Ich weiß nicht mehr genau, welcher Tag es war. Vermutlich Montag, der 4. Oktober 89. Ich mußte mit dem Bus von Dresden nach Dippoldiswalde fahren, da in meiner Ingenieurschule eine Matheklausur anstand. Dies war der Tatsache geschuldet, das ich gerade von der Uni geflogen bin. Dort war ich durch die Studienlenkung im Bereich Verfahrenstechnik immatrikuliert. Eigentlich wollte ich Zahnmedizin studieren. Medizin war nach zwei Republikfluchten in meiner Familie unerreichbar. Ich bin also nach dem Rauswurf in einer Ingenieurschule gelandet, dem DDR Pendant zur FH im Westen.
Am Vorabend dieses Tages waren das erste Mal öffentliche Entsetzungen in Dresden spürbar. Die Züge nach Prag rollten, Menschen wollten mit oder spürten zum ersten Mal im 'Tal der Ahnungslosen', daß der Westen erreichbar war. Natürlich wurde alles in unserem Studentenclub diskutiert. Irgendwann schließlich brachen wir auf zum Hauptbahnhof. Dort solle ein Polizeitauto auf dem Dach liegen und brennen. Unvorstellbar, so etwas in der DDR. Solche Szenen kannten wir bisher ja nur aus Westfilmen. Blanke Neugier trieb uns voran.
Am nächsten Morgen wollte ich den 06:37er Bus nach Dipps (Dippoldiswalde) nehmen. Der Bus fuhr am Hauptbahnhof ab und ich mußte zu Fuß von der Straßenbahnhaltestelle noch etwa 200 Meter zurücklegen. Als ich aus der Straßenbahn ausstieg und mich auf den Weg begab, höre ich von hinten nicht etwa 'STEHENBLEIBEN' oder etwas ähnliches. Nein, es war nur ein sanfter Pfiff. Mit knapper Not schaffte ich es, vor den Hunden im Bus zu sein.
Unser Dippoldiswalder Mathe Prof, Herr Böhm, meinte in seiner Vorlesung so gegen 11:00 Uhr, er sei froh, daß gegen die allerorts sichtbaren Elemente der Zersetzung nun endlich mal radikal vorgegangen werden müsse. Man stößt ja wohl Papierkörbe nicht ohne Grund um! Obwohl nur 20 Km vom Geschehen entfernt, war er doch völlig unschuldig ...
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Kommentare zu diesem Text
Joe (52)
(27.09.09)
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