Nicht der Rede wert

Glosse zum Thema Unruhe

von  tulpenrot

Eigentlich ist es doch gar nichts Besonderes, aus einem Postkasten zwei Briefe heraus zu holen, einen dicken und einen dünnen.
Sie haben sicher auch schon zwei verschiedene Briefe am selben Tag bekommen.
Das Merkwürdige war nur in meinem Fall: Beide hatten denselben Absender. Das war allerdings seltsam. Man hätte doch Porto sparen können und den dünnen Brief zu dem dicken Schreiben dazu stecken können - oder umgekehrt.
Beide Briefe kamen von der Klinik, in der ich im Sommer war. Im Herbst hatte ich anschließend eine Reihe von Briefen von der Klinik bekommen. Allesamt waren es Rechnungen: Vom Labor, die Rechnung über den Aufenthalt und die von den verschiedenen Ärzten und dem Professor, der mich untersucht hatte. Das haben Sie ja auch schon erlebt. Als Privatpatient, versteht sich. Nichts Besonderes also.

Als Privatpatient sieht man immer die ganze Bescherung, die man mit seiner Krankheit angerichtet hat. Man sammelt die Rechnungen, streckt das Geld vor und reicht die Rechnungen anschließend der Krankenkasse ein. Ich habe jedes Mal Mitleid mit meiner Krankenkasse, die mir so viel Geld zurückerstatten muss. Aber das ist nun mal so.

Dabei war ich im Sommer gar nicht so richtig ernsthaft krank. Eigentlich hat es für einen Krankenhausaufenthalt nicht gereicht - ich wollte nur mal eine Generaluntersuchung machen lassen nach einer heftigen Infektion. So eine Art Jahresinspektion. Das machen Sie ja auch, wie ich Sie kenne.
Während meines Aufenthaltes in der Klinik und auch danach hatte ich den Vorteil, in die Sprechstunde des Professors höchstpersönlich zu gehen. Die Termine lagen immer am Sonntag. Ich weiß schon, was Sie jetzt denken, ich dachte es auch. Privatpatient! Typisch. Aber dieser Termin hatte durchaus seine Vorteile. Zumindest war es ruhig. Noch nicht einmal die Sekretärinnen waren da. Gewissenhaft begutachtete der Professor meine etwas ausufernden Werte und machte sich seine Gedanken damals. Ich solle nach 4 Wochen wiederkommen, um das Geschehen weiter zu beobachten.

Ich war nach vier Wochen nicht bei ihm, sondern zufällig bei meiner Hausärztin. Bei der Gelegenheit erhob auch sie noch einmal meine Gesundheits-Werte anstelle des Professors. Es war so weit alles wieder in Ordnung, jedenfalls war keine Behandlung nötig. Erleichtert ging ich nach Hause und hatte die Klinik und den Professor vergessen. Das hätten Sie auch getan, vermute ich. Wer denkt schon gerne an eine Klinik?! Vor allem, wenn man erst vor kurzem dort einen nahen Menschen hat sterben sehen!

Und jetzt nach 3 Monaten hielt ich diesen dünnen Brief in der Hand. Eine Seite und verhältnismäßig langer Text.
„Sehr geehrte Frau S.“ (Pünktchen Pünktchen Pünktchen. Ich erspare Ihnen Einzelheiten) „Mir ist es nicht gleichgültig, wie es Ihnen geht.“ (Pünktchen Pünktchen Pünktchen) “…bitte ich höflichst um Mitteilung der Befunde. Wenn Sie es möchten, können Sie auch kurz vorbeikommen. In der Hoffnung, dass es Ihnen gut geht, verbleibe ich mit ganz herzlichen Grüßen ….“ Darunter die für Ärzte typisch unleserliche Unterschrift. Darunter Prof. Dr. med. M.S, Direktor der Klinik.
Haben Sie schon einmal einen persönlichen Brief von Ihrem Arzt bekommen? Ich meine von einem Klinikchef?
Können Sie sich vorstellen, dass mir jetzt tausend Gedanken durch den Kopf gehen? Nein? Dann warten Sie einmal ab, bis Sie so einen Brief bekommen. Mich jedenfalls macht es ganz unruhig.

Wollen Sie noch wissen, was in dem dicken Brief war? Eine kleine Rechnung desselben Professors über eine zweistellige Summe für das Schreiben zweier Briefe. Sie merken: alles nicht der Rede wert.

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Kommentare zu diesem Text


 kirchheimrunner (18.01.10)
Liebe Angelika,
währe das ganze nicht so tragisch, würde ich sagen: Deine Glosse ist grandios. Der Text treibt Satire auf die Spitze. Genial also: Aber, - so wie ich dich kenne, entspricht das Geschehene der Wahrheit. Also keine Satrire sondern diese Tragödie ist fast schon komisch.
L.G. Hans

 tulpenrot meinte dazu am 18.01.10:
Ja, das ist sie, lieber Hans. Es ist richtig komisch. Jedenfalls passiert so etwas wohl nicht alle Tage. Eine "Nicht-alle Tage- passierende Tragik-Satire". Fortsetzung folgt...
LG
und ganz großen Dank für Lob und *
Angelika
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