Fünf Minuten vergehen. Ich fühle ein Vibrieren, höre kurz darauf das Schlagen eines Rotors. Von Norden nähert sich ein Helikopter. Unruhig mache ich mich auf den Weg zurück zum Kampfplatz, um Molly zu finden. Von einem Heli gejagt zu werden, könnte unsere Chancen erheblich verschlechtern.
Ich komme nicht weit - sehe den Helikopter, durch eine Öffnung, da draußen über der Industriebrache. Dreihundert Meter weit weg, nicht auf dem Weg zu uns.
Dann spricht die Warfare. Einen Augenblick später ändert der Heli seinen Kurs. Schwenkt mit dem Heck herum, dreht uns seinen Arsch zu.
Dreht sich weiter, ich sehe das Cockpit, den Rotor, das Cockpit. Ein weiterer Schuss, und ich kann den Teller des Heckrotors nicht mehr sehen. Entweder hat sich der Rotor verabschiedet oder er steht still.
Schnell kommt der Hubschrauber ins Trudeln, sackt ab, bevor er aus meinem Sichtfeld verschwindet.
Der dumpfe Aufschlag taucht ausschließlich auf meiner Tonspur auf – ein optisches Signal gibt es nicht. Braucht es nicht. Ich weiß, dass man in dem Wrack später die Handschrift der Arctic Warfare finden wird – Überlebende nicht.
Molly taucht auf, die Waffe im Koffer verstaut. Mit einer Kopfbewegung gibt sie mir das Signal zum Aufbruch.
Wir nehmen den Aufzug, bis wir ein paar Stockwerke tiefer erreichen - wo es Treppen gibt. Verlassen den Käfig und nehmen die Stufen jeweils paarweise, kontrolliert.
Wenig später sitzen wir im Wagen und ich lasse den Motor aufheulen. Bringe uns weg von der schwarzen Rauchsäule, die hinter uns mahnend aufsteigt und Mollys Wirkungsstätte markiert.
Schweigend lassen wir den Wedding hinter uns, und ich widerstehe der Versuchung, das Autoradio anzumachen.
‚War’s das?’ will ich wissen. ‚Ist dein Auftrag damit durch?’
Meine Vermutung ist: Ihr Job war der Heli. Derjenige, der in dem Kopter saß. Damit ergibt die Warfare plötzlich Sinn. Hubschrauber erledigt man damit genauso unkompliziert wie leicht gepanzerte Militärfahrzeuge.
Ich wäre Molly gerne los. Der ganze Job kotzt mich an - will raus aus der Scheiße.
Sie antwortet nicht sofort.
Als wir auf der Autobahn sind, sagt sie endlich: ‚Heute Nachmittag muss ich nach Leipzig. Du kannst hier bleiben. Morgen Mittag bin ich zurück, abends geht mein Flieger. Collie will, dass du dich nachmittags noch zu meiner Verfügung hältst. Ist das ein Problem?’
Ich schüttele den Kopf. Bin sie heute Abend los und kann mich mit Stout treffen. Und die paar Stunden morgen schaffe ich schon.
Offensichtlich seufze ich. Atme zu laut.
‚Du machst so was nicht oft, oder?’
Ich antworte nicht, schiebe den Unterkiefer nach vorne, spanne die Backenmuskeln an.
‚Normalerweise machst du harmlosere Sachen, richtig?’
Kinderkacke, will sie sagen. Kleinkram.
Gott, wie ich Hitmen hasse. Halten den Rest von uns, weil wir niemanden für fünf bis sechs Stellen auf einem Schweizer Nummernkonto wegknipsen, für Amateure.
Kaltblütige Arschlöcher.
Inzwischen kommt sie mir deutlich weniger attraktiv vor. Auf einmal verspüre ich kein Bedürfnis mehr, mit ihr zu schlafen.
Manche Probleme lösen sich halt von alleine, denke ich mit einem grimmigen Lächeln.
Ein paar Stunden später bringe ich sie zum Bahnhof. Den Koffer hat sie nicht dabei, nur die kleine Sporttasche. Die trägt sie, als wäre da keine Hardware drin. Klamotten und vielleicht eine Zahnbürste.
Nachdem der Zug den Bahnhof verlassen hat, sitze ich eine Weile stumm im Auto. Denke darüber nach, in was für eine Scheiße mich Collie geritten hat.
Kurz entschlossen klappe ich das Handy auf, wähle seinen Namen über das Display aus.
‚Hey Gordy. Alles in Ordnung?’
‚Geht so. Sie sitzt im Zug.’
‚Nach Leipzig? Habt ihr den Job erledigt?’
Ich atme hörbar ein. ‚Schätze schon. Hundertprozentig kann ich das nicht sagen – sie hat das Maul nicht aufgemacht. Was war ihr Job?’
Ich erwarte nicht, dass er mir antwortet. Muss ich nicht wissen. Er zögert kurz, überlegt vermutich, wie viel er mich fragen kann, ohne was zu verraten.
Entscheidet sich offenbar, das lieber mit ihr direkt zu klären.
‚Du holst sie morgen Mittag wieder ab? Vom Bahnhof?’
‚Sieht so aus. Bin ich danach raus? Richtig raus?’
‚Sobald sie im Flieger sitzt, hast du mit der Sache nichts mehr zu tun. Bis dahin bist du mir für sie verantwortlich. Okay?’
Ich stimme zu, verkneife mir die Frage, warum sie mich in Leipzig nicht braucht. Wieso sie dort ohne Babysitter auskommt, in Berlin nicht. Was soll ich da drüben nicht sehen, nicht mitbekommen?
Das ist mir alles zu anstrengend. Ich habe meine eigenen Probleme, um die ich mich jetzt kümmern muss. Jetzt kümmern kann.
Wir beenden das Gespräch und ich lasse den Wagen vom Parkplatz rollen. Fahre nach Hause, um zu duschen, mich umzuziehen und auf das Treffen heute Abend mit Stout vorzubereiten.