keinEinhorn
keinEskapismus, keinRosa, keineLiebe.
Die Kolumne des Teams " keinEinhorn"
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Ein Plädoyer für die Langeweile (Teil 2)
von Judas
...aber ich hatte dann einfach keine Lust. Das ist die ungeschönte Wahrheit. Klar könnte ich jetzt sagen: ich hatte keine Zeit, ich war mit anderen Dingen beschäftigt, ich war im Urlaub, ich hatte viel Stress auf der Arbeit – aber das stimmt nicht! Ich hatte einfach keinen Bock, wie man so schön sagt.
Wo wir auch schon beim Thema wären.
Kennt ihr diese Geschichte, Fabel, von dem Hasen und der Schildkröte? Wo alle dann die Schildkröte feiern, weil der vermeintlich blöde und arrogante Hase das Rennen verpennt hat? Aber mal im Ernst, ist der Hase denn wirklich der Verlierer der Geschichte? Der konnte zwei Stunden unter einem Baum chillen und hat sich die Sonne auf den Pelz scheinen lassen, während die Schildkröte vollkommen unnötig sich da die Rennstrecke entlang quält, schwitzt und sich 'nen Mist über Beharrlichkeit, eigenes Tempo und „der Weg ist das Ziel“ vorbetet.
Wem muss der Hase denn irgendwas beweisen? Er weiß, er ist schneller als die Schildkröte. Die Schildkröte weiß es. Scheiße, der ganze, verdammte Wald weiß es. Das Rennen war unnötig und banal und die Schildkröte hat zwei Stunden ihres Lebens vollkommen vergeudet um – tja, was zu beweisen eigentlich? „Und sie bewegt sich doch“ oder so? Okay, so 'ne Schildkröte wird 150 Jahre alt, vielleicht juckt sie das nicht sonderlich. Ein Hase jedoch wird nur 7 Jahre alt und hat damit doch seine Zeit wesentlich besser verbracht in der Geschichte.
Wer kennt das nicht. Man trifft sich oder telefoniert mit irgendeinem Menschen und dann diese Frage: „Und – was hast du heute so gemacht?“
Und ihr denkt so nach und stellt fest, die Antwort ist: „Nichts.“ Gefolgt von „Eigentlich wollte ich ja das Bad machen...“ oder so.
Die sozial anerkannten Antworten auf diese Frage sehen ja ungefähr so aus: „Ich war einkaufen“, „Ich hab den Abwasch gemacht“, „Ich hab was für die Uni gemacht“ (was auch immer das heißt, ich hab das nach zehn Jahren Studium nicht raus gefunden) und natürlich die Königin aller seriösen und adäquaten Antworten: „Ich war heute morgen joggen und hab dann nach der Arbeit noch den Einkauf erledigt und dann noch den Teppich gesaugt und für morgen Brot gebacken.“ Ach komm, das kann doch keine Freude bereiten.
Und geht mal in euch: habt ihr wirklich nichts gemacht wenn ihr sagt: ich habe heute nichts gemacht? Habt ihr vielleicht auf der Couch gesessen und eure Lieblingsserie geschaut und zwar die ganze 1. Staffel und das zum dritten Mal? Oder den ganzen Tag Computer gespielt? Oder ein Buch gelesen? Fröhlich durch's Internet gesurft und zwei Stunden bei YouTube versenkt? Vielleicht unter einem Baum gelegen und euch die Sonne auf den Pelz scheinen lassen? Und habt ihr euch dabei großartig gefühlt? Ich würde meinen: ja. Warum ist das dann generell so verpönt, dass man dann eher sagt: „ich habe heute nichts gemacht“ oder irgendwie krampfhaft noch versucht, irgendeine Art von Miniaktivität als Tagessoll zu verkaufen, so was wie „ich hab das Katzenklo gesäubert“? Dabei hat man doch was gemacht: faul auf der Haut gelegen und sich richtig gut dabei gefühlt. Das ist doch was Schönes, das ist doch nennenswert! Also:
„Und – was hast du heute so gemacht?“
„Zu erst richtig lang geschlafen. Dann 'nen guten Kaffee gekocht. Dann hab ich die ganze, erste Staffel von Friends durchgeschaut und ich kann dir sagen, ich brauchte das. War gut für die Seele. Richtig gut.“
Faulheit und Langweile sind negativ besetzte Begriffe. Faulheit wird im christlichen Kontext sogar als eine Todsünde bezeichnet. Wir leben in einer Gesellschaft, die verlernt hat, still zu stehen und mal durchzuatmen. Es gibt Meditationsapps für's Handy, die dem geneigten und gestresstem Nutzer wortwörtlich erzählen, einfach mal drei Minuten irgendwo zu sitzen und nichts weiter zu tun, als zu atmen. Das kriegen viele nicht hin. Wisst ihr eigentlich, wie schwer es ist, jemandem von zehn Minuten Meditation mit nichts weiter als Atemübungen zu überzeugen? Das wird als „Zeitverschwendung“ angesehen. Oder als „langweilig.“ Zeitverschwendung! Zehn Minuten! Herrgott, was man nicht alles in diesen zehn Minuten hätte tun können! Den Teppich saugen, zum Beispiel.
Es gibt den gesellschaftlichen Druck, dass man ständig und immer zu Dinge erledigen muss, Dinge schaffen muss, ein geheimes Tagesziel erreichen muss. Und klar, die Dinge müssen früher oder später dann auch mal erledigt werden. Manche dringender und manche weniger dringend. Aber übergestülpt wird das von enormen Leistungsdruck und der, der mehr an einem Tag schafft, mehr sauber macht, mehr arbeitet, mehr lernt, weniger schläft, früher aufsteht, dafür drei Runden um den Teich dreht noch vor der Arbeit, der gilt generell als Vorbild. Der gilt als beeindruckend. Mich beeindruckt das absolut gar nicht. Wann wurde eigentlich wenig schlafen als lobenswert erachtet und viel schlafen negativ betitelt? „Wie bitte, du hast zehn Stunden geschlafen?! Da hast du ja den ganzen Tag verpennt!“,
„Du bist erst um 11 Uhr aufgestanden?! Da schafft man doch nichts!“
Ja. Und?
Ich sage gerne über mich selbst: ich bin schlau aber faul. Und mich stört das gar nicht. Ich meine: klar. Hätte ich auch nur eine Stunde in meinem Leben in der 11. und 12. Klasse für's Abitur gelernt, hätte ich vielleicht einen Abschluss mit 'ner 1 vorne gehabt statt 2,3. Aber nach meinem Bachelor hat kein Schwanz mehr nach meinem Abiturzeugnis gefragt. Und nach meinem Masterabschluss wollte niemand mehr auch nur im Ansatz was über meinen Bachelor wissen.
Und auch jetzt juckt es niemanden, wirklich niemanden, dass ich meinen Master mit 1,7 abgeschlossen hab. Und mir fiel das leicht, okay. Und anderen vielleicht nicht. Und der eine ist vielleicht stark und motiviert und hat viel Kraft und Energie und stemmt mehr und dem macht das vielleicht Spaß. Und der andere ist vielleicht nicht ganz so gesund, physisch oder psychisch, und schafft nicht so viel und braucht länger, um seine Batterien wieder aufzuladen und leistet eben nicht so viel und nicht so schnell.
Na und?
„Mir geht es gut, ich hab nichts zu tun,“ singt Bela B. von den Ärzten in dem brillanten Lied Achtung: Bielefeld. Der song endet mit der Zeile „Aber ich denke, dass eine Mutter in Aleppo sich auch ganz gern mal langweilen würde.“
Denkt mal drüber nach.
Und nachdem ihr das getan habt, haut euch doch einfach mal auf die Couch und lasst den Teppich ungesaugt. Wenigstens heute. Scheiß doch auf den Teppich. Kannste auch morgen noch machen.
„Darum lasst uns alle Langweiler werden und schon herrscht wieder Frieden auf Erden. Ich möchte, dass ihr mit mir sprecht: Langweile ist nicht schlecht! Sie ist eigentlich ganz schön, guten Tag, auf Wiedersehen. Nur nicht zu bald. Ich würde gern ohne Aufregung alt.“
- Die Ärzte – Achtung: Bielefeld
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
Was hast Du denn heute gemacht? „Nichts“
Aber gestern hast Du auch schon nichts gemacht.
„Ich weiß, ich bin damit nur nicht fertig geworden“
- Aber im Ernst: Ja, gerne gelesen. Es gibt diese Leistungsmentalität, die gesellschaftlich noch immer sehr präsent ist, gleichzeitig gibt es immer stärker auch die Bewegung, die so etwas wie Selbstfürsorge, Entschleunigung, Achtsamkeit propagiert. Traurig ist, daß diese Bewegung vor allem dadurch entstanden ist und weiter wächst, daß immer mehr Menschen an der Leistungsorientierung kaputtgehen.
(Als kleine Fallstudie möchte ich hier meine eigene derzeitige Situation als - typisches ? - Beispiel anführen: Infolge eines Abteilungswechsels im Beruf, der vielleicht nicht so ganz perfekt organisiert wurde, schiebe ich im Augenblick 50-Stunden-Wochen in einer Zeit, in der ich eigentlich Urlaub genommen hatte. Die Perspektive ist top, eine deftige Gehaltserhöhung steht - wahrscheinlich, hoffentlich - ins Haus, meine Leistung kommt bei der Geschäftsleitung gut an. Und ich bin völlig am Ende. In der Folge schlafe ich die Wochenenden überwiegend durch. Das ist irgendwie auch Selbstfürsorge und Entschleunigung, aber im Grunde einfach eine Notwendigkeit, um die Situation durchzustehen. - Im Büro witzeln wir übrigens immer über Entschleunigung, wenn der Rechner wieder eine Viertelstunde braucht, um hochzufahren, oder wenn die EDV ganz abtürzt. Aber das entschleunigt ja nicht wirklich, sondern macht das Ganze nur schlimmer. Nuja.)
Zurück zum Thema: Natürlich sind Faulheit und Langeweile negativ besetzt, das liegt ja schon an den Begriffen selbst: Faulheit steht für Fäulnis, das langsame, übelriechende Verrotten durch die eigene Untätigkeit. Die Langeweile ist etymologisch etwas harmloser, steht aber semantisch meist für eine Untätigkeit, an der man selbst leidet - ich weiß nicht, was ich tun soll, will, kann. Und das geht mir auf den Sack.
Ich bevorzuge das etwas altmodische Wort "Müßiggang". Das war und ist freilich auch nicht immer positiv besetzt. Es drückt aber eher so etwas aus wie: die Zeit bewußt nutzen, ohne Nutzen daraus ziehen zu müssen. Die Zeit Muße sein lassen. In der Zeit, im Moment sein und bleiben.
Ich bevorzuge dieses Wort übrigens nicht, weil das, was ich meine, so ist. Sondern weil ich es so haben möchte.
Entschuldige die Geschwätzigkeit,
Liebe Grüße
"Die Langeweile ist etymologisch etwas harmloser, steht aber semantisch meist für eine Untätigkeit, an der man selbst leidet - ich weiß nicht, was ich tun soll, will, kann. Und das geht mir auf den Sack." Auch dafür sollte man, eventuell, dankbar ein. In die Situation überhaupt erst zu kommen, kann Luxus sein. Wie in deinem persönlichen Beispiel eigentlich sehr gut dargestellt.
Find, dass kommt dann letztlich in dem DÄ song eben in dem entscheidenden Satz „Aber ich denke, dass eine Mutter in Aleppo sich auch ganz gern mal langweilen würde.“ sehr gut zur Geltung. Klar, sich "zu langweiligen" nervt - aber dass man doch überhaupt erst in diese Situation kommen kann, sich zu langweilen und dass es einen dann auch noch nerven kann... ist das nicht eigentlich beachtenswert?
Wahrscheinlich wird sie, wenn sie die Möglichkeit bekommt, zuerst die Muße genießen können, bewußt im Moment leben und all das, was wir privilegierte Gelangweilte uns so wünschen, bevor ihr wirklich einmal langweilig wird. Und selbst diesen Zustand wird sie dann sicher dem Alltag im Krieg liebend gern vorziehen, da haben Die Ärzte schon recht.
(Und weil Du mich zur Geschwätzigkeit ermuntert hast, hier noch die Fortsetzung zu meiner oben geschilderten Situation am Arbeitsplatz. Und die ist leider kein Witz: Der mir so gewogene Geschäftsführer ist in dieser Woche unerwartet gestorben. Als ich am Mittwochabend meinen Kommentar postete, muß er schon tot gewesen sein. Das relativiert erstmal alles, was ich da investiert habe; und plötzlich ist es gar nicht mehr klar, ob und wie es mit dem Unternehmen weitergeht. Aber die Erschöpfung bleibt natürlich. Und wächst.
- Tja, und die Mutter in Aleppo? Würde wahrscheinlich trotzdem gerne mit mir tauschen. Und ich mit ihr nicht.
- Ich stelle fest: Ich bin ein First World Problem. Und es könnte mir verdammt schlechter gehen. Diese Erkenntnis hilft tatsächlich. Danke dafür.
Klammer zu:
)
So. Amen, oder was man dazu sagt. Ich schreibe demnächst auch wieder eine Kolumne. Es wird um Hosen gehen, unter Anderem.
Beste Grüße
Eine Kolumne über und mit (oder ohne?) Hosen. Ja bitte!