Weigoni, A. J.:
Dichterloh
Kompositum in vier Akten
Eine Rezension von Bergmann
Kritik in einem Aufzug. Liebevolle Bemerkungen zu den „Dichterloh“-Gedichten von A. J. Weigoni (DICHTERLOH. Kompositum in vier Akten. Lyrikedition 2000, hg. von Heinz Ludwig Arnold, Norderstedt 2005) 112 Seiten - mit 1 Hör-CD
(Sprecher: der Autor)
Lieber Weigoni, werter Champion der Twitteratur, sagen Sie Hagedorn, Ihrem quasi Alter Ego, ich habe Ihr Kompositum in vier Akten gelesen, mich durchgeflœzt durch die schwierigen Wœrter des Gedichtbands DICHTERLOH, wie es meinem Namen geziemt, und gleich beim hors d’œvre Filetstuecke zu Tage gefœrdert: Schon das Motto von Orson Welles gefællt mir – wehtuende und befreiende Wahrheit. Das „Start-Up“ (p. 7) verspricht viel, und mehr als das wird eingehalten. Ein subversiges Spezialdiktionær mæandriert von Gedicht zu Gedicht, immer komplexer werdend, imaginære Realitæt wird generiert. Ja, in der Tat, schon die Gegenwart ist ewig, unendlich unsere optionale Entitæt, deflationær nach innen justiert, nach außen eine mitœse REvolution, und die „Magie des Erhabenen | gefangen im Regelwerk der Syntax“ universalisiert sich in der tausendfæltigen Reflexivoptionalisierung und gewinnt den Kopf des Rezipienten für die Idee der Freiheit. Der Leser ueberwindet die babylonische Gefangenschaft der Wœrter, und das ganz ohne Hegel. „Leerstelle“ (p. 13) ist ein weiteres Amu-se-Gueule, das mir Appetit auf das perpetuum nobile dieser Poesie machte. „der sirenenhafte Ton | verkuendet eine ferne | Utopie“ – das ist die Leerstelle, das Nirgendwo der Utopie, die Variable, die wir ausfuellen mit der Dichtung, die immerhin einem mathematischen Limes æhnelt, die Werte an der Grenze evozierend. Der digitale Tanz kann beginnen. Werter Weigoni, Sie twittern in die Tastatur, was das Zeug hælt. Und genau das macht Literatur aus, die aus der gemeinen Twittrigkeit herauswæchst wie eine zarte Blume unter dem Schnee, bis sie die Kælte des Nichts durchbricht und aufblueht in den Ganglien des homo le-gens, wo das Gemeine im Besonderen aufgehoben wird. Angebunden an den Mast unseres Lebensschiffs, und Twitterwachs in den Ohren, spinxen wir vorsichtig durch unsere Augenlider zu jener Insel, die wir auf der Suche nach der Liebe verloren, denn wir wissen: wir sind condamnés à être libres in einem ex-trauterinen curriculum vitæ. Wer mehr darueber erfahren will, lese Manfred Ostens wunderbaren Beitrag „Das glueckliche Ohr – ein Gespræch über Musik mit Peter Sloterdijk“ (Sinn und Form, Heft 6/2013, p. 864-877): Dort wird unter-schieden zwischen dem ræsonierenden und resonierenden lyrischen Ich. Des Autors personales Ich, so wird gerade bei Weigoni deutlich, ist nur eine kleine Teilmenge des Lyrischen Ichs – anders gesagt: Das Lyrische Ich kann kaum heruntergebrochen werden auf das Autor-Ich. Tatsächlich gewinnt des Autors personales Ich die Qualitæt des Allgemeinen. Bei Manfred Osten liest man: „Wenn einer sagt, ich denke, also bin ich, muss doch irgendwo in ihm eine Instanz sein, die diesen Satz artikuliert. Diese innere Fluesterstimme muss man sich wie eine sonore Glasscheibe vorstellen, durch die der Denker hindurchdenkt oder hindurchhœrt, ohne sich selbst reden zu hœren. Schon das Sich-selber-reden-Hœren wære ein großer Fortschritt, weil man dann endlich begreifen wuerde, dass das Denken ohne ein solches inneres Artikulieren nicht zu haben ist.“ (Sinn und Form, p. 872) Genug davon. Weigoni hœrt jedes Wort mit, das er schreibt. Aber auch er weiß nicht, was er gesagt hat, bevor er nicht die Antwort des Lesers darauf gehœrt hat. Wenn es in Weigonis „Buchstabensuppe“ (p. 14) heißt: „... die Ver-antwortung dafuer uebernehmen & | die Suppe auslœffeln“, meint er also nicht nur sich selbst, sondern auch den Leser. (Sein humoresker Hinweis unter dem Gedicht auf Russisch Brot læsst den Interpreten allein, aber das zeigt nur das Geworfensein des Lesers in die Freiheit der, wenn man so sagen will, universalen Suppe, die sich ja selber nicht auslœffelt, sondern gleichsam die Liquidierung oder, besser gesagt, Verfluessigung des Sisyphos-Steins darstellt; sie fließt nicht den Berg wieder hinauf, sie ist immer da und wird genæhrt von den vielen Suppen, die immer wieder ins Irdische hinab regnen.) Wir sehen: Hinter Weigonis Poesie stecken gleichermaßen Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung. Und viel Humor zuweilen. Kaum ein Gedicht zeigt dies deutlicher als „Æzesupp mit Fer-kesfœss – eine Ode an die rheinische Kueche“, wo vom rheinischen Sauerbraten die Rede ist, von Kœlsch, Himmel & Æhd, und wo das lyrische Ich (s. o) zum Schluss ausruft: „O ihr sprachlosen rheinischen Kœche, ihr kocht es | damit ist alles gesagt & die Grundlage fuer | ein erfolgreiches Besæufnis | ohne grossen Salzver-lust gelegt“. In „Caput III – Verlodern“ (gemeint ist auch: Verloddern) spricht der Dichter nur vordergruendig die „RECHT/SCHREIBREFORM“ an. In dieser Vordergruendigkeit wuerden Sprache und Denken tatsæchlich verloddern, verlodern oder verbrennen. Die dem Titel folgenden 7 Doppelverse zeigen, dass Norm und Richtigkeit einer Sprache nicht genuegen; „Dinge existieren unabhængig | von ihrer Benennung || Begriffe kleben nicht etikettengleich | an den Dingen || ohne Metaphern kœnnen wir sie nicht sehen & | muessen in den Bauplænen der Syntax | Bedingungen des Denkens suchen um | aus grœsster Strenge zur | hœchsten Freiheit zu gelangen ...“ Dieses Credo ist auch meins, und bei solchen Gedichten versagt auch die Kraft meiner parodierenden Annäherung an Weigonis Lyrik. Nicht wenige Gedichte in DICHTERLOH sind meta-poetische Texte, Reflexionen über Lyrik, teils versteckt in metaphorischen Kulissen, teils in praktischen Beispielen vorgeführt. In der Fremdwortglut lodert auch Klang auf, es entsteht eine Art Catalogue d’Oiseaux der Twitteratur. Es kommt zu Wort-Turmbauten, deren Statik und Materialitæt mich an Luftschlœsser erinnert, an utopische Zustænde, die wir træumen müssen, die wir nur træumen kœnnen, um zu existieren. Am Schluss (in „Caput Morbidezza“) steht denn auch das vielleicht schœnste Gedicht des Bandes: THINK & LINK. Es beginnt mit den Worten: „weiter | hin im Schwebe | zustand bleiben: || & wære es nicht ein Traum | zu sehen | ohne noch wahrnehmen zu muessen? || & so unmittelbar in | das Eigentliche eindringen | zu kœnnen? || ... wære es ein Traum | wahrlich, wir soll-ten ihn træumen | mit unbedingter Ausschließlichkeit ...“ (p. 106)
(Sprecher: der Autor)
Lieber Weigoni, werter Champion der Twitteratur, sagen Sie Hagedorn, Ihrem quasi Alter Ego, ich habe Ihr Kompositum in vier Akten gelesen, mich durchgeflœzt durch die schwierigen Wœrter des Gedichtbands DICHTERLOH, wie es meinem Namen geziemt, und gleich beim hors d’œvre Filetstuecke zu Tage gefœrdert: Schon das Motto von Orson Welles gefællt mir – wehtuende und befreiende Wahrheit. Das „Start-Up“ (p. 7) verspricht viel, und mehr als das wird eingehalten. Ein subversiges Spezialdiktionær mæandriert von Gedicht zu Gedicht, immer komplexer werdend, imaginære Realitæt wird generiert. Ja, in der Tat, schon die Gegenwart ist ewig, unendlich unsere optionale Entitæt, deflationær nach innen justiert, nach außen eine mitœse REvolution, und die „Magie des Erhabenen | gefangen im Regelwerk der Syntax“ universalisiert sich in der tausendfæltigen Reflexivoptionalisierung und gewinnt den Kopf des Rezipienten für die Idee der Freiheit. Der Leser ueberwindet die babylonische Gefangenschaft der Wœrter, und das ganz ohne Hegel. „Leerstelle“ (p. 13) ist ein weiteres Amu-se-Gueule, das mir Appetit auf das perpetuum nobile dieser Poesie machte. „der sirenenhafte Ton | verkuendet eine ferne | Utopie“ – das ist die Leerstelle, das Nirgendwo der Utopie, die Variable, die wir ausfuellen mit der Dichtung, die immerhin einem mathematischen Limes æhnelt, die Werte an der Grenze evozierend. Der digitale Tanz kann beginnen. Werter Weigoni, Sie twittern in die Tastatur, was das Zeug hælt. Und genau das macht Literatur aus, die aus der gemeinen Twittrigkeit herauswæchst wie eine zarte Blume unter dem Schnee, bis sie die Kælte des Nichts durchbricht und aufblueht in den Ganglien des homo le-gens, wo das Gemeine im Besonderen aufgehoben wird. Angebunden an den Mast unseres Lebensschiffs, und Twitterwachs in den Ohren, spinxen wir vorsichtig durch unsere Augenlider zu jener Insel, die wir auf der Suche nach der Liebe verloren, denn wir wissen: wir sind condamnés à être libres in einem ex-trauterinen curriculum vitæ. Wer mehr darueber erfahren will, lese Manfred Ostens wunderbaren Beitrag „Das glueckliche Ohr – ein Gespræch über Musik mit Peter Sloterdijk“ (Sinn und Form, Heft 6/2013, p. 864-877): Dort wird unter-schieden zwischen dem ræsonierenden und resonierenden lyrischen Ich. Des Autors personales Ich, so wird gerade bei Weigoni deutlich, ist nur eine kleine Teilmenge des Lyrischen Ichs – anders gesagt: Das Lyrische Ich kann kaum heruntergebrochen werden auf das Autor-Ich. Tatsächlich gewinnt des Autors personales Ich die Qualitæt des Allgemeinen. Bei Manfred Osten liest man: „Wenn einer sagt, ich denke, also bin ich, muss doch irgendwo in ihm eine Instanz sein, die diesen Satz artikuliert. Diese innere Fluesterstimme muss man sich wie eine sonore Glasscheibe vorstellen, durch die der Denker hindurchdenkt oder hindurchhœrt, ohne sich selbst reden zu hœren. Schon das Sich-selber-reden-Hœren wære ein großer Fortschritt, weil man dann endlich begreifen wuerde, dass das Denken ohne ein solches inneres Artikulieren nicht zu haben ist.“ (Sinn und Form, p. 872) Genug davon. Weigoni hœrt jedes Wort mit, das er schreibt. Aber auch er weiß nicht, was er gesagt hat, bevor er nicht die Antwort des Lesers darauf gehœrt hat. Wenn es in Weigonis „Buchstabensuppe“ (p. 14) heißt: „... die Ver-antwortung dafuer uebernehmen & | die Suppe auslœffeln“, meint er also nicht nur sich selbst, sondern auch den Leser. (Sein humoresker Hinweis unter dem Gedicht auf Russisch Brot læsst den Interpreten allein, aber das zeigt nur das Geworfensein des Lesers in die Freiheit der, wenn man so sagen will, universalen Suppe, die sich ja selber nicht auslœffelt, sondern gleichsam die Liquidierung oder, besser gesagt, Verfluessigung des Sisyphos-Steins darstellt; sie fließt nicht den Berg wieder hinauf, sie ist immer da und wird genæhrt von den vielen Suppen, die immer wieder ins Irdische hinab regnen.) Wir sehen: Hinter Weigonis Poesie stecken gleichermaßen Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung. Und viel Humor zuweilen. Kaum ein Gedicht zeigt dies deutlicher als „Æzesupp mit Fer-kesfœss – eine Ode an die rheinische Kueche“, wo vom rheinischen Sauerbraten die Rede ist, von Kœlsch, Himmel & Æhd, und wo das lyrische Ich (s. o) zum Schluss ausruft: „O ihr sprachlosen rheinischen Kœche, ihr kocht es | damit ist alles gesagt & die Grundlage fuer | ein erfolgreiches Besæufnis | ohne grossen Salzver-lust gelegt“. In „Caput III – Verlodern“ (gemeint ist auch: Verloddern) spricht der Dichter nur vordergruendig die „RECHT/SCHREIBREFORM“ an. In dieser Vordergruendigkeit wuerden Sprache und Denken tatsæchlich verloddern, verlodern oder verbrennen. Die dem Titel folgenden 7 Doppelverse zeigen, dass Norm und Richtigkeit einer Sprache nicht genuegen; „Dinge existieren unabhængig | von ihrer Benennung || Begriffe kleben nicht etikettengleich | an den Dingen || ohne Metaphern kœnnen wir sie nicht sehen & | muessen in den Bauplænen der Syntax | Bedingungen des Denkens suchen um | aus grœsster Strenge zur | hœchsten Freiheit zu gelangen ...“ Dieses Credo ist auch meins, und bei solchen Gedichten versagt auch die Kraft meiner parodierenden Annäherung an Weigonis Lyrik. Nicht wenige Gedichte in DICHTERLOH sind meta-poetische Texte, Reflexionen über Lyrik, teils versteckt in metaphorischen Kulissen, teils in praktischen Beispielen vorgeführt. In der Fremdwortglut lodert auch Klang auf, es entsteht eine Art Catalogue d’Oiseaux der Twitteratur. Es kommt zu Wort-Turmbauten, deren Statik und Materialitæt mich an Luftschlœsser erinnert, an utopische Zustænde, die wir træumen müssen, die wir nur træumen kœnnen, um zu existieren. Am Schluss (in „Caput Morbidezza“) steht denn auch das vielleicht schœnste Gedicht des Bandes: THINK & LINK. Es beginnt mit den Worten: „weiter | hin im Schwebe | zustand bleiben: || & wære es nicht ein Traum | zu sehen | ohne noch wahrnehmen zu muessen? || & so unmittelbar in | das Eigentliche eindringen | zu kœnnen? || ... wære es ein Traum | wahrlich, wir soll-ten ihn træumen | mit unbedingter Ausschließlichkeit ...“ (p. 106)
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