Hagemeyer, Ines:

aus dem Gefährt, das dir Träume auflädt

Gedichte. Mit Zeichnungen von PAPI


Eine Rezension von  Bergmann
veröffentlicht am 17.07.11

Es gibt Welten in uns und außer uns. Außer uns meine ich mehrdeutig: Es gibt Welten, die sind über uns und sie sind uns über, wenn sie außer sich sind. Und es gibt in uns Welten, die haben es in sich, wenn die Welt außer uns hineingreift in unsere Innenwelt. Dann verletzt sie uns und wir verletzen uns selbst, wenn wir uns wehren gegen die Außenwelt, die uns Angst macht. Dann verlieren wir im schlimmsten Fall unsere Heimat – außen und innen. Von diesen Verwundungen, Schmerzen, von der höllischen Dialektik von Angst und Hoffnung, Verlust und Gewinn, Verlorenheit und Rettung handeln manche Gedichte dieses wahrhaft schönen Buchs. Die Anspielungen auf erlittene Geschichte, die Folgen der Flucht aus Deutschland, das Leben in der Emigration, die Rückkehr nach Deutschland und das Abklingen und Wiederaufflammen der Ängste und still brennenden Wunden sind sublim – sie zeigen sich dem Wissenden und Ahnenden etwa in dem letzten der 64 Gedichte, das nach der Lektüre von Victor Klemperers Tagebüchern entstand, oder in dem Paul Celan zugeeigneten Gedicht „Inhärenz“, wo Spuren den Weg weisen, wenn von der „Fuge in Blau“ die Rede ist.

Aber die Vergangenheit ist nicht das einzige Thema, so mächtig es für uns alle wirkt, wenn wir älter werden und unsere Wunden, die bitteren und die süßen, reflektieren, deuten und zu verstehen suchen. Die einzige Heimat, die wir wirklich haben, sind wir selbst, in unserer Sprache und mit dem Sprechen und Schreiben in unserer Sprache. Es gibt auch Ruhezeiten in unseren Innen- und Außenwelten, dann fühlen wir Übereinstimmung und Einssein von innen und außen, vor allem in der Liebe, sie ist auch ein Gefährt, das uns Träume auflädt, manchmal sogar ein Gefährte im Leben, der uns Kraft gibt und lange bleibt und über den anderen Welten leben lässt.
Allerdings sind Träume wie alle unsere Welten mehrdeutig, sie geben uns Hoffnung, sie täuschen aber auch, sie trösten, sie helfen uns, uns selbst zu verstehen, wenn wir bei der mehrdeutigen Wahrheit bleiben. Denn unsere Träume sind Gedichte, die wahr sind, die schmerzen und heilen, immer beides in einem. Von dieser Vielfalt der Schönheit, die vom Himmel bis zur Wunde reicht, vom Höhenflug bis zu den Schatten, spricht die Genauigkeit der Widersprüche, der Freude und der Skepsis im Gedicht „hautnah“:

... Überschlag zur Täuschung / jauchzende Höhenflüge / Sturz in Bedrängnis / kaum greifbar /... / : die Zeichen / deines KÖRPERS.

Nichts ist sicher. Die Dichterin jagt nach Träumen – und die Träume jagen sie, das ist die Dialektik der Dichtung und des Lebens. So steht es im Gedicht „Traumjagd“:

aus dem Gefährt / das dir Träume auflädt / rollt die Metapher / ... / du sitzt am Steuer / ordnest an Ampeln / dein Schmierpapier / dann bläst ein Wind / der sie verweht / ...

Die Metapher ist der Wein, der Rausch, der Liebeswahn, den Hofmannsthal im liebenden Paar verkörpert, in der Umarmung der sich gegenseitig alles Gebenden, wie These und Antithese gehören sie zusammen, um sich selbst zu transzendieren. Kaum kannst du deine Träume festhalten, kaum verstehst du, was du träumst, du schreibst es auf in Versen, damit du mehr verstehst, doch bleibt dir nur eine Sprachspur, eine Fuge in Blau, während deine Reise schon weitergeht, du sitzt am Steuer deines Ichs und fährst dein Leben, aber du träumst nur, Lenker zu sein. Als Dichter stehst du über den Welten. Du denkst, du lenkst dich wenigstens auf deinen Innenwegen oder in Zwischenwelten:

Intermundien

auf der fließenden Grenze
zwischen Zweifel und Hoffnung
möcht ich mein Haus baun
an den Ufern zur Linken
steht vermodernd ein Torso
und zur Rechten nur Brandung

Dein Leben ist ein Grattanz. Zwischen These und Antithese läufst du auf des Messers Schneide, in Todesgefahr ist dein Gefährt, in Lebensgefahr dein Gefährte: deine Heimat, deine Sprache, dein Einssein mit dir selbst.

Es sind große Gedichte, die das Schwerste so scheinbar leicht aussagen: Wie ungewiss und flüchtig die Liebe ist, wie unsicher jede Heimat, unsere Träume, auch unsere Gedichte, und dass wir nichts anderes haben als dies: Trotzdem zu leben. Denn wenn unsere Trauer mitten im Leben gelingt, wenn wir die Unsicherheit unserer Träume durchschauen, gewinnen wir vielleicht mehr, als unser philosophischer Zweifel uns rät – uns selbst.
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