Aufgespießt
Unverschämtheiten aus Politik, Promiszene und Alltag
Die Kolumne des Teams " Aufgespießt"
(bisher 4.964x aufgerufen)
Der geknebelte Dienstleister
von AlmaMarieSchneider
Bis in die 70er Jahre sprach man von unserer Gesellschaftsform als Industriegesellschaft.
Rationalisierungsprozesse wie auch Outsourcing-Prozesse leiteten einen grundlegenden Wandel ein. Die Unternehmen zogen sich auf ihre Kernkompetenzen zurück und lagerten Fertigungbereiche als selbständige unternehmensorientierte Dienstleistungen aus. Diese Dienstleister waren hoch spezialisiert und wurden von den abnehmenden Unternehmen immer mehr finanziell geknebelt. Sie wurden zum Unternehmens-Knecht. Selbst Normen und Werte begannen sich zu verändern. Man sprach von Augenhöhe und meinte vermutlich die Hühneraugen an den Füßen der großen Leistungs-Abnehmer. Mehr bekamen Dienstleister oft nicht zu sehen.
Typische Auslagerungen waren auch Bereiche wie EDV, Wartung und Service.
Im Rahmen dieser Tertiärisierung wurden nicht nur neue Zulieferer geschaffen, nein selbst der Endkunde wurde zur Dienstleistung zwangsverpflichtet, natürlich ohne Lohn. Selbstbedienungsläden merzten das Tante Emma-Geschäft fast vollständig aus. Beheizte Wartezimmer im Winter und hilfreiches Personal, das eine Bahnreise auch für Kinder und Jugendliche sicher machte, wurden abgeschafft. Stattdessen gibt es jetzt einen zugigen Plastikunterstand und wenn überhaupt, einen Kartenautomaten. Bleibt immer noch das Problem an die richtige Fahrkarte zu kommen. Nicht jeder Kunde ist geeignet kompetentes Service-Personal zu ersetzen. Doch dafür hat man Kontroll-Personal eingesetzt, das unbarmherzig zuschlägt. Immer wieder hört man, dass wer heute eine falsche Fahrkarte zieht, damit rechnen muss, bei Dunkelheit und selbst strengem Frost an einer einsamen Haltestelle vom Zugpersonal ausgesetzt zu werden. Selbst vor Kindern wird nicht Halt gemacht. Natürlich wird auch noch eine saftige Geldstrafe fällig.
Wie schwierig es werden kann, möchte ich anhand einer kleinen U-Bahnfahrt erzählen.
Meine Nichte, gerade mal fünf Lenze alt, der alte Dackel Leni und ich machten uns auf den Weg, die Tante zu besuchen. Sie lebt in einer größeren Stadt und die Parkplatznot ist wie überall in Städten sehr groß. So arbeiteten wir uns mit dem Auto bis auf geschätzte zwei Kilometer an unser Ziel heran. Den Rest des Weges, nach Plan zwei Haltestellen, wollten wir mit der U-Bahn bewerkstelligen.
Vor der Rolltreppe stand ein Automat. Nun hatten wir die Wahl: Einzelkarte Erwachsen und Kind, Wochenendkarte, Tageskarte, Familienkarte, Kurzstrecke oder Normalstrecke und Langstecken incl. Außenbezirke. Was war nun wieder eine Kurzstrecke? Was kostet Leni? Darf die überhaupt in die U-Bahn? Ich beauftragte meine Nichte nach einem Schild mit durchgestrichenem Hund zu sehen, Oh, Gott, wo ist jetzt wieder das Maulkörbchen? Familienkarte? Ist Leni da mit inklusive?
Ich wählte schließlich einmal Erwachsen, zwei Kinder und alles Langstrecke um sicher zu sein.
Als wir einstiegen, betete ich, es möge doch kein Kontrolleur kommen und wenn, dass wir zufällig die richtigen Karten haben. Unwissenheit und Schweiß auf der Stirn schützen vor Strafe nicht. Sicher ist wohl, dass parken im Parkverbot günstiger ist als mit drei falschen Karten in der U-Bahn erwischt zu werden.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
(24.03.10)
Wir kleinen Endkunden glauben immer wichtig zu sein, weil wir dieses Dienstleistungsprinzip nicht richtig zuordnen. Will doch jeder unser Geld und jeder will uns glauben machen, der Kunde sei König. Das schon, doch es ist eine "Unternehmensorientierte Dienstleistungsgesellschaft und keine am privaten Kunden orientierte Dienstleistung. Wenn diese Unternehmen die Zeit bezahlen müßten, die sie uns überall stehlen beim Anstehen an Kassen, am Bankschalter, der Flaschenrücknahme, der Mülltrennung usw. Besser wurde jedenfalls nichts.
Danke fürs Lesen und Kommentieren.
Liebe Grüße
Alma Marie