Nicht hören und nicht sehen und nicht wissen

Erzählung zum Thema Landschaft

von  tulpenrot

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Nordheim
(von tulpenrot)
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Kloster am Main
(von tulpenrot)
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Rebhänge an der Mainschleife
(von tulpenrot)
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unsichtbare Mainschleife
(von tulpenrot)
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Schießübungsplatz
(von tulpenrot)
Hinter den Gärten war es still. Mittagsstill, sonnig und fast zu warm. Zur Linken zeigten die letzten Häuser des Dorfes ihre Fassaden. Nicht besonders hübsch, auch wenig faszinierend, aber ich wollte die Gegend kennen lernen und vielleicht erschloss sich ja die eine oder andere Lieblichkeit im Verborgenen. Ein hellweißer Kirchturm überragte fein säuberlich den Ort. Es schlug halb eins.

Ich suchte das Ufer des Mains, wollte beobachten, wie sein Wasser dahinschnellte, die Füße hineinstrecken und Kühlung empfinden und dabei die Landschaft hier erleben. Dafür hatte ich diesen Trampelpfad hinter den Gärten gewählt. Etwas unwegsam schien das Gelände zu werden. Rechts von mir musste mein Ziel liegen, so vermutete ich, hinter Büschen, Bäumen und Wiesen, hinter dem heruntergetretenen Zaun, dort drüben vielleicht, irgendwo dort musste die Mainschleife sein. Sehen konnte ich sie nicht. Auch nicht das Fließen des Wassers hören. Verborgen noch war das Flussufer.

Mein Blick wanderte den Weinberg am jenseitigen Ufer hinauf zu einem Kloster mit hellen Mauern, glitt hinüber und hinab und entdeckte einen weiteren Kirchturm und ein hingeducktes Dorf, ähnlich dem, das in meinem Rücken lag. Die Häuser ahnte ich nur. Zu weit entfernt und verdeckt durch die Bäume war es, um es durch eine genauere Betrachtung zu würdigen und um vielleicht Verlangen zu empfinden, es zu erkunden. Und so blieb mir nichts weiter übrig, als in den Himmel zu schauen, der sich mit sommerweißen Wolken geschmückt hatte, und nach diesem Genuss weiter nach meinem Weg zu suchen.

Gerade wollte ich nach rechts abbiegen, dem Feldweg folgend, als mich ein Schild mahnte. „Militärisches Sperrgebiet. Schießübungen! Lebensgefahr! Betreten verboten.“ Es berührte mich merkwürdig, in dieser fast langweiligen Beschaulichkeit an Soldaten zu denken, an Schießen, an Töten, an Krieg. Schließlich war ich im Urlaub. Der Main also lag einen Schießübungsplatz weit weg von mir, unerreichbar weit weg. Schade. Ich musste umkehren. „Lebensgefahr“ „Schießübungen“. Beklommen erinnerte ich mich, was ich vor einer halben Stunde im Dorf an einem Aushang gelesen hatte. Man hatte einen Siebzehnjährigen hier in der Nähe tot aufgefunden. Er war überfallen und verletzt und am Straßenrand dem Tod überlassen worden. Man suchte seit Monaten nach Zeugen, nach einem Motiv, nach dem Täter oder den Tätern. Schießübungsplatz, wo war deine Grenze? Wo der dichte Zaun, der Unbefugten den Zutritt verwehrt?

Zögernd trat ich den Rückweg an. Die Sonne blendete mich und so erkannte ich sie nur umrisshaft und ungenau, diese Frau in ihrem Garten zwischen den Dahlien –wie sehr liebe ich sie - und den Sonnenblumen. Weil sie sich nur langsam bewegte und sich aus der gebückten Haltung nur schwer aufrichtete, vermutete ich, dass sie schon alt sein musste. Ihr Fahrrad – hatte nicht meine Großmutter dasselbe Modell gehabt? -  lehnte am Maschendrahtzaun. Warum sie in dieser Mittagshitze hier war, warum sie nicht im kühlen Schatten des Hauses ihre Mittagsruhe hielt, konnte ich mir nicht vorstellen. Sie sah mich nicht und so ging ich weiter. Ich hätte lieber eine fröhliche junge Frau mit buntbändrigem Strohhut und luftigem Sommerkleid getroffen statt einer alten mit Kopftuch und Schürze. Ich hätte auch lieber den Main gesehen statt eines militärischen Schießübungsplatzes. Und noch weniger wollte ich etwas über kriminelle Taten erfahren. Ich war doch schließlich im Urlaub.

Ich nahm den Weg zwischen den Gärten hindurch zum Dorf zurück. Immer noch krähte kein Hahn, gackerte kein Huhn, knurrte kein Hund. Aber es gab unüberhörbar plötzlich eine klare Stimme. Aus einem der Häuser wand sie sich in die flirrende Hitze und sang hell und knabenhaft rein. Kam sie aus der Balkontür dort oben? Bewegte sich da nicht eine Gestalt hinter dem wehenden weißen Vorhang? Immer höher hinauf stieg sie mit ihrer Melodie, brach ab, begann neu. – oder war es der leichte heiße Wind, der die Melodie in Stücke zerriss? War es eine Stimmübung oder waren es einzelne Strophen? Es klang aus der Ferne so perfekt und dennoch so durchbrochen, dass ich unschlüssig war, was dieser Gesang zu bedeuten hatte. Schließlich verstummte er ganz. Enttäuscht ging ich weiter und kam schneller, als mir lieb war, an die Straße, stieg einfach in mein Auto und verließ diesen merkwürdigen Ort, an dem man hört und nicht sieht - oder nichts hört und nichts sieht - oder nur undeutlich sehen kann und eigentlich gar nichts weiß.....

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Kommentare zu diesem Text

Jonathan (59)
(17.12.07)
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 tulpenrot meinte dazu am 17.12.07:
Lieber Jonathan,
das ist sehr hübsch von dir, diesen Text hübsch zu finden.
Ich hatte es erhofft.
Danke dir für die Auszeichnungen!
LG
tulipe

 Ganna (28.12.07)
Ich konnte es sehr gut nachvollziehen,
gefallen an der Ruhe finden,
ein wenig fremd sein,
da nicht weiterlaufen koennen, wo ich moechte,
ein bisschen Furcht auch,
und dieses ueberall gegenwaertige Geheimnisvolle.

Ein schoener Text, der mir gut gefaellt.

liebe Gruesse von Ganna

 tulpenrot antwortete darauf am 28.12.07:
Hallo Ganna,
ja, so ist es gemeint und erfahren.
Ihc freu mich, dich hier zu sehen und stöbere nun mal im gegenzug bei dir rum. Danke für die Empfehlung!!
LG
tulpenrot
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