Julius Langbehn:
Rembrandt als Erzieher
Eine Rezension von Quoth
Heranwachsenden Jungen (warum eigentlich nur denen?) wurde früher, wenn sie 14 oder konfirmiert wurden, ein Buch geschenkt, das ihnen Orientierung für den späteren Lebensweg geben sollte.
Mein Großvater z.B. (geboren 1880) bekam den Konfirmationsklassiker „Hinter Pflug und Schraubstock“ von Max Eyth, einem fröhlich fortschrittsgläubigen Ingenieur des 19. Jahrhunderts, der sich für den Einsatz wuchtiger dampfgetriebener Lokomobile in der Landwirtschaft eingesetzt hatte. Er starb zu früh, um noch den Triumph des „Dieselrosses“ zu erleben, Lokomobile gibt es heute nur noch in Museen. Meinem Großvater sollte wohl der Glaube an den technischen Fortschritt eingeimpft werden; er wurde Hotelier und starb zum Ende des Ersten Weltkriegs an der Spanischen Grippe.
Ich bekam noch in den 50er Jahren ein bereits 100 Jahre altes Werk geschenkt: „Soll und Haben“ von Gustav Freytag. Ich finde es auch heute noch lesenswert, Freytag ist ein guter Stilist, baut schöne Handlungsbögen, und charakterisiert markant, Fassbinder hat den Roman verfilmen wollen, ist aber an den Bedenken des WDR gescheitert. Denn in dem Buch werden Juden mit einer Unbefangenheit geschildert, die wir uns nach den Verbrechen der Nazis nicht mehr leisten können. Freytag war ein bekennender Gegner des Antisemitismus, aber allein seine Namensgebungen – Veitel Itzig und Hirsch Ehrental – wirken heute rassistisch karikierend. „Üb immer Treu und Redlichkeit!“ Dafür sollte mich dieses im Milieu der Kauf- und Geschäftsleute spielende Buch wohl motivieren.
Ein Verschenkbuch von außerordentlicher Beliebtheit war bis in die Nazizeit hinein „Rembrandt als Erzieher“, ein Buch, auf das ich indirekt stieß, als ich mich mit Edgar Selges Erinnerungen „Hast Du uns endlich gefunden“ befasste. Der 10jährige Edgar beobachtet um 1960 seinen Vater durchs Schlüsselloch: „Er geht zu seinem Lieblingsgemälde, Rembrandts Mann mit dem Goldhelm. Sieht fast so aus, als ob er mit dem Bild redet.“ Ich erinnerte mich, dass auch bei uns etwas von Rembrandt an der Wand hing: Die Skizze eines schlafenden Löwen, und dass meine Mutter „Rembrandt als Erzieher“ erwähnte und sich wunderte, dass ich das Buch nicht kannte. Den Autor konnte sie nicht benennen – ich habe ihn erst aus dem Internet erfahren: Julius Langbehn aus Kiel, ein Verehrer Nietzsches, zum Katholizismus übergetreten, massiver Einfluss auf die Jugendbewegung. Man kann es sich fast kostenlos auf den Kindle laden – und es ist eine hochinteressante und gruselige Lektüre, ein Hybrid aus "Also sprach Zarathustra" und „Mein Kampf“, eine Lektüre, die einerseits abstoßend ist auf Grund des anmaßenden Bescheidwissens und Wegweiser-Seinwollens des Autors, andererseits aufklärend, weil man versteht, wie unsere Vorfahren sich dem Rassismus und Nationalismus über differenzierende Vorstufen allmählich und unmerklich annähern konnten.
Es sind wohl Passagen wie diese, die das Buch als Geschenkbuch für heranwachsende Jungen geeignet sein ließen:
„Wehrhaftigkeit und Wahrhaftigkeit sind sich sachlich wie sprachlich verwandt; die eine ist die oberste Pflicht des Kriegers wie die andere die oberste Pflicht des Künstlers. Beide gehören zu den obersten Pflichten des Menschen, weil sie seiner tiefsten Charakteranlage entsprechen. Deutsche Menschen sind ehrliche Menschen; deutsche Menschen sind tapfere Menschen.“
„Im innersten Winkel von Niederdeutschland, zwischen Weser und Elbe findet man nicht selten Leute, denen dieser Gedanke aufs und ins Gesicht geschrieben ist: rötlich strahlende Wangen, in denen das Blut feurig kreist, werden von einem hoch- und goldblonden Barte umrahmt. Es ist der apollinische Typ ins Niederdeutsche übersetzt; und also ein Typus der der deutschen Jugend, und also ein Typus der deutschen Zukunft. Zugleich aber ist es auch der Typus der deutschen Vergangenheit in ihrer größten und schönsten Form; es ist der geistige Typus Shakespeares und Rembrandts; in jenem überwiegte der helle Schein des Goldes, in diesem die dunkle Kraft des Blutes. Aus Blut und Gold endlich ist die Morgenröte in ihrer verheißungsvollen Schönheit gemischt; auch eine Morgenröte des deutschen Geistes, wenn sie wieder bevorsteht, kann nur aus diesen Elementen gemischt sein. Aurora musis amica.“
Die Vereinnahmung Shakespeares und Rembrandts in ein niederdeutsches Volkstum ist aus heutiger Sicht eine Frechheit. Aber die Nazis dachten ähnlich und wollten diese Länder ihrer Herrschaft unterwerfen. Und das folgende Zitat bringt es auf den Punkt: „Wie in der Politik, so muss auch in der Kunst die Gesundheit sich mit der Fäulnis auseinandersetzen. Der schlecht jüdische Charakter, welcher so gern mit Zola sympathisiert, ist wie dieser dem rein deutschen Wesen eines Walther v.d. Vogelweide, Dürer, Mozart völlig entgegengesetzt.“ Es gibt freilich auch gute Juden: „Um jedes Volk streiten sich Gott und der Teufel; so auch um das Volk der Juden. Ein echter und altgläubiger Jude hat unverkennbar etwas Vornehmes an sich; er gehört zu jener uralten, sittlichen und geistigen Aristokratie, von der die meisten modernen Juden abgewichen sind.“ Und hier noch deutlicher: „Es ist ein weiter Weg von Abraham, Hiob, Jesajas, dem Psalmisten bis zu den heutigen Börsenjobbern, so weit wie der vom Edlen bis zum Gemeinen.“
Ich möchte für dieses in seinem Pathos schon bei Erscheinen 1890 verspottete Buch hier in keiner Weise Reklame machen, aber wer sich an die Archäologie der Wertwelt unserer (Groß)Eltern herantraut, wird darin Manches, vielleicht sogar Vieles oder allzu Vieles finden, das ihm bekannt vorkommt.
Was könnte man heute einer/einem Vierzehnjährigen auf den Lebensweg mitgeben? Mir fällt im Augenblick nur eins ein: „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari. Es ist ein Hohelied auf die Evolutionslehre Darwins, sehr süffig geschrieben – aber wie alle Populärwissenschaft nicht unumstritten.
Mein Großvater z.B. (geboren 1880) bekam den Konfirmationsklassiker „Hinter Pflug und Schraubstock“ von Max Eyth, einem fröhlich fortschrittsgläubigen Ingenieur des 19. Jahrhunderts, der sich für den Einsatz wuchtiger dampfgetriebener Lokomobile in der Landwirtschaft eingesetzt hatte. Er starb zu früh, um noch den Triumph des „Dieselrosses“ zu erleben, Lokomobile gibt es heute nur noch in Museen. Meinem Großvater sollte wohl der Glaube an den technischen Fortschritt eingeimpft werden; er wurde Hotelier und starb zum Ende des Ersten Weltkriegs an der Spanischen Grippe.
Ich bekam noch in den 50er Jahren ein bereits 100 Jahre altes Werk geschenkt: „Soll und Haben“ von Gustav Freytag. Ich finde es auch heute noch lesenswert, Freytag ist ein guter Stilist, baut schöne Handlungsbögen, und charakterisiert markant, Fassbinder hat den Roman verfilmen wollen, ist aber an den Bedenken des WDR gescheitert. Denn in dem Buch werden Juden mit einer Unbefangenheit geschildert, die wir uns nach den Verbrechen der Nazis nicht mehr leisten können. Freytag war ein bekennender Gegner des Antisemitismus, aber allein seine Namensgebungen – Veitel Itzig und Hirsch Ehrental – wirken heute rassistisch karikierend. „Üb immer Treu und Redlichkeit!“ Dafür sollte mich dieses im Milieu der Kauf- und Geschäftsleute spielende Buch wohl motivieren.
Ein Verschenkbuch von außerordentlicher Beliebtheit war bis in die Nazizeit hinein „Rembrandt als Erzieher“, ein Buch, auf das ich indirekt stieß, als ich mich mit Edgar Selges Erinnerungen „Hast Du uns endlich gefunden“ befasste. Der 10jährige Edgar beobachtet um 1960 seinen Vater durchs Schlüsselloch: „Er geht zu seinem Lieblingsgemälde, Rembrandts Mann mit dem Goldhelm. Sieht fast so aus, als ob er mit dem Bild redet.“ Ich erinnerte mich, dass auch bei uns etwas von Rembrandt an der Wand hing: Die Skizze eines schlafenden Löwen, und dass meine Mutter „Rembrandt als Erzieher“ erwähnte und sich wunderte, dass ich das Buch nicht kannte. Den Autor konnte sie nicht benennen – ich habe ihn erst aus dem Internet erfahren: Julius Langbehn aus Kiel, ein Verehrer Nietzsches, zum Katholizismus übergetreten, massiver Einfluss auf die Jugendbewegung. Man kann es sich fast kostenlos auf den Kindle laden – und es ist eine hochinteressante und gruselige Lektüre, ein Hybrid aus "Also sprach Zarathustra" und „Mein Kampf“, eine Lektüre, die einerseits abstoßend ist auf Grund des anmaßenden Bescheidwissens und Wegweiser-Seinwollens des Autors, andererseits aufklärend, weil man versteht, wie unsere Vorfahren sich dem Rassismus und Nationalismus über differenzierende Vorstufen allmählich und unmerklich annähern konnten.
Es sind wohl Passagen wie diese, die das Buch als Geschenkbuch für heranwachsende Jungen geeignet sein ließen:
„Wehrhaftigkeit und Wahrhaftigkeit sind sich sachlich wie sprachlich verwandt; die eine ist die oberste Pflicht des Kriegers wie die andere die oberste Pflicht des Künstlers. Beide gehören zu den obersten Pflichten des Menschen, weil sie seiner tiefsten Charakteranlage entsprechen. Deutsche Menschen sind ehrliche Menschen; deutsche Menschen sind tapfere Menschen.“
„Im innersten Winkel von Niederdeutschland, zwischen Weser und Elbe findet man nicht selten Leute, denen dieser Gedanke aufs und ins Gesicht geschrieben ist: rötlich strahlende Wangen, in denen das Blut feurig kreist, werden von einem hoch- und goldblonden Barte umrahmt. Es ist der apollinische Typ ins Niederdeutsche übersetzt; und also ein Typus der der deutschen Jugend, und also ein Typus der deutschen Zukunft. Zugleich aber ist es auch der Typus der deutschen Vergangenheit in ihrer größten und schönsten Form; es ist der geistige Typus Shakespeares und Rembrandts; in jenem überwiegte der helle Schein des Goldes, in diesem die dunkle Kraft des Blutes. Aus Blut und Gold endlich ist die Morgenröte in ihrer verheißungsvollen Schönheit gemischt; auch eine Morgenröte des deutschen Geistes, wenn sie wieder bevorsteht, kann nur aus diesen Elementen gemischt sein. Aurora musis amica.“
Die Vereinnahmung Shakespeares und Rembrandts in ein niederdeutsches Volkstum ist aus heutiger Sicht eine Frechheit. Aber die Nazis dachten ähnlich und wollten diese Länder ihrer Herrschaft unterwerfen. Und das folgende Zitat bringt es auf den Punkt: „Wie in der Politik, so muss auch in der Kunst die Gesundheit sich mit der Fäulnis auseinandersetzen. Der schlecht jüdische Charakter, welcher so gern mit Zola sympathisiert, ist wie dieser dem rein deutschen Wesen eines Walther v.d. Vogelweide, Dürer, Mozart völlig entgegengesetzt.“ Es gibt freilich auch gute Juden: „Um jedes Volk streiten sich Gott und der Teufel; so auch um das Volk der Juden. Ein echter und altgläubiger Jude hat unverkennbar etwas Vornehmes an sich; er gehört zu jener uralten, sittlichen und geistigen Aristokratie, von der die meisten modernen Juden abgewichen sind.“ Und hier noch deutlicher: „Es ist ein weiter Weg von Abraham, Hiob, Jesajas, dem Psalmisten bis zu den heutigen Börsenjobbern, so weit wie der vom Edlen bis zum Gemeinen.“
Ich möchte für dieses in seinem Pathos schon bei Erscheinen 1890 verspottete Buch hier in keiner Weise Reklame machen, aber wer sich an die Archäologie der Wertwelt unserer (Groß)Eltern herantraut, wird darin Manches, vielleicht sogar Vieles oder allzu Vieles finden, das ihm bekannt vorkommt.
Was könnte man heute einer/einem Vierzehnjährigen auf den Lebensweg mitgeben? Mir fällt im Augenblick nur eins ein: „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari. Es ist ein Hohelied auf die Evolutionslehre Darwins, sehr süffig geschrieben – aber wie alle Populärwissenschaft nicht unumstritten.
Zurück zur Liste der Rezensionen von Quoth , zur Autorenseite von Quoth, zur Liste aller Buchbesprechungen