keinEinhorn
keinEskapismus, keinRosa, keineLiebe.
Die Kolumne des Teams " keinEinhorn"
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Die spinnen, die ... ALLE!
von keinB
Dies ist kein Wuttext. Den passenden Wuttext hat die geschätzte Kolumnenkollegin Judas bereits am Montag geliefert. Dies ist ein "W(hat)T(he)F(uck)?"-Text, der, soviel sei verraten, meistens nicht einmal sonderlich ernst zu nehmen ist.
Es ist nicht so, dass ich nicht auch wütend werden würde. Kommt vor. Allerdings relativ selten. Und wenn, dann nicht lange. Ich leide leider an der Krankheit, fast alles und fast jeden nachvollziehen zu können.
Ich verstehe, wenn jemand Angst vor Spinnen hat. Oder vor Clowns. Oder vor Dunkelheit. Ich verstehe, wenn jemand Sicherheit für essentiell hält, finanzielle zum Beispiel. Ich verstehe, wenn man aus Gewohnheit in einer Beziehung verharrt oder nachsichtig mit Familienangehörigen umgeht, um den Familienfrieden zu erhalten. Undundund.
Zurzeit passieren jedoch viele Dinge, die ich nicht nachvollziehen kann. Und damit meine ich nicht mal die vielzitierten Hamsterkäufe. Wobei ich mich, zugegebenermaßen, schon ein wenig über einen Bekannten gewundert habe, der zentnerweise Dosen mit Ravioli bunkert, außerdem Jahresvorräte an Klopapier und dreieinhalb Kilo Schokolade. Ist der Erwerb von dreieinhalb Kilo Schokolade in diesem Land überhaupt legal? Wird man davon nicht so ... glücklich, dass man automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft einbüßt?
Zurzeit wundere ich mich. Oft. Sehr oft.
Ich wundere mich über die Kundinnen meiner Kosmetikerin, die dieser den Handschlag verweigern, sich aber anschließend eine Stunde lang auf einen nicht keimfreien Behandlungsstuhl legen und sich im Gesicht herumdrücken, -zupfen und -fummeln lassen.
Ich wundere mich über Menschen, die angesichts der Ängste anderer das große Geld wittern und Desinfektionsmittel, Schutzmasken und ähnliches zu horrenden Preisen verhökern. Ohne Gewissensbisse.
Ich habe mich nicht gewundert, über den jungen Mann, der neulich beim Einkaufen vor mir mit gezücktem Smartphone durch die Gänge gewandert ist und latent psychotisch grinsend ein Video gemacht hat. Hätte ich mein Handy dabei gehabt, hätte ich vermutlich das Gleiche getan.
Ich wundere mich über Aushänge in Mehrparteienhäusern, dass doch bitte regelmäßig das Treppenhaus desinfiziert werden, man sich nur noch in der eigenen Wohnung und vorm Haus unterhalten und auf keinen Fall Fremde - und schon gar nicht den Paketdienst! - ins Haus lassen solle.
Ich wundere mich über sinkende Verkaufszahlen der Biermarke Corona.
Ich wundere mich über die Erzählungen eines Bekannten aus dem Lebensmitteleinzelhandel, der unter anderem eine bekannte Marke für Desinfektionsmittel betreut. Diese Marke ist neuerdings regelmäßig komplett ausverkauft. Wie man aber mit Schimmelentferner gegen COVID-19 vorgeht, entzieht sich sowohl seiner als auch meiner Vorstellungskraft. Eventuell haben wir da beide etwas verpasst.
Ich wundere mich über ein-Sterne-Bewertungen aufgrund des Namens, für Restaurants, die wahrscheinlich schon seit 20 Jahren Corona heißen.
Dass asiatischstämmige Deutsche von ihren Mitbürgern gemieden und/oder angefeindet werden, überrascht mich, ehrlich gesagt, nicht sonderlich. Vor Wochen schon erhielt ich vor einem verabredeten Abendessen beim Chinesen einen Anruf mit dem ungefähren Wortlaut: "Sicher, dass wir zum Chinesen gehen sollen? Nicht, dass wir krank werden!"
Ich wundere mich über Menschen, die sich zu Hunderten dicht auf dicht in Aldi-Filialen quetschen, weil Aldi Reise-Desinfektionsmittel im Angebot hat. Bleibt nur zu hoffen, dass die für den Ernstfall auch Listen zum Eintragen ausgelegt haben.
Ich wundere mich über den Radfahrer, der, während meiner Runde mit dem Hund, meinen Gruß ignorierte und noch mal extra schnell in die Pedale trat und, weil er so weit entfernt wie möglich an mir vorbei wollte, fast im Graben landete. Was putze ich mir auch die Nase, bevor er an mir vorbei ist?
Ich wundere mich über ein "Bitte fassen Sie sich aus Hygienegründen nicht ins Gesicht"-Video, an dessen Ende die Sprecherin ihren Finger ableckt.
Ich gestehe: Ich freue mich ein bisschen für die ganzen Verschwörungstheoretiker, die sich aktuell in ihrem Glauben an ein Bevölkerungsreduktionsprogramm bestätigt sehen. Kranke und Alte werden ausgesiebt, weniger Kosten für Rente, Krankenkassen und die arbeitende Bevölkerung bleibt erhalten, sehr praktisch.
Ich wundere mich über Menschen, die auf Facebook zum Besten geben, dass sie ein Desinfektionsbad genommen haben und es nicht weiterempfehlen können. Und ja, es ist genau das, was Sie jetzt denken.
Ich wundere mich über den französischen Chocolatier, der Corona-Viren aus Schokolade verkauft. Und über die Menschen, die das kaufen.
Ich hab ein bisschen gelacht über die Nachricht, dass in Köln gleich mehrere besorgte Bürger den Polizei-Notruf gewählt haben, weil in einem Supermarkt kein Klopapier mehr verfügbar war. Und dann resigniert den Kopf geschüttelt.
Ich wundere mich, dass man erwachsenen Menschen erklären muss, wann sie wie ihre Hände waschen sollen.
Ich wundere mich nicht über Menschen, die Desinfektionsmittel und Schutzmasken aus einer Kinderkrebsstation(!) in Berlin geklaut haben. Über sowas kann man sich nicht wundern, sowas kann man nur verachten.
Man soll zur Vorbeugung gegen Ansteckung Menschen meiden? Kein Problem, mache ich eh schon seit Jahren. Heuer weiß ich wieder genau, warum.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
Das habe ich heuer zumindest noch nicht beobachtet. Kommt vielleicht noch.
Einen interessanten Paradigmenwechsel gibt es:
Früher hat man sich bei einer Epidemie zum Gebet in Gottesdiensten versammelt, heute (März 2020) finden in Italien wegen einer Epidemie keine Gottesdienste mehr statt.
Werden die Gottesdienste nicht gestreamt? Meine, da was gelesen zu haben.
Dank und Gruß
oder alle ansteckenden Krankheiten die sich über eine Tröpfchen- oder Schmierinfektion verteilen, dann wundert man sich nur noch.
Oder wird nun bei all diesen Krankheiten nun auch so ein Hype
gemacht?
Danke für den so humorvollen Text, ich musste echt innerlich
grinsen.
LG das Regenfeechen
Danke & Gruß
KB
Der schon seit Wochen anhaltende Sturm scheint niemandem mehr aufzufallen. Man gewöhnt sich eben daran.
Ich fürchte, da wird sich niemand finden lassen, den du verklagen kannst. Eventuell den Polizei?Notruf wä... *huuuuust*
Dank&Gruß
KB
(11.03.20)
mir war wichtig, im Text nicht zu verharmlosen. Oder die Panik anderer zu bewerten. Panik/Angst sind sehr individuelle Dinge. Im Alltag sieht das natürlich anders aus, wenn man unmittelbar auf Dinge reagiert/reagieren muss und die eigenen Emotionen noch mit hineinspielen.
Dass in der Lombardei inzwischen schon entschieden werden muss, wer behandelt wird/werden kann, hab ich gelesen - und es hat mich zutiefst erschreckt.
Gehamstert habe ich bisher noch nicht. Mein Hüftspeck reicht locker für zwei Wochen.
Vielen Dank und liebe Grüße
Tina
Gute Besserung.