keinEinhorn
keinEskapismus, keinRosa, keineLiebe.
Die Kolumne des Teams " keinEinhorn"
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Was nach einem halben Jahr gedanklich so übrigbleibt
von keinB
Am Morgen des 12. Oktober 2018 kam es zu dem einen Anruf, den ich schon länger gefürchtet hatte. Ich wage zu behaupten, dass es für jeden von uns so etwas gibt. Die eine Nachricht, von der man genau weiß, dass sie irgendwann kommt, hoffentlich in ferner Zukunft statt in naher, und dass sie einem erst mal den Boden unter den Füßen wegziehen wird.
„Ich hab deine Mama gefunden. Es tut mir leid.“
Die ersten paar Minuten bin ich wie ein aufgescheuchtes Huhn von einem Ende der Wohnung zum anderen gelaufen, mir war schlecht, eine Mischung aus Übelkeit und Hunger, dazu das Gefühl, das man hat, wenn der Billigflieger grade ein Luftloch mitnimmt. Ich fühlte mich irreal an, meine Gedanken fühlten sich irreal an und drehten sich trotzdem im Kreis. Nachdem ich ca. zehn Minuten später den ersten Pflichtanruf hinter mich gebracht hatte, sperrte ich versehentlich mein Handy, die PUK-Suche brachte mich ein bisschen runter. Trotzdem blieben da ein Brett vorm Kopf, ein Kloß im Hals, ein zugeschnürter Brustkorb und ein so weich in Watte gepacktes Gehirn, dass man mich an den Anruf beim Bestatter erinnern musste.
Ich bin 38 Jahre alt und Vollwaise. Ich weiß, dass der Begriff in meinem Alter nicht mehr ganz stimmig sein mag, aber da ich mich vorm Tod meiner Mutter unter keinen Umständen als erwachsen bezeichnet hätte, empfinde ich ihn als passend. So ein Todesfall erfordert aber dummerweise eine Menge Erwachsensein, vor allem, wenn sonst keiner mehr da ist, der sich kümmern kann. Bei meinem Vater ging der Kelch an meine Mutter, die aber vorher schon die eine oder andere Beerdigung gemanagt hat und auch als erwachsen durchgegangen ist. Dieses Mal … Initial müssen diverse Trauerevents organisiert werden, Karten ausgesucht, Text, wehe, du vergisst irgendwen beim Verteilen der Karten, man darf sich auseinandersetzen mit einem Mitglied der entsprechenden Kirche (sofern man Wert darauf legt), Blumen und Sarg müssen ausgesucht werden, Friedhofsplatz oder ähnliches, uswusf.. Dazwischen noch Anrufe, Anstandsbesuche, immer wieder Kontakt mit dem Bestatter, Karten nachbestellen. Nach dem ersten Schock und den unmittelbaren ‚Die Leiche muss weg‘-Vorbereitungen fallen dann die nächsten Erwachsenentaten an. Notar, Grundbuchamt, Versicherungen, Krankenkasse, Rentenkasse, Spendenfonds und die ganzen Abos, die sich über die Jahre so ansammeln. Außerdem müssen vernünftige Erwachsenenentscheidungen her: Was passiert mit dem Haus? Was passiert mit dem Hund? Geht der Sohn weiterhin im Ausland arbeiten?
Mir war nicht klar, wie viel Zeug man so ansammeln kann über die Jahre. Ich verstehe auch, dass man einen Staubsauger braucht. Meinetwegen auch zwei, das Haus ist groß. Aber sieben? Ich weiß nicht, warum man fünf Kaffeeservices braucht und geschätzte 300 Platzdeckchen. Das gefundene Putzmittel reichte für die nächsten drei Jahre, wenn ich denn putzen würde. Überall findet sich irgendein Blödsinn, den keine Sau braucht, nicht mehr – und auch nie gebraucht hat. Ich glaube, hier wurde nie irgendwas weggeworfen. Mein Bruder stößt tatsächlich ins gleiche Horn: „Das schmeißen wir nicht weg, das ist noch gut!“ Ich warte dann halt, bis er wieder im Ausland ist. Und schmeiße weg, was auch immer ich loshaben will.
Es ist keinesfalls so, dass ich nicht traurig wäre. Aber über die Jahre entwickelt man doch einen gewissen Pragmatismus, besonders, wenn einem ständig irgendwelche wichtigen Menschen wegsterben. Oder anders: Nachdem ich meinen Bruder vom Ableben unserer Mutter in Kenntnis setze, legte der sich erst mal ein paar Stunden schlafen. Auf meine Nachfrage später erwiderte er, er habe geschlafen wie ein Stein, denn „was soll jetzt noch kommen?“
Er hat Recht. Ich muss mir in meinem Leben nie wieder Gedanken darüber machen, dass meine Eltern Alzheimer bekommen, dement oder krank werden, dass sie ins Pflegeheim müssen oder wie sie dort eventuell behandelt werden. Ich muss mir auch nie wieder Gedanken darüber machen, was ich wie zu meiner Mutter sage, damit sie nicht Rotz und Wasser heult oder tagelang die beleidigte Leberwurst spielt. Der unangepasste Fahrstil meines Vaters – passé. Klingt vielleicht pervers, aber ich empfinde das durchaus erleichternd.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
Ich wollte eigentlich über was ganz anderes schreiben. Und hab hier drei angefangene Kolumnen liegen, die allerdings alle zu diesem Thema zurückzirkelten.
Vielleicht beim nächsten Text nicht ganz so tief-persönlich, sondern mit ner Spur Allgemeingültigkeit und Meinung. Dann hat der Leser mehr Raum, was loszulassen.
Qualitativ jedoch einwandfrei, was Eure Kolumne aber eh auszeichnet und bei dem Schreiberstamm schon fast zu erwarten ist – um den Druck gleich mal weiter zu steigern.
Mal schauen, vielleicht baue ich in die nächste absichtlich diverse Fehler ein, um entsprechende Kommentare dann wichtig mit "Ich kann nichts dafür, es gibt keine Vorschaufunktion für Kolumnen!" quittieren zu können.
Und - das wäre definitiv mal ne challenge.^^
War bei den Kleidungsstücken ähnlich. Ich hab gefühlte tausend Säcke in den Sozi-Laden gebracht, z.T. ungetragen - und das, obwohl ich das Jahr davor mal mit ihr ausgemistet habe.
Nicht auszudenken, wenn sie auch noch Vertreter reingelassen hätte. Oder QVC geguckt ...