Violette Seide

Kurzprosa zum Thema Rausch

von  Zeder

Du knipst die Sonne aus und schließt die Tür hinter dir. Die Dunkelheit ängstigt mich nicht - dabei war es das, was du glaubtest.
Tatsächlich ist die Dunkelheit nichts, was ich zu fürchten fürchte.
Ich folge meiner natürlichen Reaktion, so wie ich es die ganzen letzten Minuten tat. Nun lache ich. Vorher habe ich mir die Seele aus dem Leib gekotzt. Ich kann den Ausdruck sehr gut nachvollziehen, eine treffende Beschreibung. Immerhin hat es geholfen, die Badezimmereinrichtung manifestiert sich langsam wieder. Es ekelt mich auch nur noch sehr leicht, dass das Meiste  anscheinend daneben gegangen ist. Eigentlich wirkt die Situation im Mondschein fast romantisch. Erinnert an Beethoven.
Ich verbinde Romantik nicht mit Partnerschaft, glaube vielmehr, dass ich allein am romantischsten sein kann. Emotionalität. Daran liegt das. Ich bin emotional.
Leider weiß ich nicht, ob draußen noch jemand ist. Ich versuche leise zu sein und die Gedankenflut zu bremsen. Dann ein neuer Schwall halb verdautes Brot getränkt in Rotwein. Das Abendmahl. Rein ins Klo. Und spülen. Ich schütte den Rest Wein in das Waschbecken und fülle das Glas mit Wasser. Das ist jetzt besser. In der Wohnung ist alles still. Wahrscheinlich sind die letzten schon vor einer Weile gegangen. Vor dir natürlich. Du hast es immerhin am längsten mit mir ausgehalten. Schließlich sitze ich mitterweile bestimmt fast zwei Stunden hier und heule und lache.
Ich habe mein Lieblingstop an. Das violett Seidene voller Kotzflecken, weißt du? Ich stinke nach Rauch und Wein und Rausch. Es ist tatsächlich äußerst romantisch. Ich könnte durchaus jetzt sterben. Es würde meine Voraussetungen voll erfüllen. Meine Vorstellung von einer Todessituation beinhaltet seit meiner Jugend den Zustand eines Überrausches mit Übergang ins Nirvana, eventuell noch Sex, aber nicht notwendigerweise. Oder eben jenes Bild vom "Einschlafen", friedvoll und ruhig. In manchen Jahren der Selbstschändigung hatte ich auch irgendein grausames Gewaltverbrechen im Kopf, als Opfer, nicht als Täter. Irgendwas mit einem Messer und viel Blut. Oder eine Waffe. Aber das habe ich überstanden. Nicht das Verbrechen, jene Selbstschändigung. Tatsächlich habe ich das Meiste, was ein Mensch an Schändigung und Zerstörung von Lebewesen erfahren muss, an mir selbst erfahren. Mit Sieben habe ich einmal Sechs Schnecken zertreten. Danach habe ich zwei Stunden lang geheult. Ab dem Tag habe ich jedenfalls versucht niemanden mehr etwas anzutun. Du bist stolz auf mich.
Du bist jetzt dreiundzwanzig Minuten weg und ich denke an dich. Du hast die Sonne ausgeknipst als du gingst und mich angelächelt. Böse warst du mir nicht. Ich hatte nur Migräne und habe dich darum gebeten. Habe dich nicht küssen wollen, weil ich nach Kotze schmeckte. Jetzt tut es mir Leid. Ich weiß, es hätte dich nicht gestört. Du bist nun bei dir und ich bei mir. Es ist halb fünf Uhr nachts und ich drehe die Musik auf. Eine andere Welt. Die Wohnung ist leer, riecht nun nach Kaffe und Räucherstäbchen und nimmt langsam wieder Form an, wie ich.
Um Acht Uhr sehe ich vom Bett aus dem Sonnenaufgang zu und und summe. Ich habe das violette Top ausgezogen und vom Duschen nasse Haare. Neben mir steht ein Geist, wenn ich aber schnell einschlafe bin ich geschützt.
Es ist jetzt der zweite Weihnachtstag und es liegt kein Schnee.
Ich bin doch nicht gestorben.

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Kommentare zu diesem Text

mmazzurro (56)
(27.03.08)
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Chloe (20) meinte dazu am 07.04.08:
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Boeni (21)
(22.04.08)
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 Zeder antwortete darauf am 22.04.08:
danke dir!
schön, dass du den text auch humorvoll aufnimmst. so war es von mir auch gedacht.
lake26 (46)
(27.05.08)
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Schimmel (31)
(15.06.08)
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 Sylvia (06.07.08)
Hallo Zeder, dein Text ist fesselnd geschrieben und enthält viel Tragik. Deine Hauptfigur kann ich richtig gern haben. Man möchte helfen und hofft darauf, das sie am Leben bleibt....den nächsten Tag gibt es auch noch.
Sehr gerne gelesen
Lieben Gruß Sylvia
shooter (63)
(03.08.08)
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Melancholic. (31)
(28.08.08)
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 Zeder schrieb daraufhin am 28.08.08:
danke dir fürs kommentieren und empfehlen, auch für noelle.
und ps: ich auch ;)

 RainerMScholz (12.09.08)
Schändigung. Wie Selbstschändigung. Wie Selbstvergewaltigung.
Grüße,
R.
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