Dein Unfall

Brief zum Thema Tod

von  Bellis

Lieber A.,
ich weiß nicht genau, seit wie vielen Stunden Du jetzt schon tot bist. Dass Du es bist, hat mir der Polizeibeamte am Telefon gesagt. Behutsam tat er es, sachlich und trotzdem mitleidig. Du hattest einen Unfall auf der Autobahn, sagte er.
Ich hatte heute früh Radio gehört. Wie jeden Morgen. Die Nachrichten, das Wetter, damit ich weiß, was der Kleine in den Kindergarten anziehen soll, die Verkehrsmeldungen. Stau auf der Autobahn wurde durchgesagt. Ein Truck war durch die Leitplanke gebrochen und hatte sich quergestellt. Also nahm ich die Landstraße in die Stadt.
Im Büro kam dann der Anruf. Die Polizei hat meine Dienstnummer über Einwohnermeldeamt, Gemeinde und die Familie erfragen müssen. Wir sind nicht verheiratet, Du und ich, ich trage nicht Deinen Namen. Keine Ahnung, wieso man mich trotzdem benachrichtigte. Ich wünschte, sie hätten´s nicht getan. Dann hätte ich von Deinem Tod vielleicht erst nach ein-zwei Wochen erfahren. Wahrscheinlich hätte mich Deine Mutter angerufen, um mir den Termin der Beerdigung mitzuteilen. Aber der Schock wäre nicht weniger groß gewesen, denke ich.
In dem Moment war´s egal, dass wir uns wieder gezofft haben, als wir uns das letzte Mal sahen. Du kamst gerade von einer Tour, aus Holland oder Belgien, ich weiß nicht mehr. Und Du hattest bereits die ersten Feierabendbierchen getrunken. Dein Sohn lag schon im Bett. Aber Du wolltest ihn sehen, hast herumgelärmt, bis er oben an der Treppe stand. Ganz still stand er da, mit großen Augen, wollte nicht herunterkommen. Da bist Du wieder gegangen, türenschlagend. Das war im Februar oder Anfang März.
Es machte mich wütend und ratlos, unser ewiges Streiten. Du hast nur geschuftet, warst wochenlang im Truck unterwegs, quer durch ganz Europa. Ein paar Mal bin ich mitgefahren, als der Kleine noch nicht da war. Das war wie Urlaub. Auch für Dich. Denn Du konntest schlafen, wenn ich den Truck fuhr. Das war gar nicht so schwer. Und drei Tage Urlaub am Zielort waren auch drin, wenn man die Touren geschickt einteilte. Italien... weißt Du noch?
Ich weiß nicht, was ich Deinem Sohn sagen soll. Wie viel versteht ein Kind mit fünf Jahren? Begreift er: Dein Papa kommt nicht wieder? Ich schätze, damit rechnet er sowieso nicht mehr. Hat Dich ja in den letzten anderthalb Jahren nur alle paar Wochen gesehen, nachdem Du ausgezogen warst. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass ich richtig gehandelt habe, als ich Dich rausschmiss. Zugegeben, Du hast viel für uns getan, hast die Wohnung ausgebaut, meinem Vater beim Dachdecken geholfen. Da hattest Du gerade keinen Job und Zeit. Als Du dann wieder gefahren bist, nur alle zwei Wochen am Wochenende nach Hause kamst, fühlte ich mich gestört. Du kamst heim, legtest die Füße hoch und fordertest Bier, die Fernbedienung und was zu essen. In dieser Reihenfolge. Und mitten in der Nacht, nachdem Du die Erschöpfung durch den ersten Tiefschlaf überwunden hattest, wolltest Du Sex. Aber Du warst mir fremd. Du warst immer müde, gereizt, gehetzt. Dass ich auch Arbeit und Sorgen hatte, entging Dir völlig. Wir hatten jeder unser Leben, da berührte sich nichts. Nichts mehr. Als ich Dich nachts zurückwies, wurdest Du brutal. Du hast mich nicht geschlagen, das nicht, aber Du hast Dir genommen, was Dir Deiner Meinung nach zustand. Ich schmiss Dich raus, aber Du kamst wieder, schliefst betrunken auf der Couch, weil ich Dich nicht ins Bett ließ. Du wusstest nicht, wohin Du gehen solltest. Dabei warst Du doch schon lange fort.
Die Kollegen schleichen um mich herum und murmeln ihr Beileid. Nett und neugierig. Trotzdem bin ich lieber im Büro statt zu Hause, wo mich alles an Dich erinnert, gerade weil es nicht mehr Dein Zuhause war. Keine Ahnung, wie es nun weiter geht. Beerdigung, ja. Und dann? Stehen Deinem Sohn irgendwelche Gelder zu?
Wie Du jetzt wohl aussiehst? Es ist seltsam, über Deinen Körper nachzudenken, den ich schon so lange nicht mehr gesehen oder gespürt habe, den ich aber so genau kenne. Ich hoffe, sie mussten Dich nicht herausschneiden. Und noch mehr, dass Du schon tot warst, als sie kamen, dass es ganz schnell ging. Wahrscheinlich liegst Du jetzt in irgendeinem kalten Klinikkeller. Hat man Dich gewaschen? Oder macht das das Beerdigungsinstitut? Institut... wie unpersönlich sich das anhört, so förmlich und steif. Das wäre eigentlich das einzige, was ich noch für Dich tun könnte, wenn ich dürfte: Dich zu waschen, zu streicheln, anzukleiden und Dir so endgültig Lebewohl zu sagen.
Leb wohl, A.. Vielleicht bist Du bald zu Hause.


Anmerkung von Bellis:

Fiktiver Text.

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Kommentare zu diesem Text

mmazzurro (51)
(11.05.07)
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 Bellis meinte dazu am 11.05.07:
Danke für Deine lobenden Worte und den Doppelklick, Werner. :o)
Ich habe die Anmerkung absichtlich druntergesetzt, weil ich hier bei kv (und in anderen Foren) erlebt habe, daß es eben NICHT jedem Leser klar ist, daß meine Texte selten auf eigenen Erlebnissen basieren oder daß das LyrIch und ich dieselbe Person sind. Anders herum lese ich hier viele Texte, die authentisch sind, die von wirklich Erlebtem handeln und auch so verstanden werden sollen. Um Kommentatoren die Hemmung zu nehmen, auf diesen Text hier zu reagieren, ohne sich zu fragen, ob sie mir ihr Beileid aussprechen sollen, schrieb ich die kurze Erläuterung darunter. Ich denke nicht, daß sie stört.
mmazzurro (51) antwortete darauf am 11.05.07:
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mmazzurro (51) schrieb daraufhin am 11.05.07:
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Lacrima (20)
(15.05.07)
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 Bellis äußerte darauf am 15.05.07:
Vielen Dank, Rebekka. :o) Auch für die Empfehlung.
A.Nina.Mattiz (37)
(21.05.07)
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 Bellis ergänzte dazu am 21.05.07:
Ah, hoffentlich liest das mmazzurro! ;o) Vielen Dank an Dich für Komm. und Doppelklick! :o)
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