Paul
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Lavinia

Kurzprosa zum Thema Befreiung

von  souldeep

Illustration zum Text
Nahsein
(von souldeep)
Vll

In einer der letzten rauen Herbstnächte, bevor endgültig der
Winter Einzug hielt, verlor Angelina ihren Mut fürs Gassenleben.
Sie setzte sich in die Strassenbahn und fuhr ziellos umher, bis ein
Kontrolleur sie um ihren Fahrschein anhielt, welchen sie
natürlich nicht vorweisen konnte.
So gelangte sie einmal mehr zur Polizeistation, wo sie abwertend
behandelt wurde. Durch intensives Bitten und Flehen steckte
man sie über Nacht in eine Zelle. Am nächsten Morgen rief ein
Beamter im Jugendheim an und erfuhr, dass Angelina als
Ausreisserin gegen die Regeln verstossen hätte und somit ihr
Aufenthalt abgebrochen sei.
Die Polizei entliess die junge Frau mit einer baldigen
Gerichtsandrohung.

Nur unzulänglich gegen den einbrechenden Winter gerüstet ging
Angelina zu Fuss durch die ganze Stadt, bis sie bei der Wohnung von
Lavinia angekommen war.
Da niemand öffnete, setzte sie sich frierend unter die Kellertreppe
des Mehrfamilienhauses und wartete.
Irgendwann war sie dann dort eingeschlafen – der Rest ihrer
Schnapsflasche, die sie geklaut hatte, half ihr dabei.

Mit einem Mal stand Maurice da. Er lächelte und warf die Hände
weit auseinander, er rief ihren Namen, so zärtlich, wie nur er es
vermochte, er rannte auf sie zu und schloss sie in seine gebenden Arme.
Sein Kuss war Ankommen und ein Elektrisieren ihres ganzen Körpers.
Ihre Sinne begannen zu schwinden und bald konnte sie seine
zauberhaften Flüsterworte nicht mehr verstehen, sie fiel und fiel
und Dunkelheit umschloss sie, bis etwas an ihr zerrte und rüttelte.
Es waren Sanitäter, die sie auf die Bahre hoben und geschwind in den
Krankenwagen verfrachteten.
Angelina atmete nur noch flach. Wo war Maurice? Warum sah sie
sein liebes Gesicht nicht? Das Licht flackerte und die Bilder verschwammen.
Sie tauchte wieder in die bizarre Traumwelt ein, beziehungsweise
in die nächste Ohnmacht.

Als Lavinia von einem aufreibenden Nachtdienst heimkehrte,
entdeckte sie Angelina neben der Türe. Bereits bläulich im Gesicht
und eiskalt war sie. Da sie auf Reden und Berührungen
nicht mehr reagierte, rief Lavinia den Rettungswagen.
Es war höchste Zeit!

In der langen Genesungszeit, in welcher Angelina ihr ganzes Leben
wie ein Film in Etappen vorüber zog, begann sie zu schreiben und
zu zeichnen. Darin entwickelte sie eine bemerkenswerte
Ausdauer und Fähigkeit. Für den Rest ihres Lebens würde sie diese
Beschäftigung stets weiter pflegen. Unzählige dunkle und düstere
Bilder des Abgrundes entstanden.
Lavinia sorgte dafür, dass immer genügend Material da war –
und, dass Angelina sich langsam aber sicher Gedanken um ihre
weitere Zukunft machte.
Nachts träumte die junge Frau immer noch heftig und oft wirr –
jedoch löste sich in ihr auch ein Knoten nach dem anderen, weil sie
die Bilder und Gefühle am nächsten Tag mit ihren Zeichnungen und
Schriften bearbeiten, sortieren und manchmal gar ablegen konnte.
Vorübergehend durfte Angelina bei Lavinia einziehen –
allein das war schon heilsam für sie. Es kam mit der Zeit einem
freundschaftlichen Mutter-Tochter-Verhältnis nahe.
Äusserst hilfreich wirkten auch die Therapiesitzungen
bei der Verarbeitung einiger ihrer Traumata.

Einzig, dass der Traum von Maurice, jener, der das Herz von Angelina
damals vor gänzlichem Versteinern gerettet hatte, nicht wahr werden
konnte, diese Wunde blieb offen.

 Paul
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Kommentare zu diesem Text

Balu (57)
(26.06.07)
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 souldeep meinte dazu am 27.06.07:
wie weit du siehst, erstaunt mich immer wieder, lieber balu.

die idee mit den männern, die wie maurice aussehen...-das
hat was...nehme ich mal auf...

das mit dem anschieben ist geschoben ;)

danke für dein treues lesen
und ganz liebe grüsse
kirsten

 rela (07.07.07)
Wie Balu bin ich auch ein Angelina-Fan und fibere in jeder Folge um Hoffnung für diese arme gebeutelte Wesen.
Diese ist für mich die hoffnungsvollste von allen.
Das Mädel kehrt vertrauensvoll zurück zu ihrer mütterlichen Freundin. Doch noch wichtiger scheint mir, daß sie einen Weg findet ihre wirren Gefühle zu verarbeiten. Sie malt und schreibt. Das ist ein heilsamer Prozess. Nun bin ich sicher es wird ein gutes Ende nehmen. Wieder gerne gelesen. Rela

 souldeep antwortete darauf am 07.07.07:
ja, liebe rela,
ich sehe, du liest es wieder mit deinem einfühlsamen blick.
es zeichnet sich endlich licht, nachdem es mehr und mehr
dunkel wurde, nicht wahr?!
ganz lieben dank und ebensolche grüsse dir,
kirsten
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