Insekt
Groteske zum Thema Beziehung
von RainerMScholz
"Dir war es doch schon immer scheißegal, was ich denke, was ich fühle. Du hast doch immer bloß das gemacht, was du wolltest, dein immens ausgeprägtes Ego gepflegt. Wieso treffe ich nur jedes Mal auf solche Arschlöcher."
Sie war 'mal wieder in Fahrt. Jörg konnte es allmählich nicht mehr ertragen. Veras pseudo-intellektuelle Angriffe auf sein Innerstes, Äußeres und den Rest der (Männer-)Welt zehrten an seiner guten Laune, von der mittlerweile nur noch Fragmente übrig geblieben waren. Genau genommen saß er völlig abgestumpft und wie paralysiert auf der Couch und versuchte sich auf das Fernsehprogramm zu konzentrieren, das sich in der Tat als, wie meistens, überflüssig darstellte, nuckelte an einem schalen Bier aus der Dose, während sie sich in einem in letzter Zeit immer häufiger auftretenden Anfall hypergesteigerter Selbstüberschätzung über seine Unfähigkeit, angemessen auf ihre Bedürfnisse und Wünsche einzugehen, aufplusterte wie eine eitle Sumpfhenne in einem Käfig voller Paviane. Vera zerrte an seinem Nervengerüst, welches in jüngster Vergangenheit ohnehin arg strapaziert worden war. Das kranke Gehabe, das der Durchschnittsbürger unter Normalität verstand, vermochte er eben nicht auf die Beine zu stellen. Die tägliche Maloche, Sozial-, Renten-, Krankenversicherung, früh am Morgen aufstehen und im Stau zu einem widerlich verblödeten Job zu fahren, um ein regelmäßiges Einkommen zu erbuckeln - unausstehlich langweilig, einfach unerträglich und unmöglich allen Ernstes durchzuhalten.
"Du bist der geborene Verlierer. Schau dich doch an. Mit dir ist nichts mehr los. Für dich ist der Zug doch längst abgefahren."
Als ob er das nicht selber wüsste. Diese dreckige Schlampe. Gleich kommt bestimmt, dass ich's im Bett auch nicht mehr bringe.
"Und selbst im Bett bist du ein Schlappschwanz. Meinen Orgasmus muss ich mir doch mit der Batterie besorgen. Mein Gott, ist das erbärmlich."
Du sagst es, Baby. Kein Wunder, wie du aussiehst. Du müsstest doch bezahlen dafür, wenn ich nicht wär´.
Warum ist das Fernsehprogramm nur so beschissen. Er stellte die Lautstärke höher. Er machte die nächste Dose Bier auf und wartete, dass nun dieses Thema auf den Tisch kam.
"Und diese Sauferei. Kein Wunder, bei dem Umgang, den du pflegst. Deine Saufkumpane sind fast so anziehend wie eine Horde wilder Rhinozerosse. Wen hab' ich da nur geheiratet."
Tja, berechtigte Frage. Er schaltete den Fernseher ab. Zu langweilig. Und öde.
Ein Glück, dass sie keine Kinder hatten. Wären aller Wahrscheinlichkeit nach kleine hässliche debile Monster geworden, die den ganzen Tag nichts als fressen und scheißen und ihm auf der Tasche liegen. Ihn kotzte das alles an. Er schaute aus dem Fenster in die Nacht hinaus. Das gesamte menschliche Geschlecht widerte ihn an. Hirnlose Idioten, die in ihrer Vermessenheit tatsächlich glauben, sie seien in irgendeiner Weise wertvoll und unabkömmlich in ihrer Brillanz des Geistes und ihrer egomanischen Individualität, dem Ebenbild Gottes nachempfunden. Lächerlich. Eine sinnlose Masse verfaulenden Fleisches mit dem Hang, in ihrer Unermesslichkeit alles neben sich dem Erdboden gleichzumachen.
Sie hatte aufgehört zu meckern. Anscheinend war ihr Erguss an Selbstmitleid vorerst verraucht. Herrlich, diese Ruhe. Er schaute wieder in die Nacht hinaus und versuchte es locker zu nehmen. Wie schrecklich herrlich konnten doch Stille und Einsamkeit sein. Er setzte sich wieder auf die Couch und betrachtete das Muster der Tapete an der Wand. Hellgrüne Blümchen auf blassgrauem Grund. Für solch einen Dreck gebe ich mein Geld aus. Das lässt schon am Sinn des Ganzen zweifeln.
Plötzlich hörte er ein seltsames Scharren aus der Küche. Vera kam mit verdrehten Augen und einer der Tapete ähnlichen Gesichtsfarbe aus dem Nebenraum getorkelt. Lakonisch, doch etwas konsterniert bemerkte er:
"Du siehst nicht gut aus, Schatz.", als sie sich schon unter Krämpfen am Boden wand und entsetzliche, erstickte Laute ausstieß, die nicht mehr menschlich schienen. Jetzt muss ich wohl auch noch einen Exorzisten bestellen, dachte er, doch dann wurde er Zeuge, eher vielleicht Objekt, einer wenig christlichen Austreibung. Seine Augen weiteten sich, angesichts des Schauspiels, das nun folgte. Sie riss sich die Kleider vom Leib.
"Es brennt! Es brennt!", schrie sie, röchelte, spie es heraus. Jetzt war es Jörg nicht mehr gar so geheuer. Ihr Körper beulte sich regelrecht nach außen, deformierte, schien zerreißen zu wollen, sich nach außen zu wölben, als wollten ihre Gedärme den Körper, die Hülle umstülpen. Die Augäpfel traten widernatürlich hervor, schienen sich aufzublähen und zerplatzten wie Weintrauben in der Presse. Ihre Zunge wurde wie von unsichtbarer Hand aus der Mundhöhle gezerrt und fiel zu Boden. Jemand schien Veras Lippen über das Gesicht ziehen zu wollen. Jörg wohnte dem Schauspiel gebannt bei, schreckensbleich, unfähig einzugreifen. Es war unmöglich zu begreifen, was da vor seinen Augen ablief. Fleischfetzen klatschen an die Wand, von dem Druck, der aus dem Inneren ihres Körpers zu kommen schien, dort hingeschleudert. Ihr Mund zerriss. Die Kiefer brachen auseinander. Der ganze Körper bekam Risse, wurde wie von Macheten auseinander geschnitten. Die Bauchdecke drängte nach außen und klaffte mit einem nichtmenschlichen Geräusch auf. Ihr Kopf, der blutige Fleischklumpen, der er nun war, gurgelte und erbrach ihre Eingeweide. Es stank nach Blut und Exkrementen. Ein infernalisches Oratorium, das jeder Beschreibung spottete. Seine Frau hatte sich vor seinen Augen, während er hilflos und starr vor Schreck auf der Couch saß, in einen zuckenden, blubbernden Fleischhaufen verwandelt. Doch es war Leben in dem Ding, das da vor seinen Füßen herumkroch. Er konnte es nicht glauben. Das Ding hatte feine, irgendwie borstige Härchen bekommen, und, nein, es war nicht möglich, es konnte, es durfte keine Realität sein - acht Beine bildeten sich wie in Zeitlupe aus dem Körperrumpf. Es mutierte zu etwas Unaussprechlichem. Panische Angst packte Jörg. Er wollte fliehen, nur `raus hier, aus diesem dämonischen Irrenstall, doch das Ding war im Weg, zwischen ihm und der Tür. Und es kroch auf ihn zu. Acht Beine bewegten den fleischigen Körper auf ihn zu. Die schwarzen Facettenaugen schienen ihn genau zu fixieren, beobachteten ihn, registrierten jede seiner Bewegungen. Jörg zitterte unkontrolliert und stammelte etwas, wie "liebe Vera, meine kleine Frau", doch schien das keinen großen Eindruck zu machen. Das spinnenartige Wesen bewegte sich beständig auf ihn zu. Blitzartig sprang das Ding, mit dem er 'mal verheiratet gewesen war, auf ihn und hieb die geifernden Hauer in seinen Hals, um das Opfer zu lähmen, bewegungsunfähig zu machen. Jörg konnte sich nicht mehr rühren, jeder Muskel seines Körpers versagte ihm den Dienst. Das Grauen saß ihm im Genick.
Gnädigerweise hörte sein Verstand irgendwann später auf zu arbeiten, irgendwann viel später, als seine Organe nur noch ein zusammengesurrter Klumpen Matsch in einem Hautsack waren. Er konnte nicht mehr registrieren, wie das haarige, achtbeinige Wesen ihn allmählich leersog, auslutschte wie eine gefüllte Paprikaschote.
Dürfte wohl für eine Weile reichen, dachte das Ding.
© Rainer M. Scholz
Sie war 'mal wieder in Fahrt. Jörg konnte es allmählich nicht mehr ertragen. Veras pseudo-intellektuelle Angriffe auf sein Innerstes, Äußeres und den Rest der (Männer-)Welt zehrten an seiner guten Laune, von der mittlerweile nur noch Fragmente übrig geblieben waren. Genau genommen saß er völlig abgestumpft und wie paralysiert auf der Couch und versuchte sich auf das Fernsehprogramm zu konzentrieren, das sich in der Tat als, wie meistens, überflüssig darstellte, nuckelte an einem schalen Bier aus der Dose, während sie sich in einem in letzter Zeit immer häufiger auftretenden Anfall hypergesteigerter Selbstüberschätzung über seine Unfähigkeit, angemessen auf ihre Bedürfnisse und Wünsche einzugehen, aufplusterte wie eine eitle Sumpfhenne in einem Käfig voller Paviane. Vera zerrte an seinem Nervengerüst, welches in jüngster Vergangenheit ohnehin arg strapaziert worden war. Das kranke Gehabe, das der Durchschnittsbürger unter Normalität verstand, vermochte er eben nicht auf die Beine zu stellen. Die tägliche Maloche, Sozial-, Renten-, Krankenversicherung, früh am Morgen aufstehen und im Stau zu einem widerlich verblödeten Job zu fahren, um ein regelmäßiges Einkommen zu erbuckeln - unausstehlich langweilig, einfach unerträglich und unmöglich allen Ernstes durchzuhalten.
"Du bist der geborene Verlierer. Schau dich doch an. Mit dir ist nichts mehr los. Für dich ist der Zug doch längst abgefahren."
Als ob er das nicht selber wüsste. Diese dreckige Schlampe. Gleich kommt bestimmt, dass ich's im Bett auch nicht mehr bringe.
"Und selbst im Bett bist du ein Schlappschwanz. Meinen Orgasmus muss ich mir doch mit der Batterie besorgen. Mein Gott, ist das erbärmlich."
Du sagst es, Baby. Kein Wunder, wie du aussiehst. Du müsstest doch bezahlen dafür, wenn ich nicht wär´.
Warum ist das Fernsehprogramm nur so beschissen. Er stellte die Lautstärke höher. Er machte die nächste Dose Bier auf und wartete, dass nun dieses Thema auf den Tisch kam.
"Und diese Sauferei. Kein Wunder, bei dem Umgang, den du pflegst. Deine Saufkumpane sind fast so anziehend wie eine Horde wilder Rhinozerosse. Wen hab' ich da nur geheiratet."
Tja, berechtigte Frage. Er schaltete den Fernseher ab. Zu langweilig. Und öde.
Ein Glück, dass sie keine Kinder hatten. Wären aller Wahrscheinlichkeit nach kleine hässliche debile Monster geworden, die den ganzen Tag nichts als fressen und scheißen und ihm auf der Tasche liegen. Ihn kotzte das alles an. Er schaute aus dem Fenster in die Nacht hinaus. Das gesamte menschliche Geschlecht widerte ihn an. Hirnlose Idioten, die in ihrer Vermessenheit tatsächlich glauben, sie seien in irgendeiner Weise wertvoll und unabkömmlich in ihrer Brillanz des Geistes und ihrer egomanischen Individualität, dem Ebenbild Gottes nachempfunden. Lächerlich. Eine sinnlose Masse verfaulenden Fleisches mit dem Hang, in ihrer Unermesslichkeit alles neben sich dem Erdboden gleichzumachen.
Sie hatte aufgehört zu meckern. Anscheinend war ihr Erguss an Selbstmitleid vorerst verraucht. Herrlich, diese Ruhe. Er schaute wieder in die Nacht hinaus und versuchte es locker zu nehmen. Wie schrecklich herrlich konnten doch Stille und Einsamkeit sein. Er setzte sich wieder auf die Couch und betrachtete das Muster der Tapete an der Wand. Hellgrüne Blümchen auf blassgrauem Grund. Für solch einen Dreck gebe ich mein Geld aus. Das lässt schon am Sinn des Ganzen zweifeln.
Plötzlich hörte er ein seltsames Scharren aus der Küche. Vera kam mit verdrehten Augen und einer der Tapete ähnlichen Gesichtsfarbe aus dem Nebenraum getorkelt. Lakonisch, doch etwas konsterniert bemerkte er:
"Du siehst nicht gut aus, Schatz.", als sie sich schon unter Krämpfen am Boden wand und entsetzliche, erstickte Laute ausstieß, die nicht mehr menschlich schienen. Jetzt muss ich wohl auch noch einen Exorzisten bestellen, dachte er, doch dann wurde er Zeuge, eher vielleicht Objekt, einer wenig christlichen Austreibung. Seine Augen weiteten sich, angesichts des Schauspiels, das nun folgte. Sie riss sich die Kleider vom Leib.
"Es brennt! Es brennt!", schrie sie, röchelte, spie es heraus. Jetzt war es Jörg nicht mehr gar so geheuer. Ihr Körper beulte sich regelrecht nach außen, deformierte, schien zerreißen zu wollen, sich nach außen zu wölben, als wollten ihre Gedärme den Körper, die Hülle umstülpen. Die Augäpfel traten widernatürlich hervor, schienen sich aufzublähen und zerplatzten wie Weintrauben in der Presse. Ihre Zunge wurde wie von unsichtbarer Hand aus der Mundhöhle gezerrt und fiel zu Boden. Jemand schien Veras Lippen über das Gesicht ziehen zu wollen. Jörg wohnte dem Schauspiel gebannt bei, schreckensbleich, unfähig einzugreifen. Es war unmöglich zu begreifen, was da vor seinen Augen ablief. Fleischfetzen klatschen an die Wand, von dem Druck, der aus dem Inneren ihres Körpers zu kommen schien, dort hingeschleudert. Ihr Mund zerriss. Die Kiefer brachen auseinander. Der ganze Körper bekam Risse, wurde wie von Macheten auseinander geschnitten. Die Bauchdecke drängte nach außen und klaffte mit einem nichtmenschlichen Geräusch auf. Ihr Kopf, der blutige Fleischklumpen, der er nun war, gurgelte und erbrach ihre Eingeweide. Es stank nach Blut und Exkrementen. Ein infernalisches Oratorium, das jeder Beschreibung spottete. Seine Frau hatte sich vor seinen Augen, während er hilflos und starr vor Schreck auf der Couch saß, in einen zuckenden, blubbernden Fleischhaufen verwandelt. Doch es war Leben in dem Ding, das da vor seinen Füßen herumkroch. Er konnte es nicht glauben. Das Ding hatte feine, irgendwie borstige Härchen bekommen, und, nein, es war nicht möglich, es konnte, es durfte keine Realität sein - acht Beine bildeten sich wie in Zeitlupe aus dem Körperrumpf. Es mutierte zu etwas Unaussprechlichem. Panische Angst packte Jörg. Er wollte fliehen, nur `raus hier, aus diesem dämonischen Irrenstall, doch das Ding war im Weg, zwischen ihm und der Tür. Und es kroch auf ihn zu. Acht Beine bewegten den fleischigen Körper auf ihn zu. Die schwarzen Facettenaugen schienen ihn genau zu fixieren, beobachteten ihn, registrierten jede seiner Bewegungen. Jörg zitterte unkontrolliert und stammelte etwas, wie "liebe Vera, meine kleine Frau", doch schien das keinen großen Eindruck zu machen. Das spinnenartige Wesen bewegte sich beständig auf ihn zu. Blitzartig sprang das Ding, mit dem er 'mal verheiratet gewesen war, auf ihn und hieb die geifernden Hauer in seinen Hals, um das Opfer zu lähmen, bewegungsunfähig zu machen. Jörg konnte sich nicht mehr rühren, jeder Muskel seines Körpers versagte ihm den Dienst. Das Grauen saß ihm im Genick.
Gnädigerweise hörte sein Verstand irgendwann später auf zu arbeiten, irgendwann viel später, als seine Organe nur noch ein zusammengesurrter Klumpen Matsch in einem Hautsack waren. Er konnte nicht mehr registrieren, wie das haarige, achtbeinige Wesen ihn allmählich leersog, auslutschte wie eine gefüllte Paprikaschote.
Dürfte wohl für eine Weile reichen, dachte das Ding.
© Rainer M. Scholz