Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Montag, 22. April 2019, 11:40
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Fußball ist eine Art Seelsorge, und nicht die schlechteste

von  Dieter_Rotmund


Gastkolumne vom  eiskimo

Wenn einer wie der brave Matthias in den 50er Jahren am Stadtrand groß wird, und zwar in der Nähe des katholischen Kölns, dann ist sein Werdegang ziemlich klar: Er wird Messdiener, Pfadfinder , Gruppenführer in der Katholischen Jugend , später Mitglied im Pfarrgemeinderat, vielleicht sogar Katechet, das heißt: Er erteilt Kommunionunterricht oder macht die Firm-Vorbereitung. Da es zu der Zeit noch streng und sittsam zugeht im und auf dem Lande, sind die Jungen auch immer hübsch getrennt von den Mädchen – Matthias wächst also völlig selbstverständlich auf in der klassischen Jungenrolle: Jungen spielen draußen, sie sind körperlich hoch aktiv, und mindestens 80 Prozent dieser freien Zeit rennen sie einem Ball hinterher.
Matthias ist gut, er hat Ballgefühl, er hat eine Bärenkondition und eine unstillbare Lust auf Bewegung. Ja, er hat das Talent für den lokalen Fußballverein, er wird sogar vom Jugendtrainer umworben. Leider hat Matthias aber eine Mutter, die dem Fußball misstraut. Generell sei diese Sportart brutal, und konkret gefalle ihr der Dorfverein nicht – die falschen Leute, kein guter Umgang für einen anständigen Jungen, und nackt geduscht würde nach den Spielen auch….
Wie gut für Matthias, dass Fußball trotzdem im prüden katholischen Milieu seinen Platz hat. Nach dem Messdiener-Unterricht oder der Gruppenstunde mit den Pfadfindern - oft auch vorher schon, zur Einstimmung – wird Fußball gespielt. In den Sommerlagern, wenn sie mit fünfzig oder sechzig Jugendlichen irgendwo zelten, wird Fußball gespielt. Zwischen den Zelten, auf holprigen Weiden oder … auf einem richtigen Rasenplatz, wenn die gastgebende Gemeinde es erlaubt.
Für Matthias ein Höhepunkt derartiger Ferien-Freizeiten: Das Match seiner Kölner Jugendgruppe gegen das Dorf in der Eifel. Da muss er schon als Zwölfjähriger seinen Mann stehen im Team mit den Vierzehn- oder Sechzehnjährigen. Es gibt richtig Publikum, nämlich die Jugendlichen aus dem Dorf, die es natürlich den „Kölnern zeigen wollen“; Trikots gibt es nicht – eine Mannschaft „macht nackt“, und als Schiri muss der junge Kaplan fungieren, der eigentlich viel lieber mitgespielt hätte.
Oh, das Spiel geht böse verloren. Ihr zusammen gewürfelter Haufen, der noch nie gemeinsam trainiert geschweige eine Art Mannschaftstaktik verabredet hat, kommt hoffnungslos unter die Räder. Die Gegner sind allesamt Vereinsspieler, kennen Tricks, haben richtige Spielzüge drauf…Matthias gibt alles, er glüht förmlich vor Einsatzwillen , aber er kann es allein nicht richten. Immerhin hat er zwei, drei richtig gute Szenen. Da blockt er mutig einen Torschuss ab, und danach gelingt ihm bei seinem Gegenüber ein „Tunnel“ – somit ist er am Ende nicht gänzlich am Boden zerstört.
Gut, dass es kurz nach dem Sommerlager dann das Pfarrfest gibt. Da trifft sich die Pfarrgemeinde bei Kaffee und Kuchen, Chor-Vorführung, Kinder-Flohmarkt, Bücherbasar und …dem lang ersehnten Fußballmatch „ Messdiener gegen Pfadfinder“. Sie spielen hinter der Kirche auf einem improvisierten Kleinfeld, 6 gegen 6, beliebig viele Auswechselspieler und: – der Sieger darf als Belohnung gegen Kirchenchor und Kirchenvorstand antreten. Natürlich ist der Zweck dieses sportlichen Elements im Festprogramm, die Pfarrei zusammenzuführen, neu Hinzugezogene zu integrieren, sich bekannt zu machen. Und hier kann Matthias echt glänzen. Er führt seine Pfadfinder nicht nur zum Sieg gegen die Messdiener – und die hatten einen B-Jugendlichen vom FC in ihren Reihen! – nein, er schafft auch einen hart erkämpften Sieg gegen die Erwachsenen-Truppe. Die hat anfangs noch Vorteile, weil die Jugendlichen total übermotiviert zu Werke gehen. Aber dann bauen die Herren Kirchenvorstand konditionell total ab – Matthias macht vor den gut hundert Zuschauern drei Tore …. und ist im siebenten Himmel!
Unfassbar, wie diese Leistung auf dem Fußball-Feld seine Autorität auch bei der Jugendarbeit festigt. Matthias fühlt sich ein bisschen ….. wie ein Star. Er hat richtig Oberwasser, wird ganz anders wahr genommen und akzeptiert. Selbst ein paar scheue Mädchen aus dem Katholischen Musikchor kreuzen plötzlich ab und zu seine Wege. Wichtiger aber: Er wird erneut von Aktiven aus dem lokalen Fußballverein angesprochen, ob er nicht doch…
Ja, doch. Er will. Mit diesem Erfolg im Rücken macht er einen neuen Anlauf, seine Mutter umzustimmen. Er will in den Fußballverein. Er will regelmäßig und methodisch trainieren. Und um seiner Mutter die Angst vor der Brutalität des Fußballs zu nehmen, sagt er:“Mama, ich geh auch nur ins Tor! Torwarte verletzen sich nicht. Die sind im Fußball sogar geschützt durch den Fünf-Meter-Raum, wo man sie nicht angreifen darf…“
Matthias bekommt das Grüne Licht der Mutter. Er wird tatsächlich im lokalen Verein Torwart, ein „mitspielender Torwart“ , der durch seine Grundschnelligkeit, sein „Auge“ und die Fähigkeit zu antizipieren eine enorme Strafraumbeherrschung erreicht. Mit 17 wird Matthias dann vom FC umworben, damals noch Regionalliga. Und er wird dort zur festen Größe, Stamm-Torhüter, viele Saisons lang.
Im Sommer aber, wenn der Liga-Betrieb ruht, dann spielt Matthias auch mal wieder Stürmer. Dann zeigt er den jungen Messdienern und Pfadfindern, wie man auch auf dem Kleinfeld groß heraus kommt. Beim traditionellen Pfarrfest.

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Didi.Costaire (21.03.19)
Unterhaltsam erzählt.
Mir war gar nicht bewusst, dass es im Kölschen Raum soooo katholisch zuging.

 eiskimo meinte dazu am 21.03.19:
Kölle, Karneval, Kamelle, Klüngel, Kirche, Katholisch.....
kannste kucken kommen!
vG
Eiskimo

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 21.03.19:
Katholiken haben/hatten etwas gegen Gemeinschaftsduschen in Sportvereinen? Das kenne ich eher von den Nazis...

 eiskimo schrieb daraufhin am 21.03.19:
Mathhias´ Mutter auf jeden Fall. Und in den 60er Jahren waren, glaube ich, alle in Deutschland noch nicht so frei, in dieser Hinsicht...
Von den Nazis weiß ich, dass sie keineswegs wasserscheu oder körperfeindlich waren. In Frankreich gibt es ein Stereotyp, das zeigt die deutschen Besatzungssoldaten halbnackt am Dorfbrunnen, morgens bei 5 Grad bei der Morgentoilette, lachend...

 GastIltis (21.03.19)
Ich finde den Text in Ordnung, einzig die Stelle mit dem Tunnel finde ich etwas eigenwillig. Heute ist ein Tunnel fast mehr als ein Tor wert. Ich meine, dass zu der Zeit, als die Geschichte spielte, darüber noch kein Wort verloren wurde. Wenn ich z.B. an Zeiten eines Okocha denke, dann waren doch ganz andere Tricks an der Tagesordnung. Dennoch: die Diskrepanz zwischen Religionszugehörigkeit und dem Antrieb, sich im Spiel zu beweisen, wurde gut ausgearbeitet. Gil.

 eiskimo äußerte darauf am 21.03.19:
Das Sakrale und das Profane schließen sich nicht aus, vielleicht profitieren sie sogar voneinander...
Jemanden beim Fußball "tunneln" war in meiner Jugend schon ein besonderes Erfolgserlebnis, zumal unser Bolzplatz (Asche, natürlich) höchstens15x30m groß war - da musste jede Lücke genutzt werden. Besonders schön, wenn es beim Torwart gelang.
Eiskimo

 GastIltis ergänzte dazu am 21.03.19:
Bist wahrscheinlich jünger, dann liegt es am Katholizismus, will nicht näher darauf eingehen, und beim Torwart: OK. Gil.
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