Nach den Tagen der zufälligen Begegnung mit ihrem damaligen ersten Freund Hannes dachte Janine häufig an ihn. Er war ein Mann der sich die widrigen Wahrheiten des Lebens dadurch angenehmer machte, dass er lediglich einen kleinen Prozentsatz seines Verhaltens darauf orientierte. Im tiefsten Innern sagte ihr dieser Gedanke zu. Es schien ein Weg zu sein, sich nicht dem Schwindel einer zu markanten Änderung aussetzen zu müssen.
Hannes verstand es immer noch ihre erloschene Sinnlichkeit zu entfachen. Was kann nach den vielen Dilettanten, denen sie in den letzten Jahren begegnet war, beglückender sein als jemand der sich darauf versteht. Bei ihm geschah alles zum richtigen Zeitpunkt, fügte sich wie zu einer vorausberechneten Ordnung. Sie verstand es schon früher bei der Liaison mit ihm verborgene Dinge bei sich zu entdecken von denen sie vorher noch nichts wusste. Nur ihr Körper hatte eine leise Vorahnung.
Hannes war schon immer der Ansicht, dass die meisten Menschen versiert darin sind unsichtbare Schranken und Abgründe, die ihnen ihr kranker Geist vorgaukelte, zu überspielen. Manch einer versuchte Realitäten ganz zu verschleiern. Auf der anderen Seite glaubte er, dass Unmögliches existiert.
Bei ihrer ersten Begegnung nach den vielen Jahren war er so clever zunächst Janines unvernünftige Ansichten zu teilen, um das Dickicht der Vorbehalte zu durchdringen. Instinktiv war ihm klar, dass er nur so an ihren Kern herankommen würde. Sie durchschaute das, musste ihm insgeheim in vielen Dingen Recht geben und spielte mit.
Bei ihrem gestrigen Abschied streifte ein Lufthauch ihr Gesicht. Weil ihre Wangen feucht von Tränen waren fühlte sich der letzte Kuss kalt an.
lg vom harzer
