Bahnfahren ist ja wohl mal richtig geil. Ich meine das gar nicht ironisch, aber eigentlich auch schon. Also, es ist so: ich fahre sehr gerne mit dem Zug. Dabei kannst du bequem Musik hören, längst überfällige E-Mails beantworten oder einfach nur aus dem Fenster schauen. Ich finde, sogar dabei vergeht die Zeit sehr schnell. Besonders gerne mag ich die Strecke von Frankfurt nach Köln oder umgekehrt. Jedenfalls die am Rhein entlang, wenn da noch die Sonne scheint... ich schweife ab. Was ich nicht mag ist alles vor und nach der Fahrt. Das fängt schon mit dem Fahrkartending an. Ich bin stolzer Besitzer einer Ermäßigungskarte, mit der ich die Hälfte der Fahrkosten sparen kann, weil ich mich keine 47 Wochen vorher auf Tag, Uhrzeit und Zug festlegen mag. Ich kaufe die Karte wenn ich am Bahnhof stehe.
Aber da mußt du ja schließlich auch erstmal hinkommen. Straßenbahn oder S-Bahn ? Ich entschied mich für die S-Bahn, weil die schneller ist und ich nicht weiß, wann die Straßenbahn fährt. In den Ferien wird nämlich der Fahrplan an das geringere Fahrgastaufkommen angepaßt, das heißt dann Service. Außerdem fährt da so früh eh kaum was. Der Fahrplan an meiner Wohnungstür verrät mir, daß die Bahn um 5.19 fährt. Prima.
Ich muß zugeben, daß ich die eine oder andere Minute zu spät losgelaufen sein mag und kam reichlich abgehetzt an der S-Bahnhaltestelle an. Die Bahn kam gar nicht. Also schon, aber nicht wie geplant sondern fünf Minuten später, wie ich dem Aushangfahrplan entnehmen konnte (Notiz für mich: neuen Fahrplan für die Tür besorgen). Meinem empfindlichen Zeitplan kam das sehr ungelegen, da ich einen Zug um 5.32 Uhr nehmen wollte (das internet macht es möglich, ich war gut vorbereitet !) Wie habe ich mich gefreut, als ich den Ticketautomaten entdeckte, der auch gewillt war, mir Karten für den Fernverkehr auszuspucken. Allerdings kam er nicht dazu. Er muß sich an meinem exotischen Fahrziel gewaltig verschluckt haben: während der digitale Bahnmitarbeiter noch fleißig Verbindungen heraussuchte, fuhr die S-Bahn ein. Mist. Doch keine Karte mehr bekommen. Zwei Haltestellen später oder auch um 5.28 Uhr stand ich vor einem Mitarbeiter gleicher Bauart, jedoch diesmal am Hauptbahnhof. Dar war viel schneller als sein Kollege ! Eine Minute später eilte ich mit meiner Fahrkarte zum Bahnsteig, allerdings nicht ohne vorher noch einmal kurz einen konventionellen Fahrplan zu konsultieren, um in Erfahrung zu bringen, welcher das eigentlich sei. Was soll ich sagen ? Punktlandung am Bahnsteig. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert !
Dann die erlösenden Worte der netten Stimme aus der Wand: "Der ICE [Nummer] nach Köln wird voraussichtlich fünf bis zehn Minuten später eintreffen." Natürlich, so einfach kann es natürlich sein. Der Plan sah vor, daß ich in Köln umsteige. Einen bösen Fluch zwischen den Zähnen hindurchstoßen und dann mal nach denken: planmäßige Ankunft in Köln irgendwie so kurz vor sechs, Weiterfahrt nach Frankfurt eine gute Viertelstunde später. Das ist verdammt knapp, aber durchaus zu schaffen. Eine zugegeben etwas phantasievolle Überlegung, doch die Erfahrung gibt mir Recht. Im Zug sagte die Stimme aus der Wand dann noch, daß der ICE nach Frankfurt auf uns, auf UNS warten würde, also auf mich auch. Ich frug mich, wie lange so ein ICE wohl "wartet", es gibt doch schnellere und langsamere Fahrgäste ! Wie schnell ist man eigentlich von Gleis 6 zu Gleis 18 ? In Köln stand der nette ICE, der auf UNS wartete sogar auf dem Gleis am gleichen Bahnsteig gegenüber, das ist wirklich ein entgegenkommender Zug. Die Weiterfahrt ist schon richtig langweilig, sogar planmäßige Ankunft in Frankfurt inklusive. Nur der Kontrolleur wollte diesmal nicht meine Ermäßigungskarte zur Fahrkarte sehen.
Die planmäßigen zehn Minuten Fußweg zur S-Bahn sind großzügig kalkuliert und ich schaffte es in nicht mal der Hälfte der Zeit. Wenn die Züge genauso großzügig auf einander, kann da nie was schiefgehen ! Dennoch mußte ich auf die S-Bahn warten, planmäßig. Außerdem gab es viel schauen. Moderne S-Bahnen fahren hier, nur die, mit der ich meinen weiteren Weg beschreiten sollte, war aus dem letzten Jahrhundert. Keine halbe Stunde später steige ich ein einem kleinen häßlichen Kaff im Taunus aus und muß nur noch den Berg herauflaufen. Ironischerweise über die Bergstraße, die ihrem Namen wirklich Ehre macht.
- Zeitsprung -
Wieder zurück zum Bahnhof. Doch ich mußte nicht den Berg wieder herunterlaufen, weil mich ein netter Kollege bis zum Bahnhof im Auto mitnahm. Ich glaube, wir waren die einzigen beiden, die sich das Fußballspiel nicht anschauten. Doch das Foyer bot ein wunderbares Bild, wie so viele bunt bemalte Menschen auf einen Bildschirm... schon gut. An der S-Bahnhaltestelle fand ich den Fahrkartenautomat, der diesmal nur Nahverkehr kann, sofort und verstand, ihn zu bedienen. Kaum ein paar Minuten später kommt die S-Bahn, die mich wieder nach Frankfurt fuhr. Diesmal hielt sie dort sogar bei den großen Zügen oberirdisch.
Egal, wieder einmal Frankfurt Hauptbahnhof. Ich mag ihn auch nach dem Umbau noch nicht. Jedenfalls stürzte ich auf den ersten Fahrkartenautomat, der mir ins Auge fiel und erklärte ihm mein Begehr. Er verstand mich, sagt mir, daß die nächste Verbindung ohne Umsteigen (!) in drei Minuten fährt. Ich mochte die Karte trotzdem haben. Allerdings will der Automat meine Kontokarte nicht. Nun besitze ich davon nicht bloß eine, das beeindruckt den Herr der Fahrkarte aber nicht. Ich gab auf und suchte einen Kollegen. DAS wurde zu einem echten Problem. Entweder verstecken die sich gut oder da sind wirklich nur ganz wenige und da stand überall wer davor. Ich habe den Zug nicht bekommen. Als ich dann einen anderen Automaten fand, verkaufte der mir eine Karte für eine Strecke, auf der ich einmal umsteigen mußte - wieder Köln - und die viel billiger war. Dafür würde ich auch länger brauchen, doch ich hatte eh nichts mehr vor.
Durch Menschentrauben um Fernsehbildschirme suchte ich meinen Weg zum Bahnsteig. Ständig grinsten mich Menschen breit an. Am Bahnsteig wieder die bekannte Stimme aus der Wand: "Der IC [Nummer] nach Dortmund, planmäßige Abfahrt 18.44 Uhr wird voraussichtlich zwanzig bis dreißig Minuten später eintreffen." Ade, Anschlußzug, diesmal wird keiner warten. Das Schlimme daran ist nur, daß mir das hier ständig passiert. Noch nie bin ich aus Frankfurt pünktlich weggekommen. Es ist wie verhext. Wenn du ab Frankfurt fährst und auf einen Anschlußzug angewiesen bist, hast du echt verloren ! Dazu war es fast schon ironisch, daß der ICE, den ich aufgrund eines unkooperativen digitalen Fahrkartenverkäufers verpaßt habe, pünktlich gewesen sein muß ! Die Menschen hier müssen sich aber damit arrangiert haben und sind gut darauf vorbereitet: nach einer kurzen Zeit des Wartens, erschien eine Mitarbeiterin des hiesigen Bahnbetreibers mit einem Korb voller Trinkpäckchen für die wartenden Reisende. Das ist mir noch nicht passiert, war aber gar nicht schlimm. Na, der Zug kam 25 Minuten später und ich bekam einen Sitzplatz am Fenster.
Jetzt sitze ich hier im Zug, fahre schön am Loreleyfelsen vorbei am Rhein entlang. Ich mag die Strecke wirklich. Die Sonne scheint. Vor mir sind vier Sitze mit einem Tisch in der Mitte. Dort sitzt eine Frau und hört Radio. Sie hört das Fußballspiel. Ich höre nicht mit, da mir meine Musik die bessere Alternative erscheint. Ehrlich gesagt weiß ich nicht einmal, wer genau spielt. Viertelfinale, gut, Deutschlande gegen... ja, gegen wen eigentlich ? Mir fällt auch erst viel später auf, daß sie Fußball hört. Auch die Zugdurchsagen mit dem aktuellen Spielstand bemerke ich wegen meiner Musik nicht. Es scheint aber kritisch und spannend zu werden, denn alle, ja wirklich alle Plätze um die Frau sind jetzt belegt und alle hängen wie gebannt an dem kleinen Radio. Mittlerweile habe auch ich mitbekommen, daß man gegen Argentinien spielt und es 1:1 steht. Manchmal denke ich halt, daß die Stimme aus der Wand etwas wichtiges zu sagen hat und nehme die Kopfhörer aus den Ohren.
Plötzlich jubeln die acht Menschen vor mir und suchen wieder ihre angestammten Sitzplätze auf. Keine Ahnung, wie es ausgegangen ist. Ich mag auch nicht fragen. Auf meinem T-Shirt steht groß und breit zu lesen: Ich interessiere mich nicht für Fußball.