Ich ging gerade wütend aus dem Zirkus, als ich vom Generaldirektor der Frankfurter Commerzbank umgerannt wurde. Er entschuldigte sich nicht, murmelte nur „Diese Asozialen stehen auch immer nur im Weg“ und lief weiter zu den Eisbären, die sich bereits in einem Kreis versammelt hatten. Er sprang hinein, ruderte wie verrückt mit den Armen und fing an zu singen.
Ich langweilte mich bei diesem Anblick und machte mich auf den Weg in mein Stammlokal, wo Gerhard Schröder auf mich wartete. Manch einen mag es verwundern, dass ausgerechnet ich mich mit ihm treffe, aber sein Sekretär hatte mich wiederholt gebeten ihm diesen Gefallen zu erweisen und ich hatte an diesem Abend ohnehin nichts vor.
Im Lokal angekommen ging ich zweimal rundherum bis ich erkannte, dass es sich bei der zusammengekauerten Person in der Ecke tatsächlich um den Bundeskanzler handelte. Ich ging zu ihm hin und fragte ihn, was er wolle.
Er meinte nur, dass es ihm schlecht ginge, weil er zwar bisher die normale Bevölkerung für nicht so wichtig erachtet habe, aber nun feststelle, dass ausgerechnet die ihn wählen solle. Nun habe er 4,3 Millionen Arbeitslose am Hals und die ganzen Penner sind auch noch sauer, weil sie jetzt weniger Geld bekämen.
„Ist ja schön und gut“, sagte ich, immer ungeduldiger werdend. „Aber was hat das mit mir zu tun? Ich hatte noch nie Arbeit und Sozialhilfe bekomme ich auch keine. Leute wie ich wählen aus Prinzip PDS. Du kannst an mir also auch keinen Wähler gewinnen oder verlieren.“
„Das ist vielleicht richtig“, murmelte er, „Nur ist es so, dass ich gehört habe, dass Du einen Plan hast, wie man die Menschen glücklicher machen kann. Und meine Berater meinen, dass wäre eine akzeptable Strategie, um die Stimmung gegenüber meiner Partei zu heben.“
Ich merkte, die Unterhaltung würde etwas länger werden, aber möglicherweise wäre ja genau das die Gelegenheit auf die ich so lange gewartet hatte...Ich packte ihn am Kragen – was nicht nötig war, aber so hatte es in meinem Traum auch immer angefangen – zog ihn ins Hinterzimmer und begann zu erklären:
„Was ich dir nun sagen werde, wird dir mit Sicherheit nicht gefallen. Kann gar nicht, weil Leute wie Du auf einer Evolutionsstufe hängen, die den Irrglauben Macht und Geld könnte glücklich machen wie ihren Lebensfaden festhalten. Du bist mit dem Glauben aufgewachsen, dass es das Ziel des Menschen ist eine möglichst gute gesellschaftliche Position einzunehmen, was natürlich bedeutet du musst arbeiten gehen, mit allen Mitteln versuchen eine Stellung anzunehmen, in der du das Sagen hast, eine Familie gründen, (warum auch nicht?) möglichst viel Geld verdienen und, um dabei großzügig zu erscheinen, jedes Weihnachten ein bisschen spenden – was ja auch das Gewissen beruhigt. Hab ich was vergessen? Ich denke, wenn, dann nichts Wesentliches. Das Problem dabei ist, Du und all die anderen Menschen, die so denken, wie du, haben etwas vergessen! Ich glaube ja, dass es ganz angenehm ist so zu leben. Dir ist vorgegeben, was du für wichtig halten sollst. Auch, wenn du mal Misserfolge hast, du hast ein klares und unbestrittenes Ziel vor Augen: das was die Gesellschaft richtig findet, ist richtig! Keiner macht dir das Recht streitig in ihrem Sinn erfolgreich sein zu wollen. Es ist bequem so zu leben und fast jeder macht es so. Veränderung, wenn sie in eine ungewohnte Richtung geht macht Angst. Menschen, die in ihrem Leben einen anderen Sinn sehen, sind zu meiden. Außer vielleicht, wenn sie Bücher über Esoterik schreiben, denn diese füllen die Lücke. Welche Lücke? Die Lücke, die das Leben auf diese Art gelebt hinterlässt, hinterlassen muss. Jeder Mensch merkt auf irgendeine Weise, dass ihm etwas fehlt. Viele wissen nicht, was es ist. Es ist einfach ein Gefühl der Leere zwischen Akten und dem Spanienurlaub. Eine kahle Stelle im Sinn, den sie in ihrer Arbeit sehen oder ein Aufflackern von Zweifel bei der Tagesschau. Sie können jedoch die Lücke nicht schließen, weil ihren Grund zu erforschen bedeuten würde ihre Grundwerte, wenn man sie so nennen will, anzuzweifeln. Viele merken aber, dass die Lücke irgendwas mit dem Teil in ihnen zu tun hat, den sie vernachlässigt haben: das Innerliche, die Seele – oder wie auch immer man das nennen will. Also versuchen sie sich mit Büchern über Engel, Astrologie, Feng Shui, die Kraft des Mondes und des Wassers zu füttern in der Hoffnung so das zu finden, was ihnen fehlt. Nur leider finden sie es auch dort nicht. Die Lösung ist viel näher und wohl gerade deshalb viel schwieriger zu erreichen. Ich werde sie dir gern sagen, wenn du immer noch willst.“
Er sah mich mit einem Ausdruck an, den zu deuten ich gar nicht versuchen will. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber er sagte kein Wort. Vielleicht hielt er mich für einen armen Irren, einen Spinner, einen unverbesserlichen Weltverbesserer, vielleicht wollte er tatsächlich hören, was ich zu sagen hatte. Ein leichtes Nicken von ihm, von dem ich nicht einmal genau weiß, ob es tatsächlich da war, ermutigte mich weiterzusprechen.
„Ich weiß nicht, was du von mir erwartest. Ich bin weder besonders intelligent, noch belesen. Ich weiß sicher nicht mehr als du, im Gegenteil. Doch aus irgendeinem Grund denke ich über ein bestimmtes Thema mehr nach als manch andere und das was dabei herauskommt spreche ich aus.
Wir sprachen von der Lücke im Leben. Ich glaube, wenn du kurz darüber nachdenkst, wirst du mir hier Recht geben. Denn was sonst sollte uns unzufrieden machen? Wir leben im Luxus! Wir haben genug zum Essen, zum Anziehen und ein Dach über dem Kopf. Wir haben Fernseher und Computer, Golf und Swimming Pools, Autos und Flugzeuge. Wir können im Wohnzimmer sitzen und mit jemandem aus Neuseeland über das Wetter reden und sind innerhalb von ein paar Stunden in einem Straßencafe in Mexiko City. Und trotzdem sind wir nicht glücklich. Ich will damit nicht sagen, dass es keine glücklichen Menschen gibt, ich sage nur, dass auch die, die objektiv betrachtet alles haben, unzufrieden sind oder sogar depressiv werden. Der Gedanke liegt also Nahe, dass es andere Dinge sind, die uns glücklich machen. Ich weiß, ich erzähle jetzt nichts Neues. All das, was ich jetzt gesagt habe war dir schon vorher klar, aber hast du es einmal ausgesprochen? Hast du schon einmal deinen Sitznachbarn im Flugzeug gefragt, was er zu dem Thema zu sagen hat? Siehst du, das ist der Unterschied zwischen uns beiden.
Wenn wir wissen, was den Menschen fehlt, dann sollten wir ihnen helfen es zu finden.
Die Menschen müssen sehen, dass sie das Glück, dass sie suchen nicht im Materiellen finden. Vielleicht muss es ihnen nur jemand sagen, denn sie spüren es schon lange. Die Menschen müssen verstehen, dass SIE wichtig sind, nicht das, was sie haben. Sie müssen es verstehen und nicht als Floskel beim Kaffeekränzchen vortragen, denn dafür ist es zu wichtig. Es bedeutet, dass das Eigentliche nicht etwas ist, was man halten oder besitzen kann. Das Eigentliche ist man selbst, sein Inneres, wenn man so will. Und genau das ist es, was wir weiterentwickeln müssen.
Ich bin bestimmt niemand der sagt jeglicher Besitz und jegliche Technik sind böse und wir sollten uns ab sofort nur noch in den Garten setzen und meditieren. Darum geht es nicht. Aber wir müssen lernen sinnvoll mit unserer Technik umzugehen, damit sie allen nützen kann. Wir müssen lernen Besitz nicht mehr als Indiz für den Wert des „dazugehörigen“ Menschen anzusehen. Wir müssen lernen unser Bewusstsein weiterzuentwickeln, damit wir selbst unser Zentrum werden und nicht die Dinge, an denen wir uns festhalten.“
Er unterbrach mich. „Am Anfang klang das, was du gesagt hast noch nachvollziehbar. Aber was du jetzt sagst ist einfach nur utopisch. Es ist nicht möglich die Menschen so sehr zu ändern.“
Er hatte mich nicht verstanden. Wie sollte er auch. Aber jetzt konnte ich doch nicht aufgeben.
„ Ich habe nicht gesagt, dass man die Menschen ändern kann. Ich sagte: „Die Menschen können sich weiterentwickeln.“ Hier liegt der Unterschied. Wenn wir versuchen würden das, was ich gesagt habe mit Gewalt zu erreichen, könnte es nicht funktionieren. Wir verrieten damit die Ideale, die wir erreichen möchten und schüfen uns ohnehin gleichzeitig Feinde. Wenn wir es trickreich versuchten, indem wir es 24 Stunden am Tag 7 Tage die Woche in hübsche Sendungen verpackt, im Fernsehen zeigten, könnte es funktionieren, dass man uns glaubt, aber die meisten würden es einfach nur schlucken, weil sie es so gewöhnt sind, wenn ihnen das Fernsehen was vorkaut. Sie dächten nicht mehr darüber nach, als über die täglichen Talkshows, Gerichtsendungen, Seifenopern und Actionfilme.
Wir können die Menschen nicht ändern. Aber wir haben die Möglichkeit ihnen zu sagen, dass sie etwas an ihrem Leben ändern können, dass sie etwas gegen ihre Unzufriedenheit tun können, dass sie die Welt friedlicher und lebenswerter machen können. Unsere Aufgabe ist ihnen das zu sagen. Unser Ziel ist, dass uns viele hören und uns glauben. Es kann nicht von heute auf morgen gehen, aber wenn niemand anfängt, dann geht es nie. Ich bin der Überzeugung, dass die Menschen einen Versuch Wert sind. Ich weiß, es ist schwierig, aber würde es nicht alles leichter machen?
Wenn wir nicht mehr neidisch wären, nur weil jemand mehr hat, als wir, weil der Besitz oder die berufliche Stellung viel zu unbedeutend für uns sind, um sich darüber aufzuregen, würde das nicht für uns und den anderen ein schöneres Leben bedeuten?
Fast jeder ist betroffen, traurig oder erschrocken, wenn er von einem Anschlag, von Krieg und Hunger hört. Aber fast jeder denkt auch, dass er nichts daran ändern kann. Was kann man schon gegen einen Krieg machen, der tausende Kilometer entfernt tobt? Was kann man gegen die Anschläge machen, die religiöse Fanatiker verüben? Wie kann man verhindern, dass Menschen hungern? Wir können doch nicht hinfliegen und ihnen allen Essen bringen. Aber wir können uns bereit erklären für Produkte aus Entwicklungsländern mehr zu bezahlen, damit die Bauern und die Fabrikarbeiter in den Herstellungsländern fair behandelt werden. Wir können Produkte von Firmen boykottieren, die ihre Angestellten ausnutzen. Wir könnten auf einen Teil von unserem Wohlstand verzichten, um eine gerechtere Welt zu schaffen. Und eine gerechtere Welt ist auch immer eine friedlichere Welt. In einer Welt, in der Kapital und Material nicht das Wichtigste sind, müssten keine Kriege darum geführt werden.
Das Ganze klingt völlig unrealistisch, nicht wahr? Es klingt, als wäre ich vollkommen weltfremd. Aber ist das nicht sehr traurig? Wenn ich erkläre, dass die Welt friedlicher und die Menschen glücklicher sein könnten siehst du mich an, lächelst und erwartest, dass ich als nächstes Kumbayah singe oder zwangseingewiesen werde. Gib es zu: du hast schon überlegt, wie du ohne mich zu beleidigen, einfach aufstehen und gehen könntest, weil ich deine Zeit mit Zeichnungen aus einem alten Kinderbuch verschwende. Aber hast du überlegt wieso du so reagierst? Hast du den Glauben an die Menschheit verloren? Das ist verständlich! Wir wachsen in einer Welt auf, in der wir permanent enttäuscht werden und immer wieder lernen welche Grausamkeiten Menschen zustande bringen. Die Frage ist:
Wieso hast du dich damit abgefunden?“