Ministerium zur Aufdeckung von Nicht-Hochbegabung.

Satire zum Thema Bildung/ Wissen

von  Orion

Die Türglocke: „Ring“

Ja bitte, Sie wünschen?

Sind Sie Frau Stumpat-Drummel? Elisabethania Stumpat-Drummel?

Ja! Und wer sind …

Herr Hallmann vom zuständigen Schulamt Ihres Bezirkes! Ich bin dienstlich hier und muss Sie und Ihren Sohn bezüglich seines Schulschwänzens befragen.

Oh nein, das werde ich nicht zulassen. Ich, und nur ich allein bin verantwortlich für meinen wunderschönen Liebling. Ich bitte Sie, zu gehen. Ihr unsensiblen Bürokraten wollt doch nur seine zarte Seele zerstören. Niemand wird ….

Frau Stumpat-Drummel, seien Sie bitte einsichtig! Wenn Sie mir ein Gespräch verweigern, bin ich in einer Stunde mit einem Gerichtsbeschluss und 2 kräftigen Schutzmännern wieder hier, das wissen Sie doch!

Zwei richtig kräftige, meinen Sie?

Ja, jung und kräftig. Die können noch richtig zupacken, Frau Stumpat-Drummel. Darf ich eintreten?

(Seufz) Ja, bitte, Herr Holzmann. Gleich rechts ist das Wohnzimmer. Entschuldigen Sie bitte, es ist nicht aufgeräumt. Ich hatte heute noch keine Zeit dazu. Ich unterweise meinen Sohn nämlich täglich, soweit es in meinen Kräften steht, um seine Hochbegabung zu fördern.

Oh, Himmel noch mal. Sie haben ja wirklich nicht aufgeräumt. Wo steht denn Ihr Sofa? Oder wollen wir uns vielleicht irgendwo anders setzen? In einem anderen Zimmer? Mein Name ist übrigens Hallmann, Frau Stumpat-Drummel, nicht Holzmann.

Sie haben aber Holzmann gesagt. Da bin ich mir ganz sicher! Warum sollte ich Sie sonst Holzmann nennen?  (schieb, stoß, räum) So, da ist das Sofa und Platz ist auch! Setzen Sie sich doch, bitte. Einen Tee?

Bitte, Nein. Nicht hier, ich meine, nicht jetzt, Frau Stumpat-Drummel. Ach so, eine Bitte noch: Es ist sehr wichtig, dass Ihr Sohn auch an diesem Gespräch teilnimmt. Würden Sie ihn also herbeiholen?

Aber Herr Holzmann, es ist doch erst 10.30 Uhr vormittags! Sie sollten doch wissen, dass das kindliche Gehirn sich nur im Schlaf richtig entwickeln kann! Und gerade im Fall meines Theophilias-Fijorks –im Hinblick auf die Hochbegabung meines Prinzen- ist hierauf ganz besonders zu achten! Da bin ich wie eine Löwin, Herr Bezirks-Beamter. Ich werde ihn nicht wecken! Das empfindliche Seelchen meines Kleinen soll keinen Schaden nehmen, nur weil Sie Ihre Vorschriften gegen alle Menschenrechte hier durchsetzen wollen! Hat Sie Ihr Beruf schon so verroht, dass Sie … (schluchz, wein)

Gut, gut, Frau Stumpat-Drummel, beruhigen Sie sich erstmal. Dann stelle ich eben die erforderlichen Fragen an Sie, ohne dass der kleine Theophilias-Fijork dabei ist. Da drückt eben die Bezirksbeamten-Seele mal ein Auge zu, wenn es der Sache dient. Können wir weitermachen?

Noch nicht, Herr Holzmann (schluchz). Ich bin durch Ihre Aggressivität meinem Sohn gegenüber innerlich so sehr aufgewühlt worden, … (schluchz) Geben Sie einer liebenden Mutter etwas Zeit, das alles zu verdauen, Herr Staatsbeamter. (Zeit verrinnt).

Frau Stumpat-Drummel?

(Schnief) Ich bin Realistin, Herr Holzmann, ich weiß, dass ich jetzt um meinen geliebten Prinzen kämpfen muss, um seine Zukunft und um seine kleine verletzbare Kinderseele. Diesem Kampf werde ich mich heldinnenmütig stellen. (straff) Fangen Sie an!

Frau Stumpat-Drummel, Ihr Sohn Theophilias-Fijork besuchte bis vor ca. 4 Wochen die 3. Klasse der Hermine-Thabathea Benetti-Meyerdirk Gesamtschule. Seitdem nimmt er nicht mehr am Unterricht teil, er schwänzt sozusagen, da Sie keinerlei ärztliches bzw. sonstiges Attest als Begründung für das Fernbleiben vom Unterricht vorlegten oder noch vorlegen werden / … können / vorzulegen gedenken. Ja, so geht’s. Ist dem so, Frau Stumpat-Drummel?

Ja. Nicht vorgelegt habe und nicht gedenke vorzulegen! Das Attest.

Ach, haben Sie denn ein Attest, Frau Stumpat-Drummel?

Nein. Unser Heilpraktiker behauptet, ein Attest, welches den Besuch der regulären Schule aufgrund der Hochbegabung meines geliebten Sohnes überflüssig macht, könne er sofort  ausstellen. Er bezweifelt allerdings, dass die Behörden diesem Attest irgendeine Bedeutung beimessen würden, dieser ängstliche, sich duckende Ignorant! Dieser …

Frau Stumpat-Drummel, damit ist –entschuldigen Sie, wenn ich es so nüchtern im Amtsdeutsch ausdrücken muss- der Tatbestand der Schulschwänzerei erfüllt, was außerdem  strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht.

Auch das noch! Strafrecht! Konsequenzen zieht es nach sich! Wie ein Versehrter sein lahmes Bein! (wein) Mein Sohn, ein strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehender Schulschwänzer! Bei seiner Hochbegabung! Gilt in diesem Lande denn kein Recht und kein Gesetz mehr? Kann denn hier jeder machen, was er will?

Ja und aber auch Nein, Frau Stumpat-Drummel. Oder noch kürzer ausgedrückt: damit nicht jeder macht, was er will, gehen die Konsequenzen damit einher mit Recht und Gesetz und deren Einhaltung. Zum Beispiel Schulschwänzen.

?

Ja also, Frau Stumpat-Drummel, das war jetzt mal ein Blick in die Zukunft, in der vorher nichts getan wurde bezüglich der Schwänzerei, weswegen ich hier bin, damit diese Zukunft eine wird, die daraus resultiert, dass etwas getan wurde, weswegen ich ja eigentlich hier bin, um zu verhindern, dass etwas nach sich gezogen wird, im Rechtssinne.

?

Haben Sie Ihren Sohn Theophilias-Fijork bereits dem Ministerium zur Aufdeckung von Nicht-Hochbegabung vorgestellt, Frau Stumpat-Drummel? Das wäre die rechtlich vorgeschriebene Verhaltensweise gewesen, um zum Beispiel diesen für Sie und auch mich unangenehmen Besuch zu vermeiden… hätte vermieden werden können, der Besuch.

Aha, jetzt verstehe ich! Das berühmte Spiel: Guter Bulle / Böser Bulle!

Äh, Frau Stumpat-Drummel … ?

Zuerst kommt einer rein, ist aggressiv, will mir meinen geliebten Sohn wegnehmen, macht den Rambo, ist also der böse Bulle. Und dann, wenn ich eingeschüchtert bin und als Frau hilflos der Gewalt ausgeliefert, schleimt sich der andere Bulle in mein Vertrauen ein! Zeigt mir die Rettungsmöglichkeit –die vermeintliche!!- in der Hoffnung, dass ich jetzt zuschnappe wie eine Rattenfalle, deren Köder von einem Waschbären gefressen wird. Und zu allen Vorschlägen „JA! JA!“ sage. Und damit das Leben meines Kindes in die Hände fremder Bürokraten lege. Ein so wertvolles Leben! Es zerreißt mir das Mutterherz! (schluchz) Nehmt mich! (schrei) Nehmt doch mich anstelle meines hochbegabten Sohnes! Er (schluchz) hat sein Leben doch noch vor sich! Oh bitte …

Um noch einmal auf das Ministerium zur Aufdeckung von Nicht-Hochbegabung zurückzukommen, Frau Stumpat-Drummel: Ich könnte dort für Sie einen Termin vereinbaren.

Sie verstehen nicht, nicht wahr?

Was wäre denn hier zum Beispiel zu verstehen, Frau Stumpat-Drummel, was sich bis eben meinem Verständnis offenbar geschickt entzogen hat?

Sie verstehen immer noch nicht, nicht wahr? Ihre beamtete Krämerseele ist schon so gefühllos geworden wie ein ganz tief im Boden steckender Pferde-Hinterbein-Oberschenkelknochen. So gefühllos (kopfschüttel)…

Ehrlich gesagt, Frau Stumpat-Drummel, beschleicht mich das Gefühl, unser Gespräch wird auch weiterhin nicht sehr -äh- früchtetragend sein. Verstehen Sie, es ist schon interessant, Ihre Standpunkte zu hören, unzweifelhaft, aber, wie sagt man so schön: So kommen wir nicht weiter! Es ist der Sache nicht wirklich dienlich! Damit bekommen wir die Kuh nicht vom Eis!

Sie nennen mich eine Kuh?

Nein, Frau Stumpat-Drummel. Es ist so eine Redewendung die angewendet wird, wenn eine Angelegenheit zu klären ist. Die Angelegenheit ist dann quasi die Kuh, welche auf einer Eisfläche steht. Da man ja nie weiß, wie dick das Eis ist, besteht die Gefahr, dass die Angelegenheit –somit die Kuh- einbricht und eine noch schlimmere Situation heraufbeschwört. Eine Kuh ist ja auch ein wertvolles Besitztum, um dessen Erhalt man Himmel und Hölle in Bewegung setzt. In diesem Fall bezogen auf Ihre Angelegenheit mit der Hochbegabung und der Schulschwänzerei: Das Versinken der Kuh im Eisloch wäre dann Ihre Verurteilung durch ein Gericht wegen Schulschwänzerei. Sie verstehen?

Eine liebende Mutter versinkt im Eisloch und wird wegen Schulschwänzerei verurteilt?

So in etwa, ja!

Und wenn ich mit meinem hochbegabten Sohn im Ministerium zur Aufdeckung von Nicht-Hochbegabung vorstellig werde und eine Nicht-Hochbegabung dort nicht aufgedeckt werden kann, … also dann liegt ja logischerweise eine Hochbegabung vor und alles ist gut?

Sie überraschen mich, Frau Stumpat-Drummel.

Dann sind wir gerettet! Halleluja! (frohlock)

Vielleicht sollte ich Sie darauf hinweisen, dass ein ganz kleiner Tropfen Wermut auf diese Angelegenheit just soeben tropft?

Ist das wieder so eine Redewendung? Wollt ihr mich vielleicht fertigmachen? Erst lasst ihr mich himmelhoch jauchzen und dann werden ich und mein Mutterherz in den Dreck gestoßen? Ich halte das alles nicht mehr aus! Was ist aus diesem Land nur geworden. Schickt seine Späher zu allein erziehenden Müttern, spioniert sie aus, unterstellt, dass ihre Prachtkinder nicht hochbegabt sind, weil dieses Land mit hochintelligenten, kritischen, hinterfragenden Bürgern nichts anfangen kann, jawohl, das ist es. Darum hat der Staat so viele Hürden errichtet! Warum glaubt niemand einer liebenden und mündigen Mutter, dass ihr Kind hochbegabt ist und dass der verdammte normale Schulbetrieb diese wunderbaren Kinder immer nur unterfordert und so logischerweise zur Nichterbringung ihrer möglichen Leistungen treibt!
Anstatt an einer Universität die ignoranten Professoren mit ihrer sprudelnden, jungen Intelligenz zu beeindrucken, sollen sie in Grundschulen sitzen und Lesen, Schreiben und Rechnen lernen!! Wie ein gewöhnliches Kind! Sieht denn niemand, dass dadurch ihre Hochbegabung zerstört und abgeschliffen wird? Dass sie ihre Brillanz verlieren und am Ende noch nicht einmal mehr richtig Schreiben und Lesen können, so wie mein armer Theophilias-Fijork? Sieht das denn niemand (händering, schrei).     

Frau Stumpat-Drummel, um noch einmal auf den kleinen Wermutstropfen zurückzukommen, …

Der kleine Tropfen?

Der Wermutstropfen. Er tropfte auf die Angelegenheit während Sie frohlockten, dass alles gut werde …

Er betropfte meine Frohlockung?

Eigentlich mehr Ihre Erwartung, dass alles gut werde.

Sagten Sie nicht, Herr Holzmann, ich müsste beim Ministerium zur Aufdeckung von Nicht-Hochbegabung mit meinem Sohn vorstellig werden, dann werde man dort die Nicht-Hochbegabung nicht aufdecken, anders herum, die Hochbegabung aufdecken und alles ist gut?

Herr Hallmann, Frau Stumpat-Drummel, und der Wermut tropft auf die „Hochbegabung aufdecken“. Mir liegen zum Beispiel die Klassenarbeiten dieses Schuljahres vor. Realistischerweise ist ein Notendurchschnitt von glatt 6 nicht unbedingt ein zwingender Hinweis auf eine Hochbegabung, besonders nicht, wenn er sich kontinuierlich durch alle Fächer zieht. Da bin ich Fachmann und langjähriger Praktiker genug. Ich bin mir fast sicher, dass im Ministerium ähnlich gedacht wird.

Wer Hochintelligenz nicht erkennt sondern sich stattdessen an kleinlichen Dingen wie Schulnoten festklammert hat in dem Ministerium eben nichts verloren. Dumme kleinliche Krämerseelen. Albert Schweitzer und Albert Einstein hatten auch alles Sechsen und haben trotzdem die Zeitreisen erfunden, weil sie natürliche Genies waren. Da staunen Sie, was?

Liebe Frau Stumpat-Drummel, Sie haben offenbar keinerlei Zweifel, dass es Ihnen und Ihrem Sohn Theophilias-Fijork gelingen wird, die Fachleute im Ministerium von seiner Hochintelligenz zu überzeugen. Ich werde sofort einen Termin für einen der nächsten Tage vereinbaren und –wenn Sie nichts dagegen haben- bei der Sitzung dabei sein. Etwas Kurzweil kann nie schaden. Wenn alles gut geht, kann Ihr Achtjähriger dann umgehend zur Universität wechseln. Ist das in Ihrem Sinne?

Ganz und gar, Herr Holzmann.

Auf Wiedersehen, Frau Stumpat-Drummel.

Auf Wiedersehen, Herr Holzmann.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

yodafan (47)
(24.07.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Orion meinte dazu am 26.07.09:
Hallo yodafan, über Deinen Kommentar habe ich mich sehr gefreut. LG Achim
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram