Liebe Frau S.

Brief zum Thema Abschied

von  Feuervogel

Gestern besuchte ich sie zum letzten Mal und ich spürte das ihr Sterben begonnen hatte. Der Atem war flach und als ich meine Hand auf ihre linke legte, griffen sie mit ihrer rechten nach mir. Diese Geste werde ich nicht vergessen und hüten wie einen Schatz. Ich massierte ihren Körper mit einer Lotion, da Sie sehr unruhig waren und sie schlossen ihre unruhigen Augen. Mit meinen Händen streichelte ich über ihr Haar und redete ruhige Worte. Es war beinahe, als würde ich mit einem Kind sprechen, dass meines Trostes bedarf.
Als wir einander vor einigen Monaten begegneten und der Sommer sich langsam dem Ende neigte, wussten wir nicht viel voneinander. Sie saßen im Rollstuhl und ich fuhr sie spazieren. Im Klostergärtchen angekommen genossen wir die warmen Sonnenstrahlen. Sie fanden die Wärme angenehm und konnten gar nicht genug davon bekommen. Manchmal las ich Ihnen etwas vor, entweder aus der Zeitung oder die Märchen von Hesse. Besonders schön fanden Sie es, wenn wir uns in der Cafeteria zu Anderen gesellten und sie den Gesprächen lauschen konnten.
Leider waren sie auch oft sehr traurig, denn Sie wären ja so gerne wieder nach Hause in ihre Wohnung zurückgekehrt. Doch dazu kam es nicht mehr.
Sie erwarteten mich immer schon mit freudigem Blick  und Sie sagten mir, wie froh sie seien, dass ich käme.
Als dann die Sonne ihre Kraft verlor, da hatte ich den Eindruck,da legten sie sich zum langsamen Sterben nieder. Die letzten Wochen verließen Sie das Bett nicht mehr und ich saß bei Ihnen, hielt ihre Hand und las Ihnen Geschichten vor. Ich erzählte Ihnen ein wenig aus  meinem Alltag. Es wurde immer stiller um Sie, geklagt haben Sie nie. Wenn ich sie fragte wie es Ihnen gehe, sagten sie immer, es sei alles gut, selbst gestern, als sie im Sterben lagen.
Heute Mittag habe ich allein und in Stille Abschied von Ihnen genommen. Ich saß an ihrem Totenbett und sah den Frieden in ihrem Gesicht. So war auch ich im Frieden, als ich von Ihnen ging. Noch einmal ging ich in den Klostergarten und an der Argen entlang in Gedanken an Sie.
Liebe Frau S., ich danke Ihnen, für die Erfahrung die Sie mir schenkten und hoffe das Sie dort wo Sie jetzt sind Frieden finden. Ich habe gerne ihre Hand zum Abschied gehalten.

Ihre Michaela Möller


Anmerkung von Feuervogel:

Frau S. verstarb heute Morgen gegen 4 Uhr.
Im April wäre Sie 84 Jahre alt geworden.
Sie war nie verheiratet und hatte keine Kinder, jedoch Verwandte die sich rührend um Sie gekümmert haben und mich als Begleiterin auf ihrem letzten Weg engagierten.
Nach meinem Abschied am Totenbett ging ich noch einmal in Stille die Plätze ab, die wir gemeinsam aufgesucht hatten. Dann ging ich zurück zu meinem Sohn, in meinen Alltag und mein Leben, etwas bewusster als zuvor.

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Kommentare zu diesem Text


 Martina (25.01.09)
Das liest sich sehr traurig....aber das fasst wohl jeder unterschiedlich auf. Ich bin halt sehr emotional und so kommen mir schon beim Lesen die Tränen. Meine Schwester erzählt mir oft aus dem Altenheim. Sie arbeitet dort....und auch da passieren echt traurige Sachen...Lg Tina

 Sonnenaufgang (20.02.09)
ergreifend und voller liebe geschrieben. und diesen frieden spürt man beim lesen
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