Aufgespießt
Unverschämtheiten aus Politik, Promiszene und Alltag
Die Kolumne des Teams " Aufgespießt"
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Leere Kirchen
von AlmaMarieSchneider
Wer als Kind auf dem Lande aufwuchs, erinnert sich oft mit Grausen an den sonntäglichen Pflichtgang in die Kirche. Zum Schlafen waren die harten Bänke nicht geeignet und im Winter frohren die Zehen ein. Außerdem gab es etwas auf die Ohren, wenn man sich gar zu unruhig verhielt. Gottes Diener hatte eben seine Augen überall und montags war meistens Religionsunterricht. Wer dann nicht die Predigt wiederholen konnte, musste den halben Katechismus auswendig lernen und jeder Steckenbleiber wurde mit einem Stockhieb bestraft. Dann kam es auf das rechtzeitige Wegducken an. Doch eines blieb mir in guter Erinnerung. Ich liebte den Klang von Orgeln, den Duft der Kerzen und das Licht das durch die wunderbaren Fenster in das Kirchenschiff fiel. Heute suche ich mir immer die größten Kirchen aus, Kirchen die eine mondäne Orgel zu bieten haben und ich hoffe auf einen virtuosen Organisten. Sein Spiel ziehe ich mir über, wie schöne Kleider, die im Licht dieser Gottestempel wunderbar glänzen. Dass die Kirchen heute so gut wie leer sind, stört dabei nicht. Es wird weniger mit den Füßen gescharrt, weniger gehustet und vom schlechten Gesang ist auch so gut wie kaum etwas zu vernehmen. Diese großen Orgeln füllen den Raum. Nur ein paar alte Mütterchen teilen sich mit mir das große Kirchenschiff. Der Pfarrer wirkt fast fehl am Platz und ich freue mich jedes Mal, dass ich mir seine Predigt nicht mehr merken muss. Niemand fragt mich mehr danach, wer der Judas war oder wie viele Fische für fünf tausend Menschen reichen mussten. Es steht ja jeden Tag in der Zeitung.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
Schöner Schlußsatz!
Danke Dieter_Rotmund fürs Lesen und Kommentieren.
Aber bei uns war es einfach völlig normal, regelmäßig in die Kirche zu gehen, es war normal, stillzusitzen, alles sowas wie Zähne putzen, es gehörte einfach zum Leben dazu. Und gottseidank gab es kein Abfragen und kein Bestrafen.
Das mit dem Orgelspiel kann ich gut nachvollziehen, ich mag die Kombination von Musik und Kirchenatmosphäre auch sehr gerne (obwohl ich nicht mehr dazu gehöre).
Nicht alle Pfarrer waren von derartigen Erziehungsmethoden überzeugt. In den Elternhäuser hatten die Schläger ja meistens Rückendeckung. Niemand wollte es sich mit der Dorfobrigkeit verderben. Das "Buckeln" nach oben aus der Kaiserzeit war noch tief in den Menschen verankert und wurde bis in die 70er Jahre als ein "so ist das eben" angesehen. Ein Trost, dem Kaiser ging es seinerzeit wohl auch nicht anders.