicht eines Kindes eine wichtige Episode der Vertreibung der Schlesier. Mitten in der größten Not scheint das Gute auf: Die Freundschaft des kleinen, frierenden und hungernden Jungen mit einem Mann, der seinen Namen trägt und der ihm hilft und ihn durchbringt auf der langen Flucht vor den Russen. In der kleinen Geschichte „Letzte Anweisungen“ scheint der Erzähler den geschichtlichen Horizont zu weiten – es ist eine Fluchtgeschichte, die auch heute passiert und noch passieren kann.
Der Mittelteil endet in einem parabolischen Prosastück: „Zwischen Ebbe und Flut“. Es ist die Geschichte einer Flaschenpost, die an einer Brücke im Schlamm hängen bleibt; ihr Inhalt ist ungewiss, im Kontext der Fluchtgeschichten geht es um das Echo der Fliehenden, die Antwort suchen und Heimat und Halt, eine Brücke von ihrer Vergangenheit zu neuer Gegenwart.
Die Lebensströme fließen in feiner Sprache dahin. Die Geschichten sind wie Dominosteine aneinandergefügt, schreibt Herwig Haupt an Stelle eines Mottos. Ich setze hinzu: Die Fügung dieser Steine beschreibt auch oft die innere Struktur der Geschichten, die sprachlich warm und mit sehr feinem psychologischen Sinn erzählt werden – der Erzähler steht immer auf der Seite der Leidenden, er richtet nie, sondern er reduziert den unübersehbaren Kausalnexus der Geschichte zu verstehbaren Bildern in seinen Geschichten. Ein großartiger Erzähler! Ich wünschte mir nur, er machte einen Roman aus den Fluchtgeschichten, vielleicht mit dem Titel „Schneewehen“.
So viel Welterleben in den Alltagen des geschichtlichen Stroms unserer Zeit habe ich schon lange nicht mehr in solcher Dichte und Schönheit des Erzählens gelesen!
In den 48 Erzählungen und Prosastücken auf 152 Seiten versammelt der 1938 in Schlesien geborene und nach dem Krieg vertriebene Erzähler die Erinnerungen an Kindheit, alltägliche Sorgen, gegenseitige Verletzungen, körperliche Behinderungen, Schmerzen, Flucht, Hunger und Kälte, Kriegsnot, Sehnsucht und alle die vielen kleinen Dinge des Lebens, die immer und überall gelten: Liebe und Nähe, Freundschaft und Hilfe und vieles mehr. Herwig Haupt schreibt, meist als Ich-Erzähler, Geschichten aus der Geschichte, die sicherlich auch seine Geschichte war, aber das Erzählte ist hier ins Allgemeine gehoben, keine direkte Klage, sondern spannende Berichte und Handlungen, Substrate erfahrener Lebenswirklichkeit, existentielle Situationen, wie sie letztlich jeder erleben kann.
Viele Geschichten betreffen auch unsere Zeit. Darin wird der Erzählton noch humorvoller, gütiger, und die Erlebnisse enthalten skurrilere Einzelheiten, die der wache Erzähler in gütiger Ironie darstellt, oft auch mit deutlicher Lust an der Sprache, die einiges aussagt über die Eigenart und die Seele der Menschen, etwa bayerische und österreichische Leute.
Im Mittelpunkt des Buchs stehen für mich die acht Geschichten aus der Kriegszeit, deren erste heißt „Warum überlebte ich?“ (S. 90). Natürlich wird nicht gesagt, warum der Ich-Erzähler überlebt hat, sondern nur, dass und wie er überlebt hat. Sanfte Ironie und Humor fehlen auch in diesen schweren Geschichten nicht, die von der Härte der Kriegsfolgen handeln, ohne zu urteilen. Die bedeutendste Geschichte ist „Schneewehen“, mit 16 Seiten zugleich die längste im ganzen Buch; sie erzählt aus der Sicht eines Kindes eine wichtige Episode der Vertreibung der Schlesier. Mitten in der größten Not scheint das Gute auf: Die Freundschaft des kleinen, frierenden und hungernden Jungen mit einem Mann, der seinen Namen trägt und der ihm hilft und ihn durchbringt auf der langen Flucht vor den Russen. In der kleinen Geschichte „Letzte Anweisungen“ scheint der Erzähler den geschichtlichen Horizont zu weiten – es ist eine Fluchtgeschichte, die auch heute passiert und noch passieren kann.
Der Mittelteil endet in einem parabolischen Prosastück: „Zwischen Ebbe und Flut“. Es ist die Geschichte einer Flaschenpost, die an einer Brücke im Schlamm hängen bleibt; ihr Inhalt ist ungewiss, im Kontext der Fluchtgeschichten geht es um das Echo der Fliehenden, die Antwort suchen und Heimat und Halt, eine Brücke von ihrer Vergangenheit zu neuer Gegenwart.
Die Lebensströme fließen in feiner Sprache dahin. Die Geschichten sind wie Dominosteine aneinandergefügt, schreibt Herwig Haupt an Stelle eines Mottos. Ich setze hinzu: Die Fügung dieser Steine beschreibt auch oft die innere Struktur der Geschichten, die sprachlich warm und mit sehr feinem psychologischen Sinn erzählt werden – der Erzähler steht immer auf der Seite der Leidenden, er richtet nie, sondern er reduziert den unübersehbaren Kausalnexus der Geschichte zu verstehbaren Bildern in seinen Geschichten. Ein großartiger Erzähler! Ich wünschte mir nur, er machte einen Roman aus den Fluchtgeschichten, vielleicht mit dem Titel „Schneewehen“.
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