Wenn Zorro die Milch ausgeht

Erzählung zum Thema Gemeinsamkeit

von  tueichler

Irgendwo morgens um 06:30 in der Prärie. Von fern heult der letzte Kojote. Das Lagerfeuer beginnt zu knistern und der Blechtopf mit dem köstlichen Kaffeepulver im glasklaren Schmelzwasser der nahen Berge beginnt leicht zu simmern. Bald schon steigt betörender Duft aus dem Becher - ein neuer Tag voller Abenteuer kann beginnen!

So oder zumindest so ähnlich stellt sich mancher den idealen Morgen mit dem ersten Frühstückskaffee vor. Nur, dass wir heute nicht mehr auf der rauen Pferdedecke erwachen sondern auf dem Boxspringbett, dass nicht mehr der treue Gaul wiehert sondern der DAB Radiowecker sein Gedudel mit zunehmender Lautstärke zum Besten gibt um uns zu wecken und dass der Jura-Automat in der Küche schon Mahl- Pfeif- und Zischgeräusche von sich gibt, um zu signalisieren, dass ein neuer Tag im Home-Office (welches im Übrigen kein Mensch in der englischsprachigen Hemisphäre so nennen würde) beginnt.

Soweit so gut. Aber dem Kaffee fehlt noch das Quäntchen Milch und der Kühlschrank ist immer noch so blöd, keine nachzubestellen, wenn sie denn ausgegangen ist.

Im Irgendwo in der Prärie nimmt er sich ein Herz, greift zum Zügel und reitet in den Sonnenaufgang zur Herde, um einer Mutterkuh das Viertelchen Milch zu entmelken, das dem Kaffee für einen perfekten Tagesbeginn noch fehlt.

Und Du stehst missmutig da, gräbst nach dem Autoschlüssel und öffnest die Tür. Es ist auch hier noch arschkalt - Tau liegt auf der - nein, nicht Wiese - Windschutzscheibe, Du wischst, steigst ein und fährst mit nur halb geöffneten Augen zum nächsten Supermarkt um dort einen Liter Milchderivat zu kaufen.

Bevor Du jedoch den Laden betrittst, ziehst Du Dir ein Dreieckstuch über Mund und Nase und trittst dann, selbstbewusst und zielstrebig ein, um dem Regal Milch zu entnehmen und damit zur Kasse zu schreiten.

Nachdem er von der Herde zurückkam und seinen Milchkaffee genüsslich getrunken, das Feuer ausgepinkelt und die Sporen angelegt hatte bestieg er in aller Ruhe das Pferd, zog sein Dreickstuch über Mund und Nase und ritt zielstrebig nach Little Big Creek, betrat den Laden und ...

An dieser Stelle unterscheiden sich die Handlungsstränge nun nicht mehr nur im zeitlichen Kontext sondern auch im Ausgang der selben.

Du steckst also die EC-Karte, tippst Deine Pin ein und verlässte den Laden.

... zieht den Revolver und ohne Aufforderung reicht ihm der Kassierer das Bargeld über den Tisch, Er verlässt den Laden, besteigt sein Pferd und reitet ins nirgendwo davon.

Der Unterschied. Zorro - holt sich Milch, benutzt dann das Dreieckstuch, geht zur Kasse und reitet davon. Du - nimmst das Dreieckstuch, holst Milch, gehst zur Kasse und fährst davon.

Die Gemeinsamkeit. Nicht viel. Aber die Maske vorm Gesicht ....

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Kommentare zu diesem Text


 ViktorVanHynthersin (23.04.20)
Der CoZo war witzig, gerne mehr.
Herzlichst
Viktor
Sin (55)
(23.04.20)
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 AchterZwerg (24.04.20)
Zorro, den Rächer der Enterbten, mochte ich schon immer gut leiden. Dass er aber auch modisch zur Avangarde mutiert, hätte ich nicht gedacht. :)

Witzige Idee, jenseits aller Betulichkeit.
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