Weihnachten - was ist das?

Glosse zum Thema Weihnachten

von  tulpenrot

Ich weiß. Ich hab es nicht begriffen. Deshalb muss ich es mir jedes Jahr wieder anhören: Ich feiere einfach Weihnachten falsch. Dieses Jahr steh ich wieder in Gefahr, nichts begriffen zu haben Und dabei bin ich nun schon so alt.

Letztes Jahr hab ich mir solche Mühe gegeben: Nicht so viel einzukaufen, nicht so viel zu essen; die Gottesdienste besuchen wollte ich; ich wollte in der Adventszeit besonders freundlich, auch sparsam sein und wollte keinen Stress machen, mir nicht und anderen nicht. Es war anders gekommen. Leider. Und dieses Jahr?

Ich hab gestern Baumbehang eingekauft, und Weihnachtsschokolade und Marzipan und Nikoläuse und Lebkuchen und hab mir von den Schülern für ihr Patenprojekt in der Dritten Welt 4 Tüten Weihnachtsplätzchen zurückstellen lassen. Alles auf einmal. Alles gestern. Jetzt sind die Sachen noch frisch. Jetzt sind die Regale noch voll. Mir ist es nämlich schon passiert, dass ich nichts mehr bekam, dass in der letzten Woche vor dem Fest die Abteilungen für Weihnachtsleckereien leer waren. Das soll mir dieses Jahr nicht passieren.

Der Postbote brachte die ersten Einladungen zu den Advents- Weihnachtsfeiern. Reichlich zu essen gibt es dann, und man redet mit den Sitznachbarn, die man lange nicht gesehen hat. Einmal im Jahr kann man das ja aushalten. Deswegen - eine Weihnachtsfeier muss sein, vielleicht auch zwei, manchmal werden es drei oder vier. Aber mehr nicht. Manches erledigt sich von selbst, da ich durch den Beruf genug eingespannt bin in der Vorweihnachtszeit. Das ist gut.

Dennoch: Ich habe es nicht begriffen, was Weihnachten ist.

Das wird mir spätestens in der kirchlichen Weihnachtsansprache im Fernsehen bewusst. Ich wechsle übrigens jedes Jahr den Sender. Oder auch von Tag zu Tag. Schließlich sind es bis zu drei Tage hintereinander, an denen man Predigten hören kann. Ich liebe die Abwechslung. Zu Weihnachten gehört schließlich ein Gottesdienst dazu. Zur Stimmung natürlich.

Das mit den Fernsehpredigten ist so ein kleiner Ausweg - ich spare Zeit. Keine Anfahrtswege zur Kirche, kein Umziehen, und ich kann noch nebenher der Wohnung den letzten Schliff geben. Die festlich geschmückten Bäume in den Fernseh-Kirchen, die feierliche, getragene Musik, die altgewohnten Weihnachtslieder, die strahlenden Kinderaugen, all das sagt mir: Es ist wieder so weit. Weihnachten. Der Kameramann gibt sich jedes Jahr so viel Mühe, mir die Stimmung ins Wohnzimmer zu überspielen.

Wenn nicht die Predigt wäre. Egal auf welchem Sender. Als ob alle Prediger sich gegen mich verschworen hätten. Sie sind unerbittlich: An ihren Worten wird mir wieder deutlich, wie verkehrt ich bin.

Mein Kaufrausch, mein übermäßiger Konsum, die übertriebenen Bemühungen um ein Fest der Liebe, das selten eines ist, die Hektik und der Stress, all das kommt zur Sprache. Mir wird ein Spiegel vorgehalten. Mir wird gesagt, dass ich nichts verstanden hätte von der Weihnachtsbotschaft. Und wenn ich in Gedanken die letzten Wochen an mir vorüberziehen lasse und die Menschen mit den oft müden Gesichtern, die unruhigen plappernden Kinder, die gefühlsseligen Blicke der Alten, die vergrämten der Nochälteren, die gelangweilten der Jungen vor mir sehe, dann muss ich zustimmen: Sie alle, wir haben es nicht begriffen!

Der Fernsehprediger gibt sich alle Mühe - rhetorisch gut geschult, mit wohllautender Stimme, jeden Satz auskostend, befreit er mich und uns von dem Irrtum, Weihnachten je verstanden zu haben. Wir haben nicht an die dritte Welt gedacht, nicht an die Umweltverschmutzung, nicht an die Bewahrung der Schöpfung, nicht an das Elend unseres Nachbarn und nicht an die gerechte Verteilung von Geld und Arbeitsplätzen. Die Kriege dieser Welt, die Konfliktherde sind nicht beseitigt, Deutschland schneidet immer noch schlecht bei Pisa ab und ich fühle mich plötzlich daran schuldig, weil ich Lehrerin bin. Ich sollte Vorbild sein. Was habe ich gemacht gegen all die Ungerechtigkeiten und Wirrnisse dieser Welt? Was habe ich verbessert an meinem Unterricht, an meinem Lebensstil, habe ich mich dem Leben verpflichtet? Und während ich so nachdenke, erkenne ich: Seit letztes Jahr Weihnachten hat sich eigentlich nichts geändert. Und dabei wollte ich es doch alles besser machen. Alles!

Ich werde also dieses Jahr irgendwann den Fernseher wieder ausschalten, die elektrische Beleuchtung des Weihnachtsbaumes anschalten und nach der Gans im Römertopf schauen. Ach ja, - so wird es mir durch den Kopf schießen - der Rotkohl muss noch abgeschmeckt werden und die Vorspeise noch verziert und der Nachtisch in den Kühlschrank, damit sie fest wird, bis die Gäste kommen. Es ist ja schließlich Weihnachten, auch wenn ich nicht weiß, was das ist. Auch wenn ich wieder alles falsch machen werde. Aber nächstes Jahr wird alles besser. Bis dahin sind es ziemlich genau 365 Tage.

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Kommentare zu diesem Text

chichi† (80)
(18.11.08)
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 tulpenrot meinte dazu am 18.11.08:
Liebe Gerda, danke, dass du ihn gelesen hast, den Text - und mir zeigst, dass das (Selbst-) Ironsiche tatsächlich rüberkommt. So sollte es werden. Ich hatte Sorge, dass es zu sachlich beschreibend würde.....

Es ist aber nicht nur an uns "Weihnachtsbürger" gedacht dabei, sondern auch an die, die an Weihnachten predigen. Was meinst du - könnten die die "Botschaft" auch raushören?

P.S. Danke übrigens für die 2 Sternchen!!!!!!!!!!!!!!!!!!
(Antwort korrigiert am 18.11.2008)
chichi† (80) antwortete darauf am 18.11.08:
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 tulpenrot schrieb daraufhin am 18.11.08:
Ja, ich hab ihn für unseren Gemeindebrief geschrieben und eingereicht. Unser Pfarrer ist vorgewarnt - bzw. er kennt mich und meine manchmal bitterböse Zunge oder Schreibe
Bin aber dennoch gespannt, was er sagt. Am Donnerstag ist Gemeinderats-Sitzung.
Jedenfalls Danke für deine Rückmeldung!
Angelika
(Antwort korrigiert am 18.11.2008)

 AZU20 (19.11.08)
Gute Frage, bin nach dem Lesen ein wenig schlauer. LG

 tulpenrot äußerte darauf am 19.11.08:
Schlauer???? Hmmm----grübel --- wie soll ich das verstehen?
Danke aber für das Sternchen
LG
Angelika

 AZU20 ergänzte dazu am 19.11.08:
Ich denke, ich kann einige Fehler vermeiden und es dieses Jahr besser machen, oder? LG
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