Vielleicht

Text

von  GiraffeFolle

Für Matthias Marx


Die Geschichte ist mehrfach angefangen und zigtausendmal geändert worden. Es ist nicht immer unbedingt etwas dazu gekommen oder weggelassen worden. Das Werk sollte nur perfekt sein in seiner Wandelbarkeit. So hoffnungsschimmernd und so zweideutig wie das Wort „Vielleicht“, so vielsagend und so nichtssagend. Alles wollte ich mit Worten auf Papier festhalten, jeden Tag, jede Sekunde. Aber da sich alles immer ändert und nichts mehr so ist, wie es gestern noch war, weil sich die Dinge selbst in ihrer Stagnation im ewigen Auf und Ab rühren und nie nur eines, immer jedoch alles auf einmal bedeuten, kann ich bestenfalls versuchen, den Moment festzuhalten, den Moment in mir einzusaugen und dann auf das Papier zu spucken um zu sehen, was für ein Muster dabei herauskommt. Den Moment erleben, den Moment genießen, den Moment beim Schreiben in meinen Fingerspitzen fühlen, denn er ist das einzige, das zählt und das einzige, das mir am Ende bleiben wird.
Weil du gestern gesagt hast, dass das noch nicht alles war, tanze ich heute meisterhaft partnerlos durch mein leeres Zimmer. Dein Geist liegt in meinem Bett und schläft noch. Ich habe extra meine Schuhe ausgezogen, damit meine Tanzschritte ihn nicht aufwecken. Meine Seele wollte deinen Geist gestern auffordern, aber er hat nur gesagt, er könne nicht tanzen und er würde ihr auf die Füße treten. Sie sagte, das störe sie nicht, kein bisschen. Dann hat er ja gesagt und dann nein. Und als sie sich umgedreht hat, um zu gehen, hat er ihr ein „Vielleicht“ hinterher gerufen. Als sie bei mir auf der Couch saß und bitterlich weinte, sagte ich ihr, sie müsse Geduld haben. Aber wir wussten beide, dass das ein schlechter Trost war, denn wer hat schon Geduld, wenn es darum geht, tanzen zu wollen?
Solche Probleme haben wir nicht. Wir beide tanzen nicht miteinander. Das überlassen wir unseren Seelen oder Geistern. Wir haben, wie es scheint, überhaupt noch nie ein gemeinsames Ziel vertreten. Du wolltest Sicherheit, ich wollte eigentlich nur meine Ruhe. Aber ich konnte sie nicht finden, egal, wo ich suchte. Auf der Straße war sie nicht, im Haus war sie nicht, im Garten war sie nicht. Ich fragte die Sterne nach ihr und wünschte mir von den Sternschnuppen, sie möchten sie zu mir schicken. Das Schicksal hatte wohl etwas Anderes für mich vorgesehen, denn sie kam nicht, und sie ließ sich auch nicht auffinden. Ich sah ein, dass ich wohl mit den Wölfen heulen müsse, doch schon bald heulte ich nur noch allein. Und heute habe ich mich beruhigt, denn ich habe mich entschieden, Ruhe zu kaufen, mit Stolz zu bezahlen. Zwar ist es nur ein billiger Abklatsch der Ruhe, die ich eigentlich hatte haben wollen, eine günstige Einigung aus irgendeinem preiswerten Kompromiss-Sonderangebot, aber man bekommt eben im Leben nicht immer ganz das, was man sich wünscht. Auf dem Fußboden in meinem Zimmer liegt noch ein bisschen Blut herum vom letzten Mal, als du mit deinen riesigen Füßen auf meinem Herzen herumgetrampelt hast. Doch weil jetzt alles ganz anders und viel besser ist, grinse ich den großen roten Fleck freudig an und beginne, ihn mit einem Lappen aufzuwischen. Den Lappen hänge ich auf eine Wäscheleine über einen Stein. Steter Tropfen höhlt den Stein. Ich sehe dem Blut gerade zu, wie es auf den Stein heruntertropft, als dein Geist aufsteht und sich von mir verabschiedet. Ich sage ihm, er möge doch meiner Seele ab und zu mal schreiben, und er sagt ja. Ja, natürlich, das werde er tun. Wir umarmen uns zum Abschied und er geht durch die Hintertür hinaus, weil er sich nicht so sicher ist, ob er auf der Straße vor meinem Haus gesehen werden möchte.
Als du gehst, ist es anders. Du reichst mir deine luftdicht abgepackte Hand und erklärst, das sei nur zur Sicherheit und du willst sehen, ob es beim nächsten Mal auch ohne gehe. Ich nehme die andere Hand, nur um dir zu zeigen, dass du keine Angst davor haben musst. Du sagst, dein vakuumverschlossenes Herz klicke beim ersten Öffnen, aber wenn ich versuchen wolle, es aufzuschrauben, sollte ich ein Handtuch dazu nehmen, weil ich mir sonst wehtue. Ich sage, wozu der Aufwand, du kannst meins haben, sobald es sich von der Trampelei erholt hat, und dann lassen wir deins in der Vorratskammer stehen und warten, bis jemand kommt, der es damit aufnehmen kann. Du sagst gar nichts zu dem Vorschlag, weil du schon gewusst hast, dass ich ihn machen würde. Du nickst mit nur zu und wendest dich von mir ab. Ich sehe dir versonnen, glücklich lächelnd nach, bis du nur noch als kleiner schwarzer Fleck am Horizont zu erkennen bist, in der unerschütterlichen, unbeweglichen Überzeugung, dass du bald zurückkommen wirst. Dein Geist ruft mich auf meinem Handy an und sagt mir, dass ich gar nicht so Unrecht habe.


Anmerkung von GiraffeFolle:

Sagt nicht, dass das kitschig ist. Das Leben ist nunmal kitschig, dagegen kann ich auch nichts machen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Mordloch (21)
(25.01.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 GiraffeFolle meinte dazu am 28.01.07:
Danke!
Gedankenstaub (35)
(29.01.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 GiraffeFolle antwortete darauf am 30.01.07:
Ein Kommentar, der klüger ist als der Text ;) Im Ernst, vielen Dank, ich bin hoch (Und) erfreut.
Die Giraffe
Locklin (48)
(25.08.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 GiraffeFolle schrieb daraufhin am 25.08.07:
*lach* Nein, bist du glaube ich nicht. Was du mit der zweiten Frage nach der Summe des Erlebten meinst, verstehe ich nicht ganz, aber du wirst es mir erklären?! Auf jeden Fall an dieser Stelle mal ein zusammenfassendes Danke für die vielen schönen Kommentare. Hab auch bei dir reingelesen und mir fliegen auch so manche Drähte vom Giraffenkopf.
Grüße!
Locklin (48) äußerte darauf am 15.09.07:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram