Schatten im Holz/1

Text

von  Elén

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Herr Zanon schlurft in Filzpantoffeln durch den Innenhof, hält an der Tür, streift an immer der selben Stelle zweimal mit der Rechten über die Knopfreihe seines zweiten oder ersten Hemds, drückt mit teigiger Hand die Klinke, schiebt die Tür auf, schiebt seinen ausgehangenen, muffigen Leib durch den knappen Türmund, schlurft durch die hintere Halle der Tischlerei, wirbelt ein wenig Staub und Späne auf, hustet an immer der gleichen Stelle einmal verhalten und trocken am Kehlkopf vorbei, geht die neunundzwanzig Stiegen zur Wohnung hinauf, zieht den Schlüsselbund; hinein, im Flur kein Licht, schaut nicht links, nicht rechts, geht mit hängenden Tränensäcken und schlaffen Wangen zum Schaukelstuhl, stützt sich mit zittrigen Armen an den Lehnen des Sessels, sinkt ins gekrümmte Möbel, schließt die Augen.

Nun ist der Leser unversehens mit leisen Schritten und mit dieser gesellschaftsfähigen Diskretion, die man einem alten kranken Menschen als angemessenes Geschenk mitbringt, also, gemeinsam mit Herrn Zanon eingetreten; ist mit dieser kleinen Heimlichkeit und der Anhaltung, jeglichen Lärm zu vermeiden, Gast geworden; ein weinig unsicher tritt Herr Genus, - der über der Unaufmerksamkeit, da er bei seiner Unsicherheit einen Augenblick zu lange mit sich selbst beschäftigt, auch schon einen Namen bekommen und, nun offiziell geworden, - von einem Bein auf das andere, und das ein paar Mal, erblickt nun in der hinteren Ecke des Zimmers ein Sofa, das so gar nicht zur Einrichtung passt, so den Anschein des Versehens macht, dort setzt er sich hin und weiß, dass ihm hier niemand ein Glas Wasser anbieten wird, auch nicht, würde er darum bitten.

Und während Herr Zanon im Schaukelstuhl sitzt ohne zu schaukeln, und während Herr Genus am Sofa sitzt, ohne Ansprüche stellen zu wollen, obwohl er bei den Temperaturen des Sommers und dem Staub, der aus der Tischlerei kommt und sich bewusst hier über die Jahre niedergelegt hat, obwohl er schon ein Glas Wasser vertragen würde, also nicht abgeneigt wäre, könnte theoretischer Weise vom Sims auf den Boden, vom Boden auf Herrn Zanons Schoß, eine alte schwarze oder graue Katze, die über dem Fortgang des Tages beharrlich auf diesen ihren Moment gewartet hat, springen, sich im Schoß zusammenrollen, ihre Treue erneut zu verbuchen, Herr Zanon würde einmal fest mit der rauen Handfläche, der staubigen Hand eines Schreiners über den Katzenkopf streichen, sie über den Rücken ziehen, die Hand, sie dann wieder auf der Lehne ablegen und die Katze würde nicht schnurren, aber vertraulich den Hals lang machen, die Augen zumachen und so tun als würde sie schlafen; obwohl, wie jeder weiß, Katzen niemals schlafen, also, völlig verschwinden aus dem Geschehen, die haben immer ein Aug halb offen, indes es so nur aussieht, als hätten  sie beide geschlossen. Nun, Herr Zanon hat keine Katze, auch keinen Hund und, auch keinen Sittich hat er oder Sperlinge, die zum offenen Fenster herein fliegen und sich am Sims niedersetzen. Vielleicht hat der Bewohner, der vor ihm hier eingemietet war dann und wann das Fenster geöffnet, mit Sicherheit hat Herr Zanon das, seit er hier wohnt, noch nicht getan. Außerdem ist Herr Zanon auch kein alter Gepetto der über die Länge seines Lebens mindestens zwanzig Pinocchios, dreihundert Regale, siebzig Holzverkleidungen und so weiter gezimmert hat, sondern ist Zanon ein junger Mensch, Mittzwanziger, der Pianist werden soll, der zuwenig Schlaf bekommt, weil er sechs Stunden täglich Partituren, Notensätze und Fingerfertigkeit übt, obwohl sein Interesse weniger der Musik gilt, als vielmehr der erweiterten Wahrnehmung. Während möglicherweise nun ein paar Korrekturen am Bild, das hier voreilig bewerkstelligt wurde, vorgenommen werden müssen, ist anzumerken, dass Zanon das Eintreten des unscheinbaren Genus durchaus und durchaus wohlwollend wahrgenommen hat; vielleicht unterstützend noch zu erwähnen ist, dass Zanon und Genus sich vorübergehend in der stillgelegten Tischlerei eingemietet haben, um dort den Sommer zu überdauern. Auch wenn Genus sich dessen im Augenblick noch nicht bewusst ist, so ist nicht auszuschliessen, ja anzunehmen, dass Herr Zanon seit langem darüber bescheid weiss.

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Kommentare zu diesem Text

locido (21)
(13.07.08)
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 DanceWith1Life (13.07.08)
ich frage mich gerade, warum mir ein Schauer durch die Adern lief, der durch ein Abklingen einer plötzlich eingesogenen Spannung im letzten Abschnitt hervorgerufen wurde, das könnte spannend werden, die gezeichneten Umrisse halten mich in ihrem Bann, sehr behutsam tun sie das.
Caterina (46)
(13.07.08)
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octave (24)
(14.07.08)
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octave (24) meinte dazu am 26.07.08:
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markkkk (28)
(01.08.08)
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