Nadja

Kurzprosa

von  Zeder

Ein Hotelzimmer und ein Mann. Drüben der Himmel, man wundert sich. Sie räumt aus einem schwarzen Koffer einen Berg von schwarzen Dingen aus. Kein Ton wird gesprochen. Oder kein Ton spricht sich selbst. Ihr Blick richtet sich auf den Boden. Sie zieht an einem Band, die Gardinen schließen sich mit einem unnatürlichen Geräusch. Der Mann sitzt im Halbdunkeln auf einem Ledersofa und lächelt.

Dann der Vorhang. Ich beobachte ein Fräulein in weiß. Ein schönes Fräulein. Ich bin auch schön, aber das Fräulein ist rein, weil es namenlos ist. Man macht sich unrein, wenn man sich benennt. Man sollte Schauspieler sein, das ist so unnatürlich. Denn jeder sieht, dass sie eine Perücke trägt, aber es stört niemanden am Phantasieren: Man weiß, dass sie wahrscheinlich dünnes Haar darunter hat und ohne Schminke aussieht, wie alle anderen, und dass sie zu Hause wahrscheinlich den Fernseher anstellt und dabei einschlafen wird, sie schläft dann bis tief in den Tag hinein, sieht sich beim Zähne putzen ins Gesicht und denkt: Du warst gut gestern, die Leute haben so lang applaudiert, und sie denkt daran, wie sie immer und immer wieder auf die Bühne lief - vorne standen sogar ein paar Menschen auf, als sie ihr Kleid raffte und den Oberkörper nach vorne warf und später schenkte ihr ein Mann eine orangene Rose und lächelte. Aber die Stille danach ist das, was sie innerlich tötet, die Stille danach ist Grausamkeit.

Nach einer Stunde klingelt immer ein Wecker, dann hält sie inne. Der Kunde fällt dann meist geplättet auf diese beliebige Matratzen und seufzt - und das ist der wirklich abstoßende Moment. Sie sitzt auf der Bettkante und streift den Rock über die Füße. Mag nicht mehr aufstehen. Und der Kunde fragt, wann sie wieder in der Stadt ist, und sie sagt: Ich weiß es nicht. Und sie fühlt, dass sie am liebsten gleich in den nächsten Zug steigen würde, um aus dieser Stadt zu verschwinden, denkt: New York. Warum nicht mal wieder New York. Aber sie kauft sich dann eine Theaterkarte für den Abend, vergisst zu duschen, zieht sich ein schwarzes Kleid über und schminkt sich nicht, weil sie nicht in den Spiegel sehen will.

Ich denke oft an einen grünen Wald, in dem sich das Licht bricht und es nach Holz riecht und Laub und ein bisschen Regen darin. An den Blätter hängen noch Tropfen. Und wenn ich mich so um gucke und an den Dingen rieche, die mir gehören, es sind zum Glück nur wenige, dann muss ich mich manchmal fast erbrechen daran, und wenn ich ganz ehrlich zu mir bin: Ich kenne nur Fremde.
Die Seife, die ich verschwende, riecht nach Rose, und Rose passt nicht zu mir, ich habe noch niemals in meinem ganzen Leben eine Rose geschenkt bekommen. Rose passt zum weißen Fräulein.
Ich habe so viele Bilder gemalt, bevor ich weggegangen bin und ich dachte damals: Das alles hält dich vom Leben ab. Und dann ging ich fort davon und nahm nichts mit und jetzt wünsche ich mir ein Zimmer mit einem unschuldigen Bett darin. Ein Bild an der Wand. Ein Geschenk von jemandem. Und die Freiheit der Träume dazu.

An diesem Abend kommt einer zu ihr, den sie nicht kennt. Sie wohnt im Paramount Hotel, nun doch in New York. Hier war sie zum ersten Mal mit Neunzehn, hatte Deutschland gerade verlassen. Abby und sie waren nach Paris getrampt, kauften sich dort von dem Geld, das sie gespart hatten, ein paar teure Kleider, dann streiften sie durch teure Hotels, setzen sich an die Bars und warteten. Sie landeten hier, ihre Freunde hatten reserviert, sie trug beim einchecken einen riesigen Hut auf dem Kopf. Ihre Koffer waren cremefarben. Abby wohnte mit ihrem Typen im Zimmer gegenüber und lachte viel. Sie saß an der Bettkante und streichelte den sanften Stoff ihres Hutes, während Michel redete. Michel war Franzose und fast dreizig und er schrieb an einem Buch und kam ihr furchtbar wichtig vor.  Später hielt er ihren Kopf und bewegte sich kaum. Danach lobte er sie, drückte ihr etwas in die Hand und sagte: Kauf dir was Schönes.
Und die Zimmer hier haben sich kaum verändert, nur, dass sie nun selbst bezahlt. Sie guckt noch immer auf die selbe Straße.
Um acht Uhr klopft es an der Tür, sie öffnet. Draußen steht ein Mann. Sie bittet ihn hinein. Guckst du mir nicht in die Augen? fragt er. Also schaut sie auf. Du musst vorher bezahlen, sagt sie. Er legt den Geldschein auf den Tisch und setzt sich auf einen grauen Sessel, sie beginnt damit sich zu entkleiden. Was ist mit dir? fragt sie. Er bewegt sich nicht. Ich gucke erstmal zu, sagt er. Sie zieht ihr T-shirt über den Kopf. Ihre Haut sieht rau aus, schon fast ein bisschen faltig, sie ist nachlässig geworden. Er sagt: Ich gehe kurz ins Badezimmer, und legt noch einen Schein auf den Tisch. Sie hört ihn von innen den Schlüssel umdrehen und legt sich ins Bett, der Vorhang ist ein Stück geöffnet. Draußen ist der Himmel blau und klar - die ersten Frühlingstage. Irgendwann dringt ein seltsames Geräusch aus dem Badezimmer. Sie wartet. Eventuell holt er sich einen runter, vielleicht zieht er sich um, sie nimmt sich vor, ihn notfalls raus zuschicken. Nach einer Weile geht sie zur Tür und horcht: Nichts. Sie klopft. Hallo? Nichts. Sie klopft deutlicher und schneller. Dann rüttelt sie an der Klinke. Hallo?

Ich mag weder den Broadway noch den Centralpark. Im Grunde mag ich New York nicht besonders, obwohl es besonders ist. Ich sitze Nachmittags in Cafés herum und bestelle Kaffee und Kuchen. Ich lese gerne Bücher dabei und stelle mir vor, dass ich Schreiben würde. Dann gebe ich großzügig Trinkgeld und gehe ins nächste Café, oder ins Kino, gucke dort alte Filme und nenne die Darstellerinnen allesamt Frau Grau, denn Frau Grau ist eine Mischung aus dem unschuldigen Fräulein Weiß und mir, ich bin die Schwarze, und das, was da zusammen kommt ist das Frau sein an sich. Die Schönheit und die Unschuld bleibt beim Fräulein Weiß und die Brüste und die Blowjobs bleiben bei mir.

Mit einer Haarnadel steche ich im Schloss herum. Früher konnte ich das mal. Ich kann ja nicht bei der Rezeption Bescheid sagen, denke ich. Wenn er da nun schon nackt herum sitzt. Vielleicht ist er ohnmächtig oder so was. Es klickt und ich sage nochmal: Hallo? Dann drücke ich die Klinke herunter. Er hängt ganz still.

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Kommentare zu diesem Text

Elvarryn (36)
(05.06.09)
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 Zeder meinte dazu am 05.06.09:
danke für deine anmerkungen.
zum ersten absatz gebe ich dir jetzt schonmal recht, das war mein einstieg. ich tu mich manchmal schwer die anfänge und ersten gedanken des textes ganz herauszunehmen, auch wenn sich der text plötzlich in eine völlig andere richtung entwickelt.
ansonsten überarbeite ich den text später nochmal, so wie gerade irgendwie alles. und: es freut mich, dass dir der text auch gefällt.
lg
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