keinEinhorn
keinEskapismus, keinRosa, keineLiebe.
Die Kolumne des Teams " keinEinhorn"
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Motto: Doof!
von keinB
Ich bin ja bekanntermaßen sehr vorurteilsbeladen und intolerant gegenüber Menschen im Allgemeinen und Internetusern im Besonderen. Ich halte jeden erstmal prinzipiell für doof. Das ist nicht persönlich gemeint, aber es hilft doch sehr, denn andersrum benötigt man mehr Zeit und größere Anstrengungen, eventuelle „An-der-Backe-Kleber“ wieder loszuwerden. Schön aufschlussreich sind auf den meisten Seiten im Internet Profile. Das Gegenüber stellt sich ein bisschen vor, hat vielleicht ein Bild eingestellt und versucht natürlich, halbwegs gut dazustehen. Und es hat ein Motto.
Jetzt bin ich nicht nur sehr vorurteilsbeladen und intolerant, sondern auch noch ausgesprochene Mottohasserin. Sag‘ mir dein Motto und ich sag‘ dir, wer du bist. Oder wer du nicht bist. Oder wer du sein willst. Herrje, das sind ja gleich drei Dinge auf einmal.
Ich möchte heute also über Mottos herziehen. Zu diesem Zweck habe ich einige Mottos einiger User eines Chats gesichtet. Ich bin jetzt noch erschüttert. Fangen wir also an.
„Jeder Mensch hat ein Recht, glücklich zu sein.“
Jaja, und wer trotz Cholera und Hungersnöten oder ähnlichem nicht glücklich ist, hat selber Schuld und auch gar keinen Anspruch auf Mitgefühl oder Hilfe. Was denkt sich jemand, der so einen Satz schreibt?
„Leben und leben lassen.“ Der Spitzenreiter. Auch, wenn sich mir nicht ganz erschließt, warum eigentlich. Genauso gut könnte man sich selbst als Tier bezeichnen und das Ganze abwandeln in „fressen und gefressen werden“.
„I am what I am.“ Begrüßen Sie mit mir die Pauschalaussage, den sinnigsten Platzhalter für Nichts.
„Alles wird gut.“ Ja, Ihr seid die Optimisten unter uns. Vermutlich glaubt Ihr auch den Kartenlegern in gewissen Fernsehsendungen, denen Ihr hoffnungsvoll euer Geld hinterher schleudert in der Annahme, dafür auch wirklich was zu kriegen.
„Manchmal verliert man, manchmal gewinnen die anderen.“ Das ist dann eher die Pessimistenfraktion. Menschen, die „Opfer“ quer über die Stirn stehen haben und sich wundern, wenn sie wieder nur „Ich mag dich, aber nur als Freund“ zu hören bekommen oder im Job wieder übergangen werden. Das Leben kann ja so grausam sein.
„Das Leben ist kein Ponyhof.“ Nun, wer wirklich glaubt, das Leben sei mit einem Ponyhof vergleichbar, am besten noch nach Vorbildern aus der Wendy oder Rosamunde-Pilcher-Romanen, dem kann keiner helfen. Auch kein neues Motto. Wer sich allerdings dazu herablässt, vorangegangenen Spruch auf die Fahne zu schreiben, scheint grade das Rad neu entdeckt zu haben und fällt damit eher in die Anspruchslosigkeit gegenüber seiner Selbstreflektion und kann getrost ignoriert werden.
Das Intelligenteste, was ich herausgefischt habe, ist folgendes Zitat von Cesare Pavese, den ich bedauerlicherweise nicht mal dem Namen nach kenne (und nach dem zu googlen ich schlichtweg zu bequem bin): „ Nicht der Tage erinnert man sich, sondern der Augenblicke.“ Es ist eine beliebte Motto-Taktik, irgendwelche Schriftsteller oder Philosophen zu zitieren, am besten Sätze, die einen tieferen Sinn beherbergen könnten, unabhängig davon, ob man diesen verstanden hat oder nicht. Man täuscht eine gewisse Noblesse vor, gibt sich intellektuell und vielseitig interessiert (allerdings erwartet man in einem Chat/einer Singlebörse usw. eher keine Literaturprofessor), enttarnt sich aber in den meisten Fällen kurz danach selbst, indem man besonders üble Rechtschreibfehler und/oder Grammatikfehler in den Rest des Profils packt. Welcome to the Twilight-Zone.
„Ich bin nicht auf der Welt, um so zu sein, wie andere mich gerne hätten“
Ach. Echt? Interessanterweise sind nämlich gerade jene Menschen, die sich auf dieses Motto versteift haben, diejenigen, die sich tunlichst bemühen, Schnecken Konkurrenz zu machen. Da wird geschleimt, bis kein Fuß mehr trocken auf den Boden zu setzen ist, um Aufmerksamkeit gebuhlt, dass sich die Balken biegen würden, ginge es um Lügen. Bleib gerne so, wie du bist. Aber doch bitte nicht hier.
Ein angemessenes Motto fand ich auf dem Profil einer Domina: „Hart, aber gerecht.“ Inwiefern sich das auf ihre Arbeit bezieht, kann ich natürlich nicht nachvollziehen, aber passend war’s schon.
„Liebe ist wie eine Kartoffel – heiß und zum anbeißen.“
Kategorie selbst-erfunden-aber-dabei-nicht-nachgedacht. Eine Kartoffel ist nur dann heiß, wenn man sie vorher kocht. Heißt das, ich soll die Liebste/den Liebsten kochen? Oder die Sache an sich? Verbrennt man sich an heißen Kartoffeln nicht, wenn man sie anbeißt? Und überhaupt – wie kann ich die Liebe anbeißen? Oder geht es darum, auf irgendwelche Maschen anzubeißen? Ist das dann schon Liebe? Puh, da kann einem echt der Kopf rauchen, wenn man versucht, Sinn hineinzubekommen.
„Lieber stehend sterben als kniend leben.“ Die Onkelzfans. Das Schöne an ihnen ist: Man erkennt sie sofort an ihrem Motto. Wahlweise gibt es dann auch noch „Nur die Besten sterben jung.“ Man könnte den Verdacht hegen, dass Onkelzfans ein bisschen einfallslos sind, was die Mottosuche angeht. Eventuell handelt es sich hierbei aber auch um ein recht ungeheimes Erkennungszeichen. Vielleicht reichen Band-Logobilder und Liedertexte einfach nicht aus, könnte ja sein, oder?
Auch ein schönes Motto war: „Nimm dir Zeit, auch wenn du keine hast.“ Oh, und woher? Kaufen? Demnächst im Tetrapack: Zeit – auch wenn du keine hast. Tu dir was Gutes, nimm dir ’ne Dosis Zeit. Gibt’s auf Zeit etwa auch eine Art Grundrecht wie beim Glücklichsein?
Die „Lebe dein Leben“ Genossen. Umgewandelt zu: „Leb die Sekunde“ (- die immer grade schon vorbei ist), „Leben ohne zu bereuen“ (ein Lebensweg/-wandel wie ihn sich manche Hochreligiöse Menschen nicht gönnen), „Lebe dein Leben, so wie es dir gefällt“ (so lange du damit keine gültigen Rechte anderer oder Gebote und Verbote übertrittst. Das mit den Prägungen und Mustern, die man sich über die Jahre angesammelt hat, lassen wir einfach unter den Tisch fallen), „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter“ (es könnte dein letzter sein. Angenommen, ich habe beschlossen, am letzten Tag meines Lebens die Sache selbst in die Hand zu nehmen, was dann?), „Leb dein Leben, du hast nur eines“ (dazu fällt mir echt nichts mehr ein).
Die Klassiker. Wenn es ein Motto gibt, dass ich noch sinnfreier finde als „Carpe Diem“ (Nutze den Tag), dann muss dieser Titel ganz klar an „Carpe Noctem“ (Nutze die Nacht) gehen. Den Tag nutzen, was soll das schon heißen? Ihn ausnutzen? Benutzen? Abnutzen? Mir ist klar, dass es hierbei darum geht, den Tag auszufüllen und 24 Stunden sinnvoll zu verbringen, aber versucht das nicht jeder auf die ein oder andere Weise? Gut, bis auf die Höchstdeprimierten vielleicht, die diesen Satz gerne als Motto angeben. Obwohl es wohl eher Tiefstdeprimierten heißen müsste. Hm.
„Immer freundlich sein, das Leben ist schon ernst genug.“ Ich fürchte, hier hat jemand den ursprünglichen Satz nicht begriffen, versucht, ihn wieder zusammenzubekommen und ist daran glorreich gescheitert. Es muss natürlich heißen: „Immer freundlich bleiben, das Leben ist schon unfreundlich genug.“ Oder so.
„Lebe, lerne, leiste, dann haste, kannste, biste was.“ Oha. Ich wüsste nichts kürzeres, um den heutigen Missstand einer material- und kapitalorientierten Gesellschaft anzuprangern. Allerdings wage ich hehre Zweifel daran, dass eben diese Kritik auch Absicht des Mottoschreibers war.
Lachen musste ich bei diesem Prachtstück: „Manchmal steckt auch etwas Gutes in einer Frau.“ Ja, mir ist bewusst, dass es ein wenig dauert, bis dieser Spruch sein ganzes Potential entfaltet. Mir ist auch bewusst, dass er sexistisch, frauenfeindlich und irgendwie doof ist. Was nichts daran ändert, dass ich ihn mag. Als Alltagsmotto taugt er aber eher weniger, vor allen bei weiblichen Vorgesetzten sollte man sich eher kein kleines Goldtäfelchen, auf dem dieser Spruch steht, an die Wand hängen.
Es gibt natürlich auch Mottos, die kaum einer vertreten kann. „Ich bin jung- Nimm mich.“ Findet man ebenso selten wie „Ich bin alt und habe Geld“. Allerdings glaube ich auch nicht, dass Menschen, die nach diesen Mottos leben, häufig in Chats oder Foren anzutreffen sind.
Ob ich ein Motto habe, möchten Sie wissen? Mehrere. Mein liebstes ist: „Wenn man in Gennua Tee trinkt, ist hier bei uns Dienstag.“ Dieser überaus weise Satz stammt von Terry Pratchett, womit ich mich problemlos als der Riege der Literaturleser und Gedankenklauer zugehörig zuordnen lasse. Allerdings möchte ich Ihnen folgendes in die restliche Woche mitgeben: Denken Sie nicht über dieses Motto nach. Es hat keinen Sinn. Ich weiß das.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
Ansonsten gerne gelesen.
Ich habe hier nicht nur "gerne gelesen", sondern auch bewusst und ab und an laut gelacht.
Der Punkt auf dem i allerdings war deine Antwort auf Dieters Frage, der ja ANSONSTEN auch gern gelesen hat.
Nun logge ich mich gerne aus und hinterlasse dir einen herzlichen Gruß
Lotta
Nichts für ungut, im Großen und Ganzen finde ich die KeinEinhorn-Kolumne erfrischend!
@Dieter: Du ... ich bin NICHT für deine Bildung verantwortlich. Ebenso wenig wie irgendwer für meine. Wenn ich etwas nicht verstehe, dann versuche ich zuerst selbst herauszufinden, worum es geht oder was genau da eigentlich an mir vorbeigegangen ist. Wenn DU mit Terry Pratchett nichts anfangen kannst und nicht weißt, dass Pratchett sich literarisch fast ausschließlich auf der von ihm geschaffenen Scheibenwelt bewegt(e), ist das DEINE Bildungslücke - und sicherlich nicht mir anzulasten. Ich schreibe weder hier in der Kolumne noch in meinen anderen Texten für Grundschüler mit unzureichender Transferleistung und nicht vorhandenem Recherchewillen.
Apropos: Wo ist denn der heutige Kolumnenbeitrag? Ist die Luft schon raus bei Euch?
Kolumnenschreiben: kolumnenbattle ?
Jugendsprache Deutsch-Anglizismen Plenk verschonmich