Fragment Umbau

Erzählung zum Thema Wut

von  tueichler

... komme also nach Hause und räume den Kofferraum des Autos aus. Da taucht schon die Nachbarin mit Stöpseln im Ohr ungefragt auf und heult mir die Ohren voll, wie ich denn mit so einem alten Stinker überhaupt noch rumfahren könnte und überhaupt, jetzt wird ja von daheim gearbeitet, warum ich denn dann unbedingt in die Firma müsste, mobiles Arbeiten hätte man auch schon früher entdecken können und ob ich denn schon mal was von Nachhaltigkeit gehört hätte.
Mir treten gerade die Augen aus den Höhlen, da ich einen 30er Sack Mörtel aus dem Kofferraum hebe. Das täten sie auch so, nach der Tirade der verstrickpulloverten und mit ‚Lauf, Mama, Lauf‘ Sticker auf der LKW- Planentasche vor mir stehenden ‚Göre‘.
Naja, denk ich, die ist froh, wenigstens mal den Schritt vor die Tür getan zu haben und muss Dampf ablassen. Ich geh also ohne ein Wort der Erwiederung rein und schließe die Tür. Oben, im Bad, das morgen rausgekloppt werden soll, wartet scheissviel Arbeit auf mich. Nach dem Tag im Rechenzentrum mit der Havarie muss ich jetzt, 17 Uhr, anfangen die Keramik auszubauen, und auch sonst das alte Bad handwerkerfetig zu machen. Duschkabine raus, Armaturen ab, was man halt so macht.
Irgendwann stehe ich da drin vor einem Haufen Keramik, Alu, Plexiglas und was sonst noch so übrig ist, wenn nur noch Wanne und Duschtasse übrig und alle anderen ‚Badmöbel - Pott, Waschbecken, etc. - abgebaut sind. Ich schnappe mir also erst mal den Müllsack mit dem Kleinkram und bringe ihn runter zum Müll. Tonne sofort voll. Ok, denke ich, nächste Woche fahr ich den Kram mit dem Hänger gegen Einwurf kleiner Münzen zum Entsorgungsbetrieb 30km entfernt. Wertstoffhöfe sind ja geschlossen. Bleibt aber immer noch eine erkleckliche Menge Plexiglassplitter übrig. Ich denke mir nix Böses, hole den Kram runter und ab damit in die Wertstofftonne. Wenn ich mich recht erinnere, dann ist Plexiglas ein Thermoplast und somit zur Wiederverwertung geeignet.
Steht doch schon wieder diese alte Nöle vor  mir und belehrt mich, das wäre sowas von nicht nachhaltig, was ich da mache. Die Wertstofftonne ist nur für den  grünen Punkt und so Leute wie ich machen das System ja zur Sau mit solchen Aktionen. Kein Stück Umweltbewusstsein.
An diese Stelle ein Platzhalter ......... So. Mir platzt also der Kragen. Ob sich die feine Dame mal Gedanken gemacht hat, wie der ökologische Fußabdruck des mildhybriden Familienpanzers ist, den Papi als knapp 2Tonnen schweres Gerät von der Firma bekommt? Und ob sie mal drüber nachgedacht hat, wieviel Strom das ganze Social Media Gedöns benötigt - angeblich ist Streaming der größte Verbrauchsposten im Netz - und ob sie weiters mal drüber nachgedacht hätte, wieso sie alle 12Monate ein neues Handy und alle 24 Monate ein neues Tablet braucht, vielleicht damit die armen Jungs im Kongo einen Job im Koltanabbau haben. Im übrigen ist mein Auto 12 Jahre alt, ich gehe also sparsam mit Resourcen um. Mein Bad wird nach 30 Jahren erneuert und mein Handy ist ein iPhone5.
Da dreht sich die dämliche Nöle um und murmelt irgendwas von ‚die Generation verstehts sowieso nicht und wir müssen’s ausbaden. Das ist unsere Zukunft. Wenn der ins Gras beißt, dann haben wir den Mist an der Backe. Usw. Usw.
Ich ruf ihr noch nach, dass sie wenigstens Abstand halten solle, sonst wird sie wohl nicht so alt. Das hört sie aber schon nicht mehr. Ganz sicher bin ich aber, dass sie morgen mit Laufkinderwagen, Streaming im Ohr und einer Atemmaske im Gesicht allein auf den Wingertswegen  joggen gehen wird. Danach gibt’s Quinoa und laktosefreien Milchkaffee aus der Nespressomaschine und am 4. Mai steht die Kuh mit ihrem Panzer im Kinderbringstau vor der 800 Meter entfernten Schule und bringt den Elfjährigen sicher in die Schule.
So, jetzt ist die dumme Nuss  weg und mir fehlt jemand, den ich jetzt mal so richtig - aber ganz richtig zur Sau machen kann!

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (16.04.20)
Mitten aus dem richtigen Leben erzählt. Ja, es gibt Engagierte und es gibt Nervensägen. LG Gina

 Dieter_Rotmund (16.04.20)
"Nespressomashine"?
Stelzie (55)
(16.04.20)
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 ViktorVanHynthersin (16.04.20)
Jetzt kann ich auch NachbARSCHaft buchstabieren. Vielen Dank für die Erleuchtung.
Herzlichst über den Zaun
Viktor

 tueichler meinte dazu am 16.04.20:
Vielen Dank für Eure Empfehlungen. Ich muss aber sagen, dass es diese Nachbarin so nicht gibt. Da könnte ich andere Geschichten erzählen. Das war einfach eine Idee, die aus den Erfahrungen der letzten Zeit in den Medien, auf Arbeit und auf der Straße resultierte und die ich ganz charmant fand 😂

 TassoTuwas (17.04.20)
Wenn man so richtig geladen ist, bringt das ungeahnte Energie, du solltest das nutzen und noch die Küche renovieren, den Keller ausmisten und das Auto waschen!
Hau rein
LG TT

 tueichler antwortete darauf am 24.05.21:
hab den Kommi gerade wieder gelesen. Küche ist umgebaut, wir sind beim Keller und das Auto hab ich dieses Jahr auch schon mal gewaschen 😂😂😂

 TassoTuwas (17.04.20)
Genügt wenn du es einmal machst!
LG TT

Kommentar geändert am 17.04.2020 um 17:57 Uhr
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