Symbiose am See

Sonett

von  Owald

Entrückt massiert der Wandrer seine Waden,
und übers Wasser läßt er Blicke schweifen,
die – wie die Hand das Fleisch – den Nebel greifen,
der silbrig glitzernd in amorphen Schwaden

die Wellen bald bedeckt und bald entkleidet,
vom Wind getrieben, kühl und ungebeten.
Derweil die Finger seine Knöchel kneten,
sitzt er am Steg und blickt und sinnt und leidet.

Er leidet grau und seine Sinne wabern
verschwommen um ihn her, verworren labern
verlorne Stimmen von vergessnen Zeiten.

Er greift nach sich und kann sich selbst nicht fassen
und muß sich doch unmerklich fassen lassen
vom nassen Rausch in unfaßbaren Weiten.

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Kommentare zu diesem Text


 Traumreisende (19.02.08)
ein wirklich gutes bild, das sich genau abzeichnet, auch wenn das ganze in dubiosen nebelbildern erscheint

das wabern und labern...sicher das ist schon passend dem verschwommenen gerecht aber irgendwie will es mir nicht über die lippen und du weißt owald ich lese gern laut vor mich her...

einen doppler bei fassen, so gleich hintereinander ???... vielleicht ein greifen???

wobei ich das letzte terzett besonders stark finde!!

gelungen
lg silvi

 Owald meinte dazu am 19.02.08:
Die Dopplung muß sein, wegen der Gegenüberstellung fassen - fassen lassen und wegen des Klangs.

Das mit dem Labern ist natürlich so eine Sache. Da muß man als Leser erst mal stocken, weil es heute alltags- bzw. vulgärsprachlich so präsent ist. Das Wort selbst ist allerdings älter als dieser Trend, und ich finde, hier trifft die eigentliche Bedeutung genau das, was ich an dieser Stelle ausdrücken will (außerdem paßt der Reim ).

Danke fürs Lesen, schön, daß es Dir gefällt!

Liebe Grüße,
O.

 Bergmann antwortete darauf am 19.02.08:
Drei (!) Mal fassen - hier okay.
Beaver (41)
(19.02.08)
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 Owald schrieb daraufhin am 19.02.08:
Mein Etymologie-Duden sagt, "labern" sei seit dem 18. Jahrhundert bezeugt. Ob es damals schon vulgärsprachlich war, steht da allerdings nicht. Nunja, vielleicht überlege ich mir da noch was...

Das Gefallen freut mich natürlich.

Danke und liebe Grüße,
O.

 Erebus (19.02.08)
Hallo Owald,

weil es ja bereits zweimal zur Sprache gebracht wurde schlage ich direkt nochmals in die Kerbe. "Labern" klingt mir zu salopp, für mein Teil träfe das nicht das Gewicht, mit denen eben diese Sinne zu mir sprächen.
Es klingt ein wenig danach, als habe der Autor versucht, damit die Getragenheit der Stimmung aufzulösen, dabei schießt er aber übers Ziel hinaus.
Für mich ist der Text schon durch die Einbeziehung von "Waden" und "Fleisch" - übrigens blieb ich dort ebenfalls einen Tick hängen - in der wahren Welt zu hause.
Wobei ich das Berühren der Haut (die ich passender fände) als sehr treffendes Bild für das Verbleiben an der Oberfläche empfinde. So, wie der Nebel undurchdringlich bleibt.
Ansonsten ein Sonett, das mir sehr gefällt, ganz besonders durch die bildhafte Sprache und Nachvollziehbarkeit.

LG
Uli

 Owald äußerte darauf am 20.02.08:
Eigentlich sollte sich das "Labern" sogar eher in die Stimmung einfügen und diese mitnichten auflockern oder auflösen. Ich meinte auch wirklich "labern" im Sinne von "sinnloses Zeug vor sich hin brabbeln"; "brabbeln" oder "babbeln" wären für mich im Moment die einzigen denkbaren Alternativen zu "labern". Und dazu gäbe es keinen vernünftigen Reim. Hm. Schwierig.

Über das "Fleisch" kann man wohl streiten. Mir schien dieses Wort passender, um das "Hineingreifen" zu veranschaulichen, das wiederum die Symbiose bildlich vorbereitet - auch er Nebel greift mit seinen einzelnen Nebelschwaden ineinander, ohne wirklich faßbar zu werden, so, wie es dem Protagonisten ja letztlich auch ergeht.

Danke für Deinen ausführlichen Kommentar!
Liebe Grüße,
O.
(Antwort korrigiert am 20.02.2008)
(Antwort korrigiert am 20.02.2008)
Klopfstock (60)
(19.02.08)
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 Owald ergänzte dazu am 20.02.08:
Danke für Deinen Kommentar!
Ich muß zugeben, daß ich das "Labern" nicht genommen habe, um eine schräge Note reinzubringen, sondern einfach, weil es mir inhaltlich hier als das passendste Wort erschien.
Für das Schräge ist eher Vers 1 zuständig (den ich wirklich urkomisch finde).

Liebe Grüße,
O.

 Marla (19.02.08)
Liebster Schwafler,
ich steh total drauf. Das wollt ich nur sagen. Den Rest sag ich Dir im privatesten Kommentar.
Deine Schweigsame

 Owald meinte dazu am 20.02.08:
Hochverehrte Schweigsame,
ich steh total auf den Kommentar. Schon auf den öffentlichen. Und den privaten kann ich quasi eins zu eins bestätigen bzw. zurückgeben.
Hochachtungsvoll,
Schwafler.

 Bergmann (19.02.08)
Das ganze melancholisch-phlegmatische Tasten gefällt mir gut. Ein handwerklich schönes Sonett. Alle Worte gut vernetzt. Vielleicht dein Bestes. (Besser als das Badewannen-Sonett von einst, das aber auch gut war.)

 Owald meinte dazu am 20.02.08:
Zumindest klanglich ist es besser. Vielleicht bleibt es auch ein bißchen weniger an der (Wasser-)Oberfläche.
Danke und liebe Grüße,
O.
Carmina (58)
(19.02.08)
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 Owald meinte dazu am 20.02.08:
Manche Leute können das: mit den Augen übergriffig werden. Eine Massagewirkung ist in diesem Zusammenhang allerdings wirklich selten.
Danke und liebe Grüße,
O.
C.S.Steinberg (43)
(19.02.08)
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 Owald meinte dazu am 20.02.08:
Nach meinem Gefühl ist es bei mir am See eher kalt.
Danke für Deine Assoziationen! Es ist immer spannend zu erfahren, was so ein Geicht im Leser auslöst.
Liebe Grüße,
O.
janna (60)
(19.02.08)
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 Owald meinte dazu am 20.02.08:
Dann freu ich mich einfach und sag artig danke!
Liebe Grüße,
O.
rhea (63)
(19.02.08)
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 Owald meinte dazu am 20.02.08:
Eine Befürworterin des "Laberns". Das freut mich!
Aber: Wenn das hier für Dich eins der besten Sonette bei kV ist, liest Du eindeutig zu wenig  argot.
Vielen Dank und liebe Grüße zurück,
O.

 IngeWrobel (19.02.08)
... hab mich mal hier in die Kondolenzliste eingetragen.....
schwarzhumoriges Grüßle von der Inge ,-)

 Owald meinte dazu am 20.02.08:
Ich danke für die Anteilnahme.
Grüße aus dem Nebel,
O.

 Maya_Gähler (19.02.08)
Lasse einfach eine Empfehlung hier!
LG, Maya

 Owald meinte dazu am 20.02.08:
Danke!:-)

 BrigitteG (19.02.08)
Oh, das ist jetzt aber peinlich, Owald - mir gefällt nicht restlos alles... Handwerklich, vom Rhythmus, vom Fließen her mag ich Dein Sonett sehr, es ist wirklich gut zu lesen, schwingt schön. Und die ersten beiden Strophen mag ich auch. Die beiden letzten - die sind mir zu hm .. wabernd ätherisch.
Ich sehe einen Unterschied der ersten beiden Strophen zu den letzten beiden - und damit meine ich nicht die Zeilenzahl *g*. Die ersten beiden haben eine interessante und für mich gute Kombination von Alltag, etwas Humor, und Naturbildern. Ich mag sowas, wenn "Nebel, Wind, Schwaden, silberiger Glitzer, Wellen" wieder auf den Boden zurückgeholt werden, ohne dabei die Naturbilder lächerlich zu machen, dieses Zusammenführen des konkreten Lebens mit dem geistigen/bildlichen.
Die beiden letzten Strophen sind für mich nicht greifbar, so wenig wie für das Lyrische Er. Sie führen weg von der vorherigen Situation. Nicht, dass so etwas nicht möglich ist - vielleicht mag ich auch einfach diese gehäuften Formulierungen nicht: "verschwommen, verworren, verloren, vergessen, wabern, labern" - das ist mir zu heftig, denke ich. Auch wenn der Klang gut ist. :) Liebe Grüße, Brigitte.

 Isaban meinte dazu am 19.02.08:
Jep, die Terzette sind mir auch einen Hauch zu schwafelig, O. *duck*

Die Quartette mag ich.

Liebe Grüße und Sorryplinkern,
Sabine

 BrigitteG meinte dazu am 19.02.08:
Und ich hatte schon überlegt, ob ich Minderheitenschutz einklagen muss...

 Isaban meinte dazu am 19.02.08:
Ducken wir uns gemeinsam.

 Owald meinte dazu am 20.02.08:
Immer dieses Duckmäusertum - und für Euch hab ich Avocadosüppchen gekocht... :-/

Im Ernst: Der Effekt, den Du, Brigitte, beschreibst, ist ziemlich genau so gewollt. Es geht ja gerade um die Auflösung der Grenzen zwischen Individuum und Natur, um das Verlorengehen des Greifbaren. Auch das "lyrische Er", wie du es nennst, löst sich mehr oder weniger auf, und es wird - so ist es jedenfalls gedacht - immer unklarer, ob "er" nun der Wanderer ist oder der Nebel oder irgendwie beides.
Ob man das mag, ist vielleicht Geschmackssache.

Beim ersten Terzett kann ich Eure Einschätzung der "Schwafeligkeit" auch nachvollziehen. Vielleicht ist da doch ein "ver-" zuviel drin, und die "verlornen Simmen" und die vergessnen Zeiten" sind zugegebenermaßen nicht gerade kreative Bilder.

Auf das zweite Terzett lasse ich aber nichts kommen. Das muß genau so. ;-P

Für den geübten Owald-Leser ist es wahrscheinlich auch ungewohnt, daß die humorigen Anteile diesmal eher vorne stehen (ich finde den ersten Vers unglaublich komisch) und sich dann, dem Inhalt bzw. der Stimmung geschuldet, zum Ende hin verdünnisieren. Das mache ich sonst eher andersrum.
Aber gelegentlich muß ich einfach auch mal ein bißchen rumprobieren, und das kam halt dabei raus.

Liebe Grüße,
und: Ja, ich würde Euch jederzeit wieder ein Avocadosüppchen kochen,
O.

 Isaban meinte dazu am 20.02.08:
Würden wir auch überleben?

 Owald meinte dazu am 20.02.08:
Immer diese Detailfragen...

 Füllertintentanz (22.02.08)
Dein Text ist unheimlich stark! Die Bilder sind schon beim ersten Lesen sofort eingängig. Dieses In-sich-selbst-mit-sich allein-Sein, gedankenverloren die selbigen erst finden, all das kommt gut rüber.
Dein letzter Absatz des unfassbaren Erfassens setzt dem Ganzen ein Häubchen auf.
NG, Sandra

 DerHerrSchädel (24.02.08)
Ich verstehe nicht, was du mit "Er leidet grau" meinst. Im verhältnis zu deinen anderen Bildern scheint mir dieses weder sprachlich noch semantisch geglückt.
Aber ansonsten sitzt jedes Wort!

LG

Schädel

 Janoschkus (03.03.08)
Das gefällt mir sehr. benebelter tiefsinn gespickt mit einer prise feinsten humors. ich fass es nicht. ;) die letzte strophe kann ich aber wirklich irgendwie nicht fassen, komm noch nicht ganz dahinter und wird mir, des leseflusses wegen, auch zu viel gefasst. trotzdem mach ich n fass auf für deinen text. gern gelesen :)
gruß Jan
The_black_Death (31)
(07.03.08)
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Lena (58)
(09.03.08)
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