H.

Kurzprosa zum Thema Nähe

von  Zeder

Wenn du schon rauchst, solltest du den Zigarettenrauch auch inhalieren, sagt er, und zieht an seiner Zigarette, saugt genüsslich etwas ein, was ich nicht sehen kann. Er hält demonstrativ die Luft an und pustet eine graue Wolke aus, die fast direkt zu regnen beginnt. So!, fügt er überflüssiger Weise hinzu. Und er sagt das mit so einem Erwachsenengehabe, so wie Menschen reden, die ein Ziel haben, diese seltsame Geheimsprache, die alle kennen, nur ich nicht, weil ich immernoch so klein bin, dass ich zu allen aufschauen muss.
Ich mache mir lange Zeit darüber Gedanken, ob es vernünftiger wäre den Zigarettenrauch zu inhalieren. Darüberhinaus hätte ich H. fast vergessen, würde er nicht beständig diese Wolken auf mich blasen, die mir ins Gesicht regnen, und meine Haare durchnässen und über mir ein Unwetter erzeugen. Währenddessen haut er mir dem Löffel in seiner linken Hand mechanisch einen Rhythmus auf seine Umgebung. Er wandert zwischen Glas, Porzellan, meiner Hand auf dem Tisch und meinem Bein auf seinem Knie und er macht dabei diese fiesen Bewegungen mit dem Kopf und mit dem Fuß und seine nicht-ganz-langen-Haare wippen in Teenagercoolness und mein Bein auf seinem wippt mit, muss wippen, bis mir schwindelig wird. Er macht das, weil er Schlagzeug spielt, hat er einmal gesagt. Er hätte "eben den Rhythmus im Blut". Ich habe darüber lange nachgedacht und ihn dabei fast vergessen, hätte er nicht angefangen zusätzlich verwegen mit der Zunge zu schnalzen, sodass ich sie später aufknoten musste.
Wir stehen auf und bezahlen unseren Kaffee nicht. Das ist so ein Ritual. Einmal im Monat trinken wir einen Kaffee, von dem wir beide wissen, dass wir ihn niemals bezahlen werden. Und wir schlendern seelenruhig die Straße hinab und biegen nicht in die erste, nicht in die zweite, erst in die dritte Straße ein, während hinter uns ein Chaos ausbricht, Häuser zu brennen beginnen und kleine Kinder schreien und winseln. Wir lachen plötzlich und rennen los, kreuz und quer zwischen fremden Häusern und fremden Menschen und schlagen Saltos dazu, während H. schnalzt und Takte gegen Häuserwände schlägt. Nun, ich zittere innerlich vor Angst, aber das braucht H. nicht zu wissen, eigentlich hoffe ich sogar darauf, dass er innerlich ebenfalls so sehr zittert, dass er meine Angst nicht bemerkt - doch im Grunde glaube ich nicht daran. Es ist nicht so, dass sich alle Menschen ähnlich sind und ähnlich fühlen und Leben ähnlich empfinden. Man denkt das leicht, aber es ist nicht so. Man kann nur in jegliches Verhalten jegliche Dinge hineininterpretieren und darin Sachen erkennen wollen, die garnicht vorhanden sind, nur weil es schön wäre, wenn. Oder man lässt es und nimmt sich nicht mehr so wichtig. Ich wechsle dazwischen.
H. formt neben mir Blasen mit einem Kaugummi und lässt sie geräuschvoll zerplatzen. Er hat die Angewohnheit jeden Moment seines Lebens irgendetwas Geräuschvolles zu fabrizieren, weil er genau weiß, dass man ihn sonst vergisst und davor hat er eine unsägliche Angst. Ich hingegen empfinde das als sein größtes Talent, aber das habe ich ihm nie gesagt.
Wenn ich recht überlege habe ich ihm eigentlich nie besonders viel gesagt. Wir haben uns kennengelernt und dann waren wir halb zusammen und so ist es noch immer. Unsere gemeinsame Welt besteht aus Gedanken und Geräuschen. Und irgendwie läuft es immer auf Sex hinaus.
Wir gehen jetzt langsam und ich weiß nicht wohin - er hat ein Ziel, ich habe keines, also habe ich seines, so wie es immer gewesen sein muss, und ich frage nicht wohin es geht, weil es nichts ändern würde. Innerlich tickt eine Uhr: Ich habe eine Bombe in meinem Herzen, die jeden Augenblick explodieren könnte, aber das habe ich ihm nicht gesagt, sowie ich niemals sagte, dass ich grün besonders mag und den Sommer und dass ich lieber oben liege und leise bin und das meine Mutter an Lungenkrebs gestorben ist. Und es bringt nichts mir vorzustellen, dass er all dies irgendwie wüsste, wegen einer Seelenverwandtschaft, weil wir uns schon aus anderen Leben kennen und dass er mal mein Sohn war oder ich sein Papa und dass wir schon damals unseren Kaffee nicht bezahlten. Er weiß es einfach nicht und er kann es nicht wissen, deshalb weine ich jetzt, wir kommen in seiner muffigen Wohnung an, liegen auf den blauen Badezimmerfliesen, und ich stöhne im Takt zu seinem Herzschlag, der schneller wird, dann zur Ruhe kommt, während die Bombe gleichmäßig tickt.
Später streichle ich seine Haare und betrachte die Form seiner Finger und den Schimmel an den Wänden und es stört nicht, dass Winter ist und dass die Fliesen ganz kalt sind. Und ich erzähle ihm meine Geschichte, während er schläft und schnarcht und ich weine dazu, ganz ohne Theater, während es dunkel wird um mich.

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Kommentare zu diesem Text

Boeni (21)
(06.06.08)
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 Zeder meinte dazu am 06.06.08:
aber das ich ist doch eine schwester.
Boeni (21) antwortete darauf am 06.06.08:
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 Zeder schrieb daraufhin am 06.06.08:
nein, h. ist ein er und das ich ist eine sie.

ich hab noch nie blutsbrüderschaft geschlossen.
(Antwort korrigiert am 06.06.2008)
Boeni (21) äußerte darauf am 06.06.08:
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 Zeder ergänzte dazu am 06.06.08:
entschuldige ^^
:)
ungesagt (34)
(06.06.08)
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Data-LAB (37)
(06.06.08)
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Samjessa (28)
(07.06.08)
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Sojafisch (18)
(08.06.08)
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 Zeder meinte dazu am 08.06.08:
das sind liebe worte. du beschreibst so schön, was ich nur fühlen kann. nicht wortlos, nein, garnicht.
aber bitte kommentieren! ja, ja!
(und ha! eine gutartige krankheit =) danke! ;))

 styraxx (09.06.08)
Diese Kurzprosa beschreibt eine Beziehung, die gar keine ist oder sein will. Der Text wirkt einerseits leicht und suggeriert durch die paradoxen Situationen eine gewisse Komik, andererseits wartet er mit tieftraurigen Stellen auf. Je mehr sich die zwei Menschen nähern, desto weiter entfernen sie sich voneinander. Sie kommen mir vor, wie zwei Ertrinkende, die zugleich das Meer sind. Das so meine Gedanken zu diesem Prosatext, der das gewählte Thema sehr schön beschreibt und surreal bebildert. Gerne gelesen.

Schöne Grüsse c.

 Isaban (09.06.08)
Eine Welt in einer Welt, eine Beziehung wie eine Seifenblase, etwas, was man entweder ganz dringend ändern sollte, um der "Norm" zu entsprechen - oder eben gar nicht, weil es sich genau so gut anfühlt und zufrieden macht und jede Änderung nur die Seifenblasenwand zum Zittern bringen könnte. Es ist eine Nähe da, eine Nähe, über die nicht geredet werden muss, wortloses Verstehen, gemeinsame Geheimnisse, liebevolles Betrachten und Akzeptanz der kleinen Schwächen - des anderen, ihn ohne übergroße Betonung genau so annehmen, wie er ist. Ein sehr schöner, berührender Text.

Liebe Grüße,
Sabine
paris (30)
(12.06.08)
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 Janoschkus (05.07.08)
starker text. sympathisch geschrieben.
gruß Janosch
shooter (63)
(03.08.08)
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Melancholic. (31)
(30.09.08)
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scurra (27)
(30.11.08)
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paulinewilhelm (35)
(22.12.08)
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Steinwolke (65)
(08.01.09)
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 Zeder meinte dazu am 08.01.09:
peter, es freut mich, dass du trotzdem mitschwingen kannst, das wünscht man sich ja. und ich hoffe, dass du freude am lesen haben wirst.
liebe grüße.

 Ingmar (24.01.09)
"Wenn ich recht überlege habe ich ihm eigentlich nie besonders viel gesagt. Wir haben uns kennengelernt und dann waren wir halb zusammen und so ist es noch immer. Unsere gemeinsame Welt besteht aus Gedanken und Geräuschen und Sex, Sex im Bett, Sex im Wald, Sex im Feld, Sex im Auto, Sex im Sex, und vielleicht mag ich ihn genau deswegen, vielleicht, weil sonst immer alles still und leer um mich war."

irgendwie stört mich hier dieses halb zusammen. ich weiss genau was du meinst, es geht um die pärchensache, freund und freundin und so, aber gleichzeitig - ich meine: soviel sex, und wo ist man denn mehr, intensiver, näher zusammen, als im sex im sex? irgendwie beisst dieses 'halb' hier den rest des abschnitts, oder umgekehrt. ich wünschte mir wohl einen anderen ausdruck für dieses 'halb zusammen'...

grüss dich, herzlich,
ingmar

 Zeder meinte dazu am 24.01.09:
hm. ich weiß schon, was du meinst. hier geht es eigentlich eher darum, dass sie sich nicht dazu bekennen will. sie sind ja zusammen, von außen betrachtet. und sie erzählt ja auch und sie sind sich sehr nah, aber sie stößt auch gleichzeitig ab, obwohl oder gerade weil sie sich der nähe bewusst ist. deswegen verwende ich in diesem fall diesen ausdruck. aber du hast schon recht: sehr gelungen ist er nicht.

danke dir, ingmar. ich muss den text beizeiten sowieso mal durcharbeiten, finde ich.
und herzliche grüße zurück - und gute nacht.
(Antwort korrigiert am 24.01.2009)

 Ingmar meinte dazu am 24.01.09:
durcharbeiten ist nie, oder selten, schlecht.
aber vorher was neues schreiben auch nicht.

 Zeder meinte dazu am 24.01.09:
jaja ;)
Kitten (36)
(24.01.09)
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 poena (07.02.09)
ich wollte etwas dazu sagen können, aber mir fehlen die worte. die anderen haben ja sowieso recht.
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